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Urteil
Betriebsübergang - Betriebsschließung - Betriebsbedingte Kündigung - Gemeinschaftsbetrieb - Schwerbehindertenvertretung - Anhörung

Gericht:

LAG Hamm 4. Kammer


Aktenzeichen:

4 Sa 1592/17


Urteil vom:

22.08.2018


Grundlage:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 06.09.2017 - 4 Ca 810/17 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Der 1962 geborene Kläger war seit 1984 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen gegen ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von zuletzt 3.843,00 Euro beschäftigt. Er ist einem schwerbehinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung von 40 gleichgestellt.

Zuletzt war das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 01. Juni 2016 im Wege des Betriebsübergangs von einer Firma Q GmbH auf die Beklagte übergegangen. Über das Vermögen der Q GmbH war zu diesem Zeitpunkt das Insolvenzverfahren eröffnet gewesen. Vor dem Betriebsübergang hatte diese mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat am 24.05.2016 einen Interessenausgleich vereinbart, der neben einem Personalabbau im Wege des Erwerberkonzepts auch eine Betriebsaufspaltung vorsah. Nach Maßgabe des § 2 Ziff. 6.7 des Interessenausgleichs wurden 17 namentlich benannte Arbeitnehmer dem Betriebsteil Logistik zugeordnet, der zum 01.06.2016 gesondert auf ein Schwesterunternehmen der Beklagten, die S GmbH, übertragen wurde. Die Beklagte übernahm den Betriebsteil "EMS" mit 126 Arbeitnehmern, die S1 UG die Produktionsmittel. Wegen der Einzelheiten des Interessenausgleichs vom 24. Mai 2016 wird auf Aktenblatt 83 bis 85 Bezug genommen. Am gleichen Tag schlossen die Betriebsparteien der Q GmbH noch eine Sanierungsbetriebsvereinbarung, wegen deren Inhalt auf Aktenblatt 134 und 135 verwiesen wird.

Die Beklagte fertigte am Standort Q1 elektronische Baugruppen in vier Produktionslinien und zwar überwiegend für die Automobilindustrie. Zuletzt hatte sie folgende Firmen als Kundenstamm: E, L, I, C, I1, L1, T, U, N, H, U1, C1, U2, T1 und D. Sie bildete zunächst mit der S GmbH, die mit zuletzt 19 Arbeitnehmern weiterhin werbend tätig ist, einen gemeinsamen Betrieb. In einer Betriebsversammlung am 28. Februar 2017 teilte sie ihrer Belegschaft mit, sie beabsichtige, ihren Betrieb zum 31. Oktober 2017 zu schließen. Unter dem 13. März 2017 schlossen sie, die S GmbH sowie der für beide Unternehmen zuständig gebliebene Betriebsrat einen "Interessenausgleich zur Spaltung des Gemeinschaftsbetriebs", der eine Beendigung des Gemeinschaftsbetriebs zum 31.03.2017 vorsieht. Zu den Einzelheiten wird auf Aktenblatt 92 und 93 Bezug genommen. Wegen der beabsichtigten Schließung des Betriebs vereinbarte die Beklagte mit dem Betriebsrat am 11. April 2017 ein Interessenausgleich (Aktenblatt 26 - 28) sowie einen Sozialplan (Aktenblatt 29 - 34).

Zum 31. Dezember 2017 wurde der Betrieb der Beklagten in Q1 geschlossen.

Gesellschafterin der Beklagten sowie der S GmbH ist die S GmbH, die in ihrem Betrieb in O bei T3 ebenfalls elektronische Baugruppen fertigt und außerdem ein Werk in S2 unterhält. Nach der Schließung des Betriebs der Beklagten übernahm sie einen Großteil der Maschinen und Anlagen, mit denen diese bis dahin produziert hatte, für ihren eigenen Betrieb. Der frühere Produktionsleiter der Beklagten, der Zeuge L2, sollte dort weiterbeschäftigt werden, was letztlich nicht realisiert wurde.

Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zunächst mit Schreiben vom 29. Mai zum 31. Dezember 2017 gekündigt, nachfolgend noch einmal mit Schreiben vom 30. August 2017 zum 31. März 2018. Wegen der zweiten Kündigung ist vor der erkennenden Kammer ein gesondertes Berufungsverfahren unter dem Aktenzeichen 4 Sa 16/18 anhängig. Wegen der Einzelheiten des Kündigungsschreibens, insbesondere der Art und Weise der Unterschriftsleistung durch den damaligen Geschäftsführer der Beklagten, C2, wird auf Aktenblatt 5 Bezug genommen.

Die Beklagte hat zu der streitgegenständlichen Kündigung vom 29.05.2017 in Kopie u.a. folgende Unterlagen zur Akte gereicht:

- Unterrichtungsschreiben gemäß § 17 Abs. 2 KSchG an den Betriebsratsvorsitzenden vom 24. April nebst Empfangsbestätigung vom gleichen Tag (Aktenblatt 35 - 37)
- Stellungnahme des Betriebsratsvorsitzenden zum Konsultationsverfahren vom 26. April 2017 (Aktenblatt 38)
- Betriebsratsanhörung gemäß § 102 BetrVG vom 11. April 2017 (Aktenblatt 39 - 40)
- Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit vom 26. April 2017 (Aktenblatt 118 - 123)
- Schreiben der Agentur für Arbeit Q1 vom 27. April 2017 (Aktenblatt 41)
- Informationsschreiben an die Kunden und Geschäftspartner vom 01. März 2017 (Aktenblatt 90)
- Pressemitteilung vom 02. März 2017 (Aktenblatt 91)
- Kündigung der Insolvenzverwalterin vom 14. März 2017 gegenüber der Beklagten bezüglich des Betriebsgrundstücks (Aktenblatt 95)
- "ZP-Rundschreiben Nr. 34/93" vom 23. Juli 1993 nebst Anlage (Aktenblatt 136).

Zweitinstanzlich hat die Beklagte die Ablichtung des Personalausweises des Geschäftsführers der Beklagten C2 auf Aktenblatt 220 überreicht.

Da der Kläger einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist, hörte die Beklagte mit Schreiben vom 26. April 2017 den Vorsitzenden der Schwerbehindertenvertretung I2 zur beabsichtigten Kündigung des Klägers an (Aktenblatt 42 - 43) und beantragte mit Schreiben vom gleichen Tag beim LWL Integrationsamt Westfalen die diesbezügliche Zustimmung, die mit Bescheid vom 5. Mai 2017 erteilt wurde (Aktenblatt 44 - 47). Der Schwerbehindertenobmann I2 war zugleich Mitglied des Betriebsrats der Beklagten und als solches an den Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs und eines Sozialplans beteiligt.

