Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist nach § 64
Abs. 2
ArbGG statthaft und wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Soweit der Kläger in seinem Berufungsantrag ein falsches Kündigungsdatum angibt, führt dies nicht zu einem Verstoß gegen § 520
Abs. 3
Nr. 1
ZPO. Berufungsanträge sind, wie jede Prozesshandlung, der Auslegung zugänglich. Entscheidend ist der objektive, dem Empfänger vernünftigerweise erkennbare Sinn der Erklärung. Dabei ist davon auszugehen, dass die Partei das anstrebt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage der Partei entspricht. Die schutzwürdigen Belange des Erklärungsadressaten sind zu berücksichtigen. Bei einem offensichtlichen Irrtum (
z.B. Verschreiben) ist eine berichtigende Auslegung möglich (
BGH 10. Juni 2003 - VIII
ZB 126/02 = NJW 2003, 3418 f.; Zöller/Greger,
ZPO, 32. Aufl. 2018 Vor. § 128 Rn. 25). Hinsichtlich des Datums der streitgegenständlichen Kündigungserklärung (27. April 2017 anstatt richtig 29. Mai 2017) handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen. Es ist wegen zahlreicher Parallelverfahren gerichtsbekannt, dass die Beklagte allen Arbeitnehmern, die nicht dem besonderen Schutz für schwerbehinderte Menschen unterfielen, unter dem 27. April 2018 gekündigt hat. Der Kläger gehört zu dem Personenkreis, dem erst nach einer Zustimmungserklärung des zuständigen Integrationsamts gekündigt werden konnte. Er hat sich von Anfang an gegen die Kündigung vom 29. Mai 2017 zur Wehr gesetzt und dies war sowohl für die Kammer, als auch für die Beklagte ohne weiteres erkennbar. Es liegt auf der Hand, dass bei der Abfassung der Berufungsbegründungsschrift nach Anwendung des "Copy-and-Paste-Verfahrens" schlicht versäumt wurde, das Kündigungsdatum zu korrigieren. Bezeichnenderweise hat die Beklagte diesbezüglich zunächst keine Rüge erhoben und erst in der mündlichen Verhandlung, als die Kammer die Antragsfassung thematisierte, Verwerfung der Berufung als unzulässig beantragt.
Die Berufung des Klägers ist aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht Paderborn hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund wirksamer ordentlicher Kündigung der Beklagten vom 29. Mai 2017 zum 31. Dezember 2017. Ein Betriebsübergang
i. S. v. § 613a
Abs. 1
BGB auf die S
GmbH liegt nicht vor. Die Kammer folgt der sorgfältig begründeten erstinstanzlichen Entscheidung (§ 69
Abs. 2
ArbGG). Mit Rücksicht auf das zweitinstanzliche Vorbringen des Klägers sind lediglich die nachfolgenden Hinweise angezeigt:
1. Der Wirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung steht nicht ein vom Kläger behaupteter Betriebsübergang
i. S. v. § 613a
Abs. 1
BGB entgegen. Die Kammer vermag nicht festzustellen, dass ein Betriebsübergang von der Beklagten auf die S
GmbH zum Zeitpunkt des Ausspruchs der streitgegenständlichen Kündigung beabsichtigt war, was der Annahme einer Betriebsschließungsabsicht entgegenstünde und außerdem den Tatbestand des § 613a
Abs. 4 Satz 1
BGB erfüllen dürfte. Ebenso wenig steht fest, dass tatsächlich zum 1. Januar 2018 ein Betriebsübergang stattgefunden hat.
Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs, der die Kammer folgt, setzt ein Betriebsübergang im Sinne der Richtlinie 2001/23/
EG sowie im Sinne des § 613a
Abs. 1 Satz 1
BGB den Übergang einer auf Dauer angelegten, ihre Identität bewahrende wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit, voraus (
BAG 25. Januar 2018 - 8 AZR 309/16 = NZA 2018, 933
ff.). Um eine solche Einheit handelt es sich bei jeder hinreichend strukturierten und selbständigen Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigenem Zweck. Die Kontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit bestehenden Arbeitsverhältnisse soll unabhängig von einem Inhaberwechsel gewährleistet werden. Entscheidend für einen Übergang i.
