Der Kläger fordert von der beklagten Stadt die Zahlung einer Entschädigung nach
§ 15 Abs. 2 AGG, da er als Schwerbehinderter im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens benachteiligt worden sei.
Der Kläger ist mit einem Grad von 100 schwerbehindert. Er hat Geschichts- und Sozialwissenschaften studiert und das Studium mit dem Ersten Staatsexamen abgeschlossen.
Die beklagte Stadt suchte mit einer Stellenausschreibung (Abl. 23) "eine/-n Kommunale/-n Behindertenbeauftragte/-n". Erwartet wurden nach der Stellenausschreibung von Bewerbern:
"- ein abgeschlossenes Studium als Diplomsozialpädagoge/-in; Dipl Sozialarbeiter/-in;
Dipl. Verwaltungswirt/-in (
FH) oder Public Management oder Public Arts oder einschlägige Fach-/Hochschulausbildung
- eine eigene Behinderung, oder eine enge Beziehung zu einem nahen Angehörigen mit einer Behinderung, oder aufgrund persönlicher, sozialer und beruflicher Kenntnisse einen Bezug zu Themen, die für Menschen mit Behinderungen von Bedeutung sind [...]".
Die Bezahlung der Stelle sollte nach der Ausschreibung nach Entgeltgruppe 11 TVöD erfolgen, mithin mit
EUR 3.022,81 brutto monatlich. Das Stellenangebot schrieb die Beklagte
u. a. über die Bundesagentur für Arbeit aus (
vgl. Anlage B 1, Abl. 29-32).
Der Kläger bewarb sich innerhalb der Bewerbungsfrist mit E-Mail vom 31.08.2015 unter Beifügung eines tabellarischen Lebenslaufs und von zwei Zeugnissen auf diese Stelle (Abl. 16-22). Der tabellarische Lebenslauf enthält zwischen den Gliederungspunkten "Studienschwerpunkte" und "Projekte Nebentätigkeiten" die Passage:
"Schwerbehinderung:
GdB 100 Prozent".
Ausweislich des tabellarischen Lebenslaufs ist die Erwerbshistorie des Klägers geprägt von kurzfristigen Tätigkeiten und längeren Zeiten der Arbeitslosigkeit. Das erste der Bewerbung beigefügte Zeugnis des Klägers aus dem Jahr 2008 wurde ausgestellt für eine 11-monatige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei dem Hochschulbeauftragten für das Studium für Ältere. Das zweite Zeugnis aus dem Jahr 2012 betrifft eine 6-monatige Tätigkeit des Klägers bei der Caritas, wo er beim Aufbau und der Implementierung eines neu eingeführten Aufgabenbereichs, des Fundraising, Unterstützung leistete.
Die Beklagte lud den Kläger nicht zu einem Bewerbungsgespräch ein und teilte ihm mit Schreiben vom 13.10.2015 (Abl. 14) mit, dass sie sich für einen anderen Bewerber entschieden habe. Daraufhin forderte der Kläger über seinen Rechtsanwalt die Beklagte mit Schreiben vom 26.11.2015 (Abl. 12 f.) auf, eine angemessene Entschädigung nach § 15
Abs. 2
AGG in Höhe von
EUR 9.068,43 sowie Schadensersatz für die außergerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts in Höhe von
EUR 887,03 zu zahlen. Nachdem die Haftpflichtversicherung der Beklagten diese Ansprüche mit Schreiben vom 22.12.2015 zurückgewiesen hatte, erhob der Kläger mit Schreiben vom 15.02.2016, bei Gericht am gleichen Tag per Telefax eingegangen, Klage.
Der Kläger ist der Meinung, er habe Anspruch auf Entschädigung nach § 15
Abs. 2
AGG. Die Beklagte habe es versäumt, frühzeitig mit der Agentur für Arbeit Kontakt aufzunehmen, um zu prüfen, ob der Arbeitsplatz mit einem Schwerbehinderten besetzt werden könne. Hiermit habe sie gegen ihre Pflichten nach
§ 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX verstoßen. Im Übrigen habe sie ihn nicht zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen, was einen Verstoß gegen § 82 Satz 2
SGB IX bedeute. Diese Verstöße würden Indizien gemäß § 22
AGG für eine Benachteiligung nach dem
AGG darstellen und einen Anspruch nach § 15
Abs. 2 Satz 2
AGG begründen.
Der Kläger ist zudem der Ansicht, soweit die Beklagte vortrage, sein Studium sei nicht einschlägig zu den geforderten Qualifikationen, gehe sie fehl. Zum einen beschäftige sich das Studium der Sozialwissenschaften
u. a. auch mit der Soziologie der behinderten Menschen und deren sozialer Wirklichkeit im Alltag. Dazu gehöre auch die Beteiligung behinderter Menschen an Entscheidungsprozessen der öffentlichen Hand. Zum anderen habe er berufliche Erfahrungen
u. a. in der Behindertenhilfe (Caritas Wohn- und Werkstätten) und im Familienbund (an einem Bistum) und auch ein Praktikum bei einer Bezirksregierung als Verwaltungsbehörde gemacht. Im Übrigen dürfe eine Einladung nur dann nicht erfolgen, wenn dem Bewerber die Eignung offensichtlich fehle, was vorliegend nicht der Fall sei.