Der Kläger hält die streitgegenständlichen Kündigungen für unwirksam. Er hat dazu vorgetragen, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die vollständige Schließung des Betriebs der Beklagten werde bestritten. Gleiches gelte für die Beendigung des gemeinsamen Betriebs der Beklagten und der S GmbH. Bei den Geschäftsführern habe Personenidentität vorgelegen. Die beiden Unternehmen nutzten weiterhin das gleiche EDV-System. Bei Störungen werde Herr X eingesetzt. Herr I3 sei für beide Firmen als Programmierer tätig. Auch die gesamte Personalsachbearbeitung erfolge immer noch durch die gleichen Personen. Die Arbeitsplätze im Lager blieben erhalten und es bestehe dort erheblicher Arbeitskräftemangel. Es hätte eine soziale Auswahl mit den bei der S GmbH beschäftigen Arbeitnehmern erfolgen müssen. Die Spaltung des gemeinsamen Betriebs habe ausschließlich dem Zweck gedient, das Erfordernis der sozialen Auswahl im Betrieb der Beklagten beiseite zu räumen. Bestritten werde auch, dass die Beklagte die Produktion elektronischer Baugruppen beende. Seit Herbst 2016 sei die Fertigung für eine Fa. T2 an die S GmbH abgegeben worden. Auch weitere Aufträge würden künftig in O bearbeitet. Dazu würde der überwiegende Teil der Produktionsanlagen nach O verlagert. Es seien schon Pläne erstellt worden, wie die vier Produktionslinien in O aufgebaut werden sollten. 26 der bisher in Q1 eingesetzten Maschinen und neun aus O sollten verkauft, acht weitere Maschinen aus Q1 verschrottet werden. Um die Zertifizierung der Produktion in O zu erreichen, habe man sich die Kenntnisse des bisherigen Produktionsleiters der Beklagten zunutze machen wollen. Ausdrücklich bestritten werde, dass mit den bisherigen Kunden der Beklagten in O lediglich ein Jahresumsatz von 2 Mio. Euro erzielt werde. Die Richtigkeit der von der Beklagten vorgetragenen Umsatzzahlen werde bestritten. Außerdem werde bestritten, dass nur die bisherigen Kunden T2, T1 sowie C1 nach O abgegeben worden seien. Mindestens noch die Aufträge der Fa. D würden künftig in O gefertigt. Außerdem werde im Betrieb davon gesprochen, dass auch die Fa. N das Produkt RFP in O fertigen wolle. Es liege mindestens ein Teilbetriebsübergang vor. Die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats werde bestritten. Ferner werde ausdrücklich bestritten, dass eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige vorliege. Da der Produktionsleiter Herr L2 seinen Arbeitsplatz nicht verlieren werde, aber davon auszugehen sei, dass auch der Wegfall seines Arbeitsplatzes angezeigt worden sei, sei die Anzeige inhaltlich falsch gewesen. Außerdem habe die Beklagte das Schreiben des Betriebsratsvorsitzenden vom 26. April 2017 als abschließende Stellungnahme des Betriebsrats der Agentur für Arbeit vorgelegt, obwohl es für sie offensichtlich gewesen sei, dass es keinen Beschluss des Betriebsrats hierzu gegeben habe. An der Betriebsratssitzung hätten 13 Personen teilnehmen müssen. Diese hätten sich mit Ausnahme des Betriebsratsvorsitzenden alle in ihren Abteilungen abmelden müssen, was nicht geschehen sei, wie die Beklagte gewusst habe. Die Kündigung sei auch unwirksam, weil sie ohne Zustimmung des Integrationsamts erfolgt sei. Das Kündigungsschreiben sei nicht ordnungsgemäß unterschrieben. Es enthalte lediglich die Paraphe des Geschäftsführers der Beklagten C2. Mit Nichtwissen werde bestritten, dass die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung angehört worden sei.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.05.2017 nicht beendet wird,

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Servicetechniker weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, ihr Geschäftsführer C2 zeichne stets in der Weise, wie in den Kündigungsschreiben ersichtlich. Die streitgegenständlichen Kündigungen seien wegen Schließung ihres Betriebs zum 31. Dezember 2017 sozial gerechtfertigt. Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bestehe nicht. Sie habe vor dem Hintergrund einer schlechten wirtschaftlichen Lage die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Geschäftsbetrieb zum genannten Zeitpunkt vollständig stillzulegen. Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats seien gewahrt. Alle Vorgaben des § 17 KSchG seien eingehalten. Die erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes liege vor. Da sämtliche Arbeitsverhältnisse zum 31. Dezember 2017 beendet worden seien, sei eine Sozialauswahl entbehrlich gewesen. Wegen der Schließung des Betriebsteils Automotive sei eine Trennung des bisher gemeinsam geführten Betriebes erforderlich geworden. Dies sei im Interessenausgleich vom 13. März 2017 so vereinbart und mit Wirkung zum 1. April 2017 auch umgesetzt worden. Die personelle Leitung sei aufgeteilt und die Berechtigungen so geändert worden, dass ihre Mitarbeiter zum Betrieb Logistik keinen Zutritt mehr gehabt hätten und umgekehrt. Die Personalakten seien bereits im März 2017 ausgesondert worden. Lohnabrechnungen und weitere Verwaltungsarbeiten erfolgten extern. Zum Versand bestimmte Waren würden über eine "Klappe" übergeben. Ohnehin führe die S GmbH zu 98 % Fremdaufträge aus.