S. d. § 613a
Abs. 1 Satz 1
BGB ist daher, dass die betreffende Einheit ihre Identität bewahrt, was namentlich dann zu bejahen ist, wenn der Betrieb tatsächlich weitergeführt oder wieder aufgenommen wird. Den für das Vorliegen eines Übergangs maßgebenden Kriterien kommt je nach der Art des betroffenen Unternehmens oder Betriebs, je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach den Produktions- und Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zu. Bei der Prüfung, ob eine solche Einheit ihre Identität bewahrt, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören namentlich die Art des Unternehmens oder Betriebs, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeiten. Diese Umstände sind jedoch nur Teilaspekte der vorzunehmenden Gesamtbewertung und dürfen deshalb nicht isoliert betrachtet werden (
BAG 25. August 2016 - 8 AZR 53/15 = NZA-RR 2017, 123
ff.). Es hängt von der Struktur des Betriebs ab, welcher nach Zahl und Sachkunde zu bestimmende Teil der Belegschaft übernommen werden muss, um die Rechtsfolge des § 613a
BGB auszulösen (
BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 181/11 = BB 2012, 3144
ff.). Im produzierenden Gewerbe wird die wirtschaftliche Einheit stark von materiellen Aktiva geprägt (Gebäude, Maschinen, Produktionsanlage, Werkzeuge, Rohstoff, Halb- und Fertigfabrikate, Fahrzeuge und Transportgeräte). Denkbar ist, dass bei einem betriebsmittelgeprägten Betrieb ein Betriebsübergang auch ohne Übernahme von Personal vorliegen kann. Besondere Bedeutung kommt der Frage nach, ob der Erwerber die beim Veräußerer gebildete betriebliche Organisation übernimmt oder die Produktion mittels der in seinem Betrieb bereits bestehenden Organisation fortführt (ErfK/Preis, 18. Auflage 2018, § 613a
BGB, Rn. 18; APS/Steffan, Kündigungsrecht, , 5. Auflage 2017, § 613a
BGB, Rn. 30).
Im vorliegenden Fall kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass der ganz überwiegende Teil der Maschinen und Anlagen, die bisher im Betrieb der Beklagten genutzt wurden, von der S
GmbH für ihren Betrieb in O oder für das Werk in S2 übernommen wurde, ohne dass es darauf ankommt, dass diese im Eigentum der S1 UG stehen. Die Beklagte hat vorgetragen, dass von den bis zum 31. Dezember 2017 in ihrem Betrieb genutzten Maschinen und Anlagen nunmehr etliche in den Maschinenpark der S
GmbH integriert wurden, dabei aber keine Änderung im Betriebsablauf stattgefunden hat. Andere Maschinen und Anlagenkomponenten seien zunächst eingelagert worden und würden nicht verwendet. Der Kläger ist diesem Sachvortrag nicht qualifiziert entgegengetreten. Zwar kann von ihm nicht erwartet werden, dass er die Abläufe im Betrieb der S
GmbH im Einzelnen kennt. Er muss aber zumindest insoweit qualifiziert bestreiten, indem er einen Sachverhalt vorträgt, der einen Betriebsübergang als möglich erscheinen lässt. Dies ist nicht der Fall. Seinem Sachvortrag lässt sich nicht entnehmen, dass er behaupten möchte, dass der bisher bei der Beklagten gebildete Betrieb unter Wahrung der wirtschaftlichen Identität von der S
GmbH in O fortgeführt wird. Da es um einen Produktionsbetrieb geht, kommt den Maschinen und Produktionsanlagen zweifellos bei der Beurteilung, ob ein Betriebsübergang gegeben ist, im Sinne eines gewichtigen Indizes Bedeutung zu. Es ist aber in keiner Weise ersichtlich, dass die S
GmbH mit vergleichbarer betrieblicher Organisation unter Wahrung der wirtschaftlichen Identität des Betriebs der Beklagten die Produktionsmittel in die in ihrem Betrieb bestehende betriebliche Organisation eingegliedert hat. Dem steht nicht nur entgegen, dass - insoweit unstreitig - die S
GmbH auch bisher schon elektronische Bauteile produziert hat, ohne dass eine Erweiterung um die Produktionslinien der Beklagten ersichtlich wäre. Vielmehr wurde letztlich auch nicht ein einziger ehemaliger Arbeitnehmer der Beklagten von der S
GmbH übernommen. Auch wenn dies im produzierenden Gewerbe nicht zwingend einem Betriebsübergang entgegensteht, ist dies ein erhebliches Indiz gegen die Annahme eines Betriebsübergangs. Für entscheidend hält die Kammer, dass nach dem Sachvortrag der Beklagten die S