Der Kläger beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Entschädigung nach § 15
Abs. 2 Satz 2
AGG in Höhe von
EUR 9.068,43 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, dass ein Verstoß gegen § 81
Abs. 1 Satz 1 und 2
SGB IX bereits aufgrund der Meldung der freien Stelle an die Agentur für Arbeit ausscheide. Es liege auch kein Verstoß gegen § 82 Satz 2
SGB IX vor. Sie habe den Kläger nicht einladen müssen, weil ihm offensichtlich die fachliche Eignung für die Stelle fehle. Er verfüge nicht über den geforderten einschlägigen (Fach-)Hochschulabschluss. Ausweislich der Stellenausschreibung handele es sich bei der ausgeschriebenen Stelle um eine Querschnittsaufgabe innerhalb der Verwaltung sowie um eine Mittlerrolle zwischen Menschen mit einer Behinderung, einem professionellen Hilfesystem und der Stadtgesellschaft. Dementsprechend bezögen sich die geforderten Abschlüsse allesamt auf Studiengänge entweder der Verwaltungstätigkeit oder der sozialen Arbeit. Vor diesem Hintergrund könne weder das Studium der Geschichte noch der Sozialwissenschaften als einschlägig betrachtet werden. Ein Indiz nach
§ 22 AGG liege bereits vor diesem Hintergrund nicht vor. Im Übrigen scheide eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung des Klägers auch bereits deswegen aus, weil die Beklagte in ihrer Stellenausschreibung gerade einen Menschen mit eigener Behinderung suchte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 46
Abs. 2 Satz 1
ArbGG i. V. m. §§ 313
Abs. 2 Satz 2, 495
ZPO auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen verwiesen.
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15
Abs. 2
AGG.
1. Beruft sich eine klagende Partei zur Geltendmachung eines Anspruchs nach § 15
Abs. 2
AGG darauf, der beklagte Arbeitgeber habe gegen ein Benachteiligungsverbot des
AGG verstoßen, hat sie zunächst gemäß § 22
AGG Indizien vorzutragen, die eine Benachteiligung wegen eines in
§ 1 AGG genannten Grundes, vorliegend wegen der Behinderung des Klägers, vermuten lassen. Nach der Rechtsprechung des
BAG ist an die Vermutungsvoraussetzungen des § 22
AGG kein zu strenger Maßstab anzulegen; es genügt danach, wenn aus den vorgetragenen Tatsachen nach allgemeiner Lebenserfahrung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Benachteiligung besteht (
BAG 27.01.2011 -
8 AZR 580/09, NZA 2011, 737, 739). Indizien für eine Benachteiligung wegen einer (Schwer-)Behinderung in diesem Sinne können in der vorliegenden Bewerbungssituation insbesondere die Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten nach dem
SGB IX zu Gunsten schwerbehinderter Menschen sein, namentlich das Unterlassen der Einschaltung der Agentur für Arbeit gemäß § 81
Abs. 1 Satz 1, 82 Satz 1
SGB IX (
BVerwG 03.03.2011 -
5 C 16/10, NZA 2011, 977) oder das Unterbleiben einer Einladung zu einem Vorstellungsgespräch entgegen § 82 Satz 2
SGB IX, sofern der Bewerber alle (zulässigen) Einstellungsvoraussetzungen erfüllt (
BAG 16.02.2012 -
8 AZR 697/10, NZA 2012, 667;
LAG Schl.-Holst. 18.03.2015 -
3 Sa 371/14, juris Rz. 38
ff.; s. auch
HWK/Rupp, 7. Aufl. 2016, § 22
AGG Rn. 4).
2. Vorliegend ist es dem Kläger bereits nicht gelungen, hinreichende Indizien im Sinne von § 22
AGG für eine Benachteiligung nach
§ 3 AGG vorzutragen.
a. Soweit der Kläger in seiner Klageschrift vorgetragen hat, die Beklagte habe es versäumt, frühzeitig mit der Agentur für Arbeit Kontakt aufzunehmen, um zu prüfen, ob der Arbeitsplatz mit einem Schwerbehinderten besetzt werden könne und hierdurch gegen ihre Pflichten nach § 81
Abs. 1 Satz 1 und 2
SGB IX verstoße, trifft diese pauschale Behauptung nicht zu. Die Beklagte hat ausweislich der als Anlage B 1 vorgelegten Unterlagen die Bundesagentur für Arbeit frühzeitig von der Stelle unterrichtet und diese Stelle sogar über die Bundesagentur für Arbeit ausgeschrieben. Ein Verstoß gegen § 81
Abs. 1 Satz 1 und 2
SGB IX ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich.