Sie habe die Beendigung des Mietverhältnisses über die Betriebsräume eingeleitet und sei mit der Schließungsabsicht in Verhandlungen mit dem Betriebsrat eingetreten. Über den Interessenausgleich sei mehrere Wochen beraten worden. Dabei sei die Schließung um zwei Monate nach hinten verschoben worden. Die Betriebsratsanhörungen seien dem Betriebsrat in einem alle Mitarbeiter umfassenden Aktenordner mit 126 Einzelanhörungen am 11. April 2017 zugestellt worden. Bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleichs vom gleichen Tag habe der Betriebsrat über sämtliche nach § 17 Abs. 2 KSchG relevanten Informationen verfügt mit Ausnahme der Berufsgruppen. Diese Unterlage sei mit Schreiben vom 24. April 2017 an den Betriebsratsvorsitzenden übergeben worden. Eine Frist zur Stellungnahme habe sie nicht gesetzt. Dennoch habe der Betriebsrat abschließend am 26. April 2017 Stellung genommen. Am 27. April 2017 habe sie bei der zuständigen Agentur für Arbeit Q1 die Massenentlassung angezeigt und nach Erhalt der Eingangsbestätigung noch an gleichen Tag mit dem Ausspruch der Kündigungen gegenüber den Mitarbeitern begonnen, für die keine Zustimmung des Integrationsamtes erforderlich gewesen sei. Für solche Mitarbeiter sei am 26. April 2017 die Schwerbehindertenvertretung angehört worden und mit Schreiben vom gleichen Tag ein entsprechender Antrag beim zuständigen Integrationsamt gestellt worden.

Zum behaupteten Betriebsübergang auf die S GmbH sei kein substantiierter Sachverhalt vorgetragen, aus dem sich ein Übergang einer arbeitsorganisatorischen Einheit ergebe. Es treffe nicht zu, dass die Betriebszwecke der beiden Beklagten nahezu identisch seien. Die Kunden seien vollständig unterschiedlich. Eine Übernahme ihrer bisherigen Aufträge durch die S GmbH habe es nicht gegeben. Vielmehr hätten zwölf von 17 bisherigen Kunden dies verbindlich ausgeschlossen. Dies gelte insbesondere auch für die umsatzstärksten Kunden I und N. Zur Übernahme eines Kundenauftrags bedürfe es einer neuen, sehr aufwendigen und kostspieligen Zertifizierung. Diese gelte für den jeweiligen Produktionsstandort und sei nicht übertragbar. Der frühere Kunde T2 habe schon kurz nach der damaligen Betriebsübernahme den Wunsch geäußert, die Zusammenarbeit zu beenden und bereits Ende 2016 der S GmbH Aufträge erteilt. Ein kleiner Auftrag mit einem Umsatzvolumen von 500.000,00 Euro werde ihr bisheriger Kunde C1 ab 2018 der S GmbH erteilen. Für die Kunden U2 (250.000,00 Euro Umsatz), T1 (750.000,00 Euro Umsatz) und D (500.000,00 Euro Umsatz) sei eine zukünftige Beauftragung der S GmbH zunächst nicht ausgeschlossen gewesen. Tatsächlich habe aber nur die Firma T1 im Jahr 2018 der S GmbH einen weiteren Auftrag mit einem Volumen von 730.000,00 Euro erteilt. Von ihrem bisherigen Umsatzvolumen in Höhe von 26.000.000,00 Euro gehe somit nur ein Umsatzanteil von 1,3 Millionen Euro zukünftig an die S GmbH. Weder Maschinen noch Mitarbeiter von ihr würden dafür eingesetzt. Es handele sich um eine reine Auftragsnachfolge und nicht um einen Übergang einer arbeitsorganisatorischen Einheit. Die in ihrem Betrieb genutzten Betriebsmittel stünden im Eigentum der S1 UG. Es handele sich um Standardmaschinen für die EMS-Produktion, wobei unterschiedliche Einzelmaschinen zu einer Linie kombiniert würden. Jede einzelne Maschine sei vollständig austauschbar und könne nahezu von jedem EMS-Dienstleister ohne weiteres genutzt werden. Die Übernahme der jeweiligen Arbeitsorganisation sei dafür nicht erforderlich.