GmbH ihre wesentlichen Kundenbeziehungen gerade nicht übernommen hat. Unstreitig bedürfte dies jedenfalls bei dem größeren Teil der bisherigen Kunden der Beklagten einer neuen und aufwändigen Zertifizierung. Dass dazu konkrete Schritte eingeleitet wurden, behauptet auch der Kläger nicht. Dessen ungeachtet hat die Beklagte unwiderlegt vorgetragen, dass von ihren bisherigen Kunden nur in geringfügigem Umfang überhaupt Aufträge an die S
GmbH vergeben wurden. Dabei hat die bereits im Jahr 2016 übernommene Kundenbeziehung zu der Firma T2 außen vor zu bleiben, weil dieser Vorgang ersichtlich deutlich vor dem Entschluss der Beklagten, den Betrieb stillzulegen, liegt. Im Übrigen räumt die Beklagte lediglich ein, dass die früheren Kunden C1 (Umsatz 500.000,00 Euro) und T1 (Umsatz 730.000 Euro) nunmehr bei der S
GmbH produzieren lassen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass kurzfristig noch die zuletzt offenbar unentschlossenen früheren Kunden TRW (250.000,00 Euro) und D (500.000,00 Euro) hinzukämen, fiele das bei einem Gesamtumsatzvolumen bei der Beklagten von geplant 26.000.000,00 Euro für das Jahr 2017 nicht ins Gewicht.
Dessen ungeachtet müsste der Kläger im Rahmen eines qualifizierten Bestreitens zumindest behaupten, dass ein Betriebsübergang im Sinne der Übertragung einer wirtschaftlichen Einheit stattgefunden hat. Daran fehlt es. Sein Sachvortrag beschränkt sich im Kern darauf, darzustellen, dass die S
GmbH einen wesentlichen Anteil der Maschinen und Anlagen von der Beklagten übernommen hat. Ansonsten bestreitet er den gegnerischen Vortrag pauschal. Zusammenfassend vermag die Kammer einen Betriebsübergang von der Beklagten auf die S
GmbH nicht festzustellen. Dann hat es jedoch dabei zu verbleiben, dass die Kündigung vom 29. Mai 2017 wegen einer beabsichtigten Betriebsstilllegung seitens der Beklagten sozial gerechtfertigt ist und nicht wegen eines beabsichtigten Betriebsübergangs ausgesprochen wurde.
2. Das Konsultationsverfahren nach
§ 17 Abs. 2 KSchG ist ordnungsgemäß durchgeführt worden, so dass auch aus diesem Grund eine Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung vom 27. April 2018 ausscheidet. Ob das Verfahren rechtzeitig eingeleitet worden ist, ist unerheblich, wenn in der Folge das Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt und zum Abschluss gebracht wurde (APS/Moll a.a.O., § 17
KSchG Rn. 72). Dies ist hier der Fall. Der Betriebsratsvorsitzende C3 hat mit Schreiben vom 26. April 2017 gegenüber der Beklagten bestätigt, dass der Betriebsrat rechtzeitig und vollständig nach § 17
Abs. 2
KSchG unterrichtet worden sei. Er führt des Weiteren aus, dass der Betriebsrat ausführlich über die geplante Betriebsschließung und die beabsichtigten Kündigungen informiert worden und schriftlich über die Gründe der geplanten Entlassungen unterrichtet worden sei. Dies gelte auch für die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollten, die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer sowie die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien. Ausdrücklich bestätigt der Betriebsratsvorsitzende darüber hinaus die Beendigung des Konsultationsverfahrens und erklärte abschließend, dass er keine weiteren Einwendungen erhebe. Angesichts dieser umfänglichen und eindeutigen Stellungnahme gehen die Einwendungen des Klägers fehl. Es mag sein, dass vordergründig betrachtet der Zeitraum von zwei Tagen zwischen der formalen Einleitung des Konsultationsverfahrens und der abschließenden Bestätigung, dass dieses abgeschlossen sei, sehr kurz ist. Der Kläger übersieht aber, dass durch die Vereinbarung des Interessenausgleichs und des Sozialplans vom 11. April 2017 alle relevanten Fragen im Zusammenhang mit der beabsichtigten Betriebsschließung bereits abschließend geklärt waren. Daher ist es konsequent, dass der Betriebsrat keine weiteren Beratungsbedarf mehr gesehen hat. Ihm fehlten nach Angaben der Beklagten nur noch die Angaben zu den Berufsgruppen nach § 17