b. Soweit der Kläger als weiteres mögliches Indiz nach § 22
AGG vorgetragen hat, die Beklagte habe ihn nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen und somit gegen ihre Pflicht nach § 82 Satz 2
SGB IX verstoßen, kann dahinstehen, inwiefern die Beklagte vorliegend tatsächlich verpflichtet gewesen wäre, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen oder inwiefern diese Verpflichtung nicht bestand, weil dem Kläger möglicherweise die fachliche Eignung für die Stelle offensichtlich fehlt (§ 82 Satz 3
SGB IX). Denn selbst wenn dem Kläger die fachliche Eignung für die Stelle nicht offensichtlich fehlen und somit ein Verstoß der Beklagten gegen ihre Pflicht nach § 82 Satz 2
SGB IX festgestellt werden sollte, wäre gleichwohl aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht nach § 22
AGG zu vermuten, dass die Beklagte den Kläger wegen seiner (Schwer-)Behinderung ungünstiger als andere Bewerber behandelt hätte. Die Beklagte suchte ausweislich der Stellenausschreibung für die Stelle eines/einer Kommunalen Behindertenbeauftragten gerade einen Mitarbeiter "mit eigener Behinderung" (oder einem anderen engen Bezug zu einem Menschen mit Behinderung). Die Bedeutung dieser Anforderung wird dadurch verdeutlicht, dass sie bei den Erwartungen als zweiter Bullet Point, unmittelbar nach der formalen Qualifikation und noch vor weiteren neun Merkmalen angeführt wird. Geht es aber einem Arbeitgeber gerade vorzugsweise um die Einstellung eines Menschen mit eigener Behinderung, kann die Vermutung, der Arbeitgeber benachteilige einen (schwer-)behinderten Menschen, weil er seiner Pflicht nach § 82 Satz 2
SGB IX nicht nachgekommen ist, nicht angenommen werden. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung, die für die Beurteilung des Eintritts der Vermutung zugrunde zu legen ist, erscheint es geradezu ausgeschlossen, dass ein Arbeitgeber, dem es gerade um die Einstellung eines Mitarbeiters mit einer eigenen Behinderung geht, einen Bewerber durch das Unterlassen der Einladung zu einem Bewerbungsgespräch deswegen benachteiligt, weil dieser Bewerber eine Behinderung hat. Das gilt umso mehr, als die tatsächliche Eignung des Klägers für die ausgeschriebene Stelle vorliegend alles andere als naheliegend ist und daher der Vortrag der Beklagten, sie halte den Kläger für offensichtlich ungeeignet, nach der Auffassung glaubhaft ist und das eigentliche Motiv für das Unterlassen der Einladung darstellt.
c. Wollte man der vorliegenden Argumentation nicht folgen und den möglichen Verstoß gegen § 82 Satz 2
SGB IX unabhängig von den Umständen des Einzelfalls als Indiz im Sinne von § 22
AGG ansehen, würde vorliegend ein Anspruch des Klägers nach § 22
AGG gleichwohl ausscheiden. Denn durch den Hinweis auf die Ausschreibung, nach welcher die Beklagte gerade (auch) einen Menschen mit eigener Behinderung sucht, wäre die Beklagte dem Indiz nach § 22
AGG hinreichend entgegen getreten und hätte auf der zweiten Stufe der Darlegungs- und Beweislast entsprechend der vorstehenden Argumentation unter 2.b. hinreichende Anhaltspunkte dargelegt, um die aus dem klägerseits vorgetragenen Indiz folgende Vermutung für eine Benachteiligung zu widerlegen.
3. Nach alldem ist die Klage bereits in Ermangelung hinreichender Indizien im Sinne von § 22
AGG bzw. aufgrund der erfolgreichen Widerlegung der Vermutung nach § 22
AGG abzuweisen. Es kann mithin dahinstehen, ob die Forderung des Klägers, der gerichtsbekannt bundesweit in zahlreichen Fällen auf seine erfolglosen Bewerbungen hin Entschädigungsansprüche nach dem
AGG geltend macht, auch wegen Rechtsmissbrauchs abzuweisen ist (
vgl. EuGH 28.07.2016 -
C-423/15).
II.
1. Die Festsetzung des Rechtsmittelstreitwerts folgt dem Grunde nach aus § 61
Abs. 1
ArbGG und entspricht in der Höhe dem bezifferten Zahlungsantrag des Klägers.
2. Die Kostentragungspflicht des voll unterlegenen Klägers folgt aus § 46
Abs. 2 Satz 1
ArbGG i. V. m. §§ 495, 91
Abs. 1
ZPO.
3. Die Entscheidung darüber, die Berufung nicht gesondert zuzulassen, beruht auf § 64
Abs. 3a
ArbGG. Gründe für die gesonderte Zulassung der Berufung nach § 64
Abs. 3
ArbGG liegen nicht vor.