Das Arbeitsgericht Paderborn hat die Klage durch Urteil vom 6. September 2017 in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung führt es aus, die zulässige Klage sei nicht begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien werde durch rechtswirksame Kündigung der Beklagten vom 29. Mai 2017 zum 31. Dezember 2017 beendet. Die Kündigung verstoße nicht gegen § 623 BGB. Die Kündigung sei ordnungsgemäß mit einer Unterschrift des Geschäftsführers der Beklagten C2 versehen und nicht lediglich mit einer Paraphe. Es liege ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender Schriftzug vor, der individuelle und entsprechend charakteristische Merkmale enthalte. Hinzu komme, dass es sich nicht um ein Schreiben ohne Urheberangabe handele, sondern unter dem Schriftzug in Maschinenschrift "C2" stehe. Außerdem unterschreibe dieser auch sonst in gleicher Weise. Die Kündigung sei gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Sie sei durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Beschäftigung des Klägers im Betrieb der Beklagten entgegenstünden, bedingt. Kündigungsgrund sei die geplante Betriebsstilllegung zum 31. Dezember 2017. Nachdem die Beklagte die unternehmerische Entscheidung zur Stilllegung getroffen habe, habe sie alle Mitarbeiter in einer Betriebsversammlung am 28. Februar 2017 informiert, mit Schreiben vom 1. März 2017 die Kunden unterrichtet und am 2. März 2017 eine Presseerklärung veröffentlicht. Damit habe sie unumkehrbare Schritte hinsichtlich des Ob der Betriebsschließung getan. Außerdem habe sie mit dem Vermieter der Betriebsimmobilie eine Einigung dahin erzielt, die Räumlichkeiten bis Ende 2017 nutzen zu können. Angesichts des schlüssigen und durch Anlagen belegten Vortrags der Beklagten sei das Bestreiten des Klägers unerheblich. Weiter spreche für die Umsetzung des Stilllegungsentschlusses, dass diese allen Mitarbeitern gekündigt habe. Soweit der Kläger die beabsichtigte Betriebsschließung zum 31. Dezember 2017 bestreite, fehle es dem ebenfalls an hinreichender Substanz. Soweit er ferner die von der Beklagten genannten Umsatzzahlen bestreite, hätte er angesichts der substantiierten Darlegung der Beklagtenseite zumindest Anhaltspunkte dafür vortragen müssen, dass diese Zahlen nicht stimmten. Ein freier Arbeitsplatz für eine Weiterbeschäftigung des Klägers existiere nicht. Aufgrund der vollständigen Betriebsschließung fielen alle Beschäftigungsmöglichkeiten weg. Eine unternehmensübergreifende Weiterbeschäftigungspflicht bei der S GmbH bestehe nicht, und zwar unabhängig davon, ob dort überhaupt ein freier Arbeitsplatz vorhanden sei. Aufgrund des Interessenausgleichs vom 13. März 2017 sei die gemeinschaftliche Betriebsführung aufgehoben worden. Allein der Umstand, dass eine Person mehrere Unternehmen leite, bedeute nicht zwangsläufig, dass sie diese Aufgaben für alle Unternehmen einheitlich wahrnehme. Auf eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit bei der S GmbH könne sich der Kläger ebenfalls nicht berufen. Das Kündigungsschutzgesetz sei nicht konzernbezogen. Eine Sozialauswahl sei nicht durchzuführen gewesen, da die Beklagte im Rahmen der geplanten Betriebsstilllegung sämtlichen Mitarbeitern gekündigt habe. Die Kündigung sei auch nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat sei mit Schreiben vom 11. April 2017 ordnungsgemäß angehört worden. Die Kündigung verstoße auch nicht gegen § 17 KSchG. Die Vorgaben des § 17 Abs. 3 KSchG seien eingehalten. Auch das in § 17 Abs. 2 KSchG vorgesehene Konsultationsverfahren sei nicht zu beanstanden. Mit Schreiben vom 24. April 2017 sei der Betriebsrat ordnungsgemäß unterrichtet worden. Auch hier gelte, dass vor dem Hintergrund der umfangreichen und substantiierten Darlegung der Beklagten das Bestreiten mit Nichtwissen als unerheblich zu qualifizieren sei. Vielmehr habe der Betriebsratsvorsitzende den Empfang des Anhörungsschreibens am 24. April 2017 ausdrücklich bestätigt und mit Schreiben vom 26. April 2017 erklärt, dass der Betriebsrat rechtzeitig und vollständig unterrichtet worden sei. Zugleich habe er erklärt, dass das Konsultationsverfahren beendet sei und keine weiteren Einwendungen erhoben würden. Weitere Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung des Konsultationsverfahrens bestünden nicht. Die Kündigung verstoße auch nicht gegen das Kündigungsverbot des § 613 Abs. 4 BGB. Ein Betriebsübergang auf die S GmbH liege nicht vor. Die Beklagte habe ein überwiegend produzierendes Gewerbe ausgeübt, bei dem die sächlichen Betriebsmittel prägend gewesen seien. Nach dem insoweit unbestrittenen Vorbringen der Beklagten seien aufgrund der Lizenzvorgaben der Kunden vor allem das Know-how der Mitarbeiter sowie die für jede Produktionsstätte einzeln vergebenen Zertifizierungen maßgebend und betriebsprägend gewesen. Hinsichtlich des Übergangs der Aktiva kämen einzig die Produktionsmaschinen in Betracht, die aber im Eigentum S1 UG gestanden hätten. Es sei überhaupt nicht absehbar, wie viele Maschinen von der S GmbH überhaupt übernommen würden. Der Kläger sei dem ausführlichen Beklagtenvortrag nur pauschal entgegengetreten. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass die Maschinen umprogrammierbar und damit austauschbar seien. Hinsichtlich der Kundenbeziehungen stehe fest, dass die S GmbH zumindest bislang lediglich einen Auftrag der Beklagten übernommen habe. Diese habe umfassend vorgetragen, dass 12 von 17 Kunden verbindlich ausgeschlossen hätten, künftig bei der S GmbH produzieren zu lassen, darunter die drei umsatzstärksten Kunden. Sofern man das Knowhow der Mitarbeiter als betriebsprägend ansehe, spreche der Nichtübergang des Personals maßgeblich gegen einen Betriebsübergang. Die Kündigung sei auch nicht nach § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX unwirksam. Die Schwerbehindertenvertretung sei mit Schreiben vom 26. April 2017 ordnungsgemäß angehört worden. Das Schreiben enthalte hinreichende Informationen, um die schwerbehindertenspezifischen Belange im Hinblick auf die beabsichtigte Kündigung umfassend würdigen zu können. Das Integrationsamt habe mit Bescheid vom 5. Mai 2017 die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung erklärt. Der Weiterbeschäftigungsantrag sei ebenfalls abzuweisen gewesen, nachdem das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 31. Dezember 2017 ende.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Urteils wird auf Aktenblatt 149 bis 169 verwiesen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 12. Oktober 2017 zugestellte Urteil mit am 6. November 2017 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 12. Januar 2018 mit am 12. Januar 2018 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Der Kläger trägt vor, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass ein Betriebsübergang auf die Firma S GmbH nicht stattgefunden habe. Entscheidend sei, dass die Betriebsmittel der Beklagten nach dorthin übergingen und dort mithilfe der Maschinen drei neue Produktionslinien aufgebaut würden. Mitarbeiter der Beklagten hätten die Maschinen umprogrammiert, damit diese in O hätten Verwendung finden können. Außerdem sei die Kündigung wegen § 17 KSchG unwirksam. Unstreitig habe die Beklagte dem Betriebsrat zunächst die Berufsgruppen nach § 17 Abs. 2 KSchG nicht mitgeteilt gehabt. In diesem Zusammenhang sei die Frage aufzuwerfen, ob die Sphärentheorie Anwendung finde, wenn der Arbeitgeber Informationen nachhole, um auf diesem Weg einen Verstoß gegen seine Unterrichtungsverpflichtung zu heilen. Im gleichen zeitlichen Zusammenhang sei mit dem Betriebsrat die Trennung des zuvor bestehenden Gemeinschaftsbetriebs geregelt worden. Ob der Betriebsrat bei Kenntnis der Berufsgruppen der Betriebsvereinbarung zugestimmt hätte, sei offen.

Der Kläger hat zunächst angekündigt, in der mündlichen Verhandlung zu beantragen, unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27.04.2017 nicht beendet worden ist. Nach einem rechtlichen Hinweis der Kammer hat er in der mündlichen Verhandlung seinen Antrag umgestellt und

beantragt nunmehr,

das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 06.09.2017, Az.: 4 Ca 810/17 teilweise abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.05.2017 nicht beendet worden ist.

Die Beklagte rügt die Umstellung des Berufungsantrags und beantragt,

die Berufung des Klägers als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und trägt ergänzend vor, einen Sachverhalt, aus dem sich der Übergang des Betriebs der Beklagten auf die S GmbH in O ergeben könne, habe der Kläger nicht vorgetragen. Es treffe nicht zu, dass die S GmbH in O neue Produktionslinien aufgebaut habe. Vielmehr habe es dort schon lange drei Produktionslinien gegeben und es seien keine weiteren hinzugekommen. Bei den Produktionslinien handele es sich um die Verkettung von verschiedenen EMS-Einzelmaschinen, die in einer Reihe zusammengestellt seien, um verschiedene Arbeitsschritte nacheinander bearbeiten zu können. Die S GmbH habe die Betriebsauflösung lediglich genutzt, um die seit Jahren bestehenden Produktionslinien an verschiedenen Positionen durch den Einbau von Einzelmaschinen zu vereinheitlichen, um den Wartungsaufwand zu reduzieren. Eine betriebliche Einheit sei nicht auf sie übergegangen. An den erneuerten Produktionslinien arbeiteten die gleichen Mitarbeiter, die dort seit Jahren tätig seien. Es würden die gleichen Aufträge bearbeitet wie in der Vergangenheit und keine aus Q1 übernommenen Aufträge. Zum Umfang der Aufträge, die zuvor in Q1 bearbeitet worden seien, habe sie bereits eingehend Stellung genommen. Es seien lediglich in geringfügigem Umfang Aufträge an die S GmbH gegangen. Im Übrigen trage der Kläger selbst vor, dass die Maschinen hätten umprogrammiert werden müssen, damit sie in O hätten Verwendung finden können. Somit sei keine bestehende Einheit unter Wahrung der betrieblichen Identität übernommen worden. Aufgrund des Erfordernisses der Zertifizierung der Produktion eines Produkts an einem neuen Standort sei die Übernahme der bisherigen Produktionseinheit durch die Übernahme der Maschinen schlichtweg unmöglich. Soweit die Klägerseite vortrage, dass sie dem Betriebsrat dies Berufsgruppen nach § 17 Abs. 2 KSchG zunächst nicht mitgeteilt habe, habe sie selbst nicht nur vorgetragen, dass dem Betriebsrat bei Abschluss des Interessenausgleichs vom 11. April 2017 die Informationen über sämtliche Berufsgruppen vorgelegen hätten. Vielmehr seien am 24. April 2017 noch einmal sämtliche Informationen in einem Dokument dem Betriebsrat übergeben worden. Sie hätten dem Betriebsrat somit mehrere Tage vor der abschließenden Stellungnahme vorgelegen. Im Falle einer Betriebsschließung bedürfe es der Mitteilung der Berufsgruppen noch nicht einmal zwingend. Wenn der Betriebsrat aber am 26. April 2017 eine abschließende Erklärung abgebe und mitteile, dass sein Beratungsanspruch erfüllt sei, könne dies dahinstehen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Rechtsweg:

ArbG Paderborn, Urteil vom 06.09.2017 - 4 Ca 810/17
BAG - 2 AZR 29/19 (anhängig)

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthaft und wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Soweit der Kläger in seinem Berufungsantrag ein falsches Kündigungsdatum angibt, führt dies nicht zu einem Verstoß gegen § 520 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Berufungsanträge sind, wie jede Prozesshandlung, der Auslegung zugänglich. Entscheidend ist der objektive, dem Empfänger vernünftigerweise erkennbare Sinn der