Abs. 2
Nr. 2 und 3
KSchG. Alle weiteren Fragen nach Maßgabe des § 17
Abs. 2
KSchG waren im Interessenausgleich
bzw. im Sozialplan vom 11. April 2017 bereits geregelt. Die Aufstellung der Berufsgruppen ist für die Erstattung der Massenentlassungsanzeige eine notwendige Formalie, bei einer Schließung des gesamten Betriebs für die Betriebsparteien aber naturgemäß nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Bei dieser Sachlage kann der Beklagten nicht vorgehalten werden, sie habe den Betriebsrat "vor vollendete Tatsachen" gestellt. Im Übrigen behauptet auch der Kläger nicht, dass der Betriebsrat nicht die Möglichkeit gehabt hätte, weitere Beratungen zu verlangen. Dies ist aber offenbar aus den genannten Gründen nicht geschehen. Eine absolute Verhandlungsmindestdauer ist nicht vorgeschrieben (
BAG 22. September 2016 - 2 AZR 276/16 = NZA 2017, 175
ff.).
Soweit der Kläger in der Berufungsbegründungsschrift einen Zusammenhang zwischen der Spaltung des Gemeinschaftsbetriebs und dem Konsultationsverfahren herstellt, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Betriebsspaltung Gegenstand eines Interessenausgleichs vom 13. März 2017 war. Dass insoweit der Unterrichtungs- und Beratungsanspruch des Betriebsrats nach
§ 111 Satz 1 BetrVG nicht beachtet wurde, macht auch der Kläger nicht geltend, jedenfalls trägt er dazu keine Tatsachen vor. Zum Zeitpunkt des Interessenausgleichs über die geplante Betriebsschließung vom 11. April 2017 war die vorher beschlossene und vollzogene Spaltung des Gemeinschaftsbetriebs keine Angelegenheit, die der erneuten Beratung bedurft hätte. Da die von der Beklagten beabsichtigte Betriebsänderung alle bestehenden Arbeitsverhältnisse betraf, ist nicht nachvollziehbar, inwieweit eine Kenntnis des Betriebsrats hinsichtlich der Berufsgruppen eine andere Entscheidung des Betriebsrats am 11. oder am 26. April 2017 hätte bewirken können. Zu Recht hat die Beklagte diesbezüglich außerdem auf eine einschlägige Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 9. Juni 2016 (6 AZR 405/15 = NZA 2016, 1198
ff.) hingewiesen.
3. Die Kündigung ist nicht nach
§ 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX (bis 31. Dezember 2017:
§ 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX) unwirksam. Dies hat der Kläger zweitinstanzlich auch nicht mehr gerügt. Da nach § 529
Abs. 2 Satz 2
ZPO die Kammer grundsätzlich zu einer umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung verpflichtet ist, ohne an die geltend gemachten Berufungsgründe gebunden zu sein, hält sie eine eigene rechtliche Würdigung für angezeigt, weil wegen dieser Fragestellung die Revision zuzulassen war.
Nach § 178
Abs. 2 Satz 3
SGB IX ist die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausspricht, unwirksam. Nach § 178
Abs. 2 Satz 1
SGB IX hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen.
Die Mitwirkungsrechte der Schwerbehindertenvertretung sind im vorliegenden Fall gewahrt. Die Beklagte hat die Schwerbehindertenvertretung mit Schreiben vom 26. April 2017 zu der vorgesehenen ordentlichen Kündigung des Klägers zum 31. Dezember 2017 angehört. Besondere Formvorschriften dazu enthält § 178
Abs. 2
SGB IX nicht. Auch die Frage, ob, in welcher Art und Weise und innerhalb welcher Fristen die Schwerbehindertenvertretung reagieren muss, hat keine Regelung erfahren. Hinsichtlich der Fristen wird allgemein angenommen, dass in Anlehnung an
§ 102 Abs. 2 BetrVG bei einer ordentlichen Kündigung eine Stellungnahme spätestens innerhalb von einer Woche nach Zugang und bei einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung innerhalb von drei Tagen mitzuteilen ist (etwa ErfK/Rolfs, a.a.O., § 178
SGB IX Rn. 10). Die Beklagte hat die Wochenfrist gewahrt, denn sie hat die streitgegenständliche Kündigung erst nach Ablauf mit Schreiben vom 29. Mai 2017 erklärt. Dass ihr Anhörungsschreiben vom 26. April 2017 dem Schwerbehindertenvertreter nicht oder nicht rechtzeitig zugegangen wäre, macht auch der Kläger nicht geltend.
Die Beklagte hat die Schwerbehindertenvertretung auch unverzüglich und umfassend
i. S. v. § 178
Abs. 2 Satz 1
SGB IX unterrichtet. Die Pflicht zur Unterrichtung geht insofern über die Pflicht zur Anhörung hinaus, als die Anhörung regelmäßig eine entsprechende Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung voraussetzt, sich darin aber nicht erschöpft, sondern darüber hinaus verlangt, dass dem Schwerbehindertenvertreter Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird und der Arbeitgeber eine entsprechende Stellungnahme auch zur Kenntnis nimmt. Die Anhörungspflicht bezieht sich nicht auf sämtliche, die schwerbehinderten Menschen betreffenden Angelegenheiten, sondern nur auf die diesbezüglichen Entscheidungen des Arbeitgebers. Entscheidungen in diesem Sinne sind die einseitigen Willensakte des Arbeitgebers. Auch Sinn und Zweck des Anhörungsrechts zielt darauf ab, der Schwerbehindertenvertretung die Möglichkeit zu geben, an der Willensbildung des Arbeitgebers mitzuwirken. Diese soll Gelegenheit haben, den Arbeitgeber aus ihrer fachlichen Sicht auf mögliche, vielleicht nicht bedachte Auswirkungen seiner Entscheidung hinzuweisen. Anders als die Unterrichtung hat die Anhörung nicht "unverzüglich", sondern "vor" der Entscheidung zu erfolgen. Der Arbeitgeber genügt daher seiner Pflicht zur Anhörung nicht, wenn er die Schwerbehindertenvertretung erst nach der Entscheidung anhört (
BAG Beschluss 14. März 2012 -
7 ABR 67/10 = AP
Nr. 4 zu § 95
SGB X). Im vorliegenden Fall war der Schwerbehindertenobmann im Betrieb der Beklagten, Herr I2, in seiner Eigenschaft als Betriebsratsmitglied von Anfang an bei den Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans beteiligt. Er hatte dadurch gleichsam aus erster Hand alle notwendigen Informationen. Da ein besonderes Verfahren und eine besondere Form für die Unterrichtung nicht vorgeschrieben sind, hält die Kammer jedenfalls im vorliegenden Fall, die Unterrichtungspflicht für gewahrt. Auch das Merkmal der Unverzüglichkeit ist gewahrt, weil die Beklagte erst aufgrund des Interessenausgleichs vom 11. April 2017 abschließend einen Kündigungswillen dahin bilden konnte, alle Arbeitnehmer zum 31. Dezember 2017 zu entlassen. Dass sie womöglich schon zu einem früheren Zeitpunkt entschlossen war, ihren Betrieb stillzulegen, steht dieser Annahme nicht entgegen. Unstreitig stand noch in der Betriebsversammlung am 28. Februar 2017 eine Betriebsschließung zum 31. Oktober 2017 im Raum. Erst aufgrund der Verhandlungen mit dem Betriebsrat wurde ein späterer Zeitpunkt, nämlich der 31. Dezember 2017, vereinbart. Vorher wäre die Beklagte gar nicht in der Lage gewesen, die Schwerbehindertenvertretung zu unterrichten. Die Kammer nimmt daher an, dass die Rechte der Schwerbehindertenvertretung und die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Anhörung vor Ausspruch der Kündigung gewahrt sind.
In Teilen der Rechtsprechung und Literatur wird allerdings angenommen, dass die nach § 178
Abs. 2 Satz 3
SGB IX erforderliche Anhörung der Schwerbehindertenvertretung der Beantragung der Zustimmung zur Kündigung beim zuständigen Integrationsamt nach
§ 168 SGB IX (bis 31. Dezember 2017:
§ 85 SGB IX) vorauszugehen hat (etwa Sächsisches
LAG 8. Juni 2018 -
5 Sa 458/17 - juris;
ArbG Hagen 6. März 2018 -
5 Ca 1902/17 - juris; Schmitt, BB 2017, 2293, 2298; Klein, NJW 2017, 852, 854; Bayreuther, NZA 2017, 87, 90; ErfK/Rolfs, a.a.O. Rn 9). Die Kammer vermag dieser Rechtsauffassung, die jedenfalls unter Berücksichtigung der entsprechend anzuwendenden Wochenfrist nach § 102
Abs. 2 Satz 1
BetrVG hier zur Unwirksamkeit der Kündigung vom 29. Mai 2017 führen würde, nicht zu folgen. Sie geht vielmehr von der Annahme aus, dass § 178
Abs. 2
SGB IX eine bestimmte Reihenfolge der Beteiligung von Schwerbehindertenvertretung und Integrationsamt nicht zwingend vorschreibt. Etwas anderes lässt sich weder dem Gesetzeswortlaut, noch den Gesetzesmaterialien, die sich dazu ausschweigen, noch der Gesetzessystematik entnehmen. Dabei ist zunächst zu beachten, dass zu unterscheiden ist zwischen der Verpflichtung des Arbeitgebers, die Schwerbehindertenvertretung unverzüglich und umfassend in allen Angelegenheiten zu unterrichten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren und seiner Verpflichtung, die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch einer Entscheidung anzuhören. Mit Entscheidung kann in diesem Zusammenhang nur der Ausspruch der Kündigung selbst gemeint sein, weil der Arbeitgeber auch nach einer Zustimmung des Integrationsamts keineswegs verpflichtet ist, eine Kündigung auszusprechen und beispielsweise aufgrund einer entsprechenden Stellungnahme im Rahmen der Betriebsratsanhörung, für die nach insoweit wohl einhelliger Auffassung eine zeitliche Reihenfolge zwischen Betriebsratsanhörung und Einholung der Zustimmung des Integrationsamts nicht zu beachten ist (etwa
BAG 23. Oktober 2008 - 2 AZR 263/07 = AP
Nr. 18 zu
§ 1 KSchG 1969 Namensliste), noch von einer beabsichtigten Kündigung absehen kann. Insbesondere lässt sich § 178
Abs. 2
SGB IX nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber der Schwerbehindertenvertretung im Vergleich zum Betriebsrat eine gewichtigere Rolle einräumen wollte. Der Arbeitgeber ist daher frei darin, erst nach Übermittlung der Zustimmung des Integrationsamts zu der beabsichtigten Kündigung eines schwerbehinderten Menschen die in seinem Betrieb gebildete Schwerbehindertenvertretung nach § 178
Abs. 2 Satz 3
SGB IX anzuhören (wie hier: Schaub/Koch, Arbeitsrechtshandbuch, 17. Auflage 2017, § 180 Rn. 14; Mühlmann, NZA 2017, 884, 887; Schnelle, NZA 2017, 880, 881; Kleinebrink, DB 2017, 126, 128; Meißner, DB 2018, 1862). Daher ist die streitgegenständliche Kündigung auch nicht nach § 178
Abs. 2 Satz 3
SGB IX unwirksam.
4. Nach alledem steht fest, dass die streitgegenständliche Kündigung der Beklagten vom 29. Mai 2017 das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2017 aufgelöst hat. Das Arbeitsgericht Paderborn hat daher die Klage zu Recht abgewiesen. Die Berufung des Klägers muss somit erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97
Abs. 1
ZPO.
Die Kammer hält es gemäß § 72
Abs. 2
Nr. 1
ArbGG für geboten, die Revision zuzulassen, weil höchstrichterlich noch nicht geklärt ist, ob die nach § 178
Abs. 2 Satz 3
SGB IX erforderliche Anhörung der Schwerbehindertenvertretung zwingend vor Einholung der Zustimmung zur Kündigung beim zuständigen Integrationsamt abgeschlossen sein muss. Zugleich liegt in dieser Frage eine Divergenz
i. S. v. § 72
Abs. 2
Nr. 2
ArbGG vor, da das Sächsische
LAG (5 Sa 478/17 a.a.O.) abweichend zu der hier vertretenen Rechtsauffassung entschieden hat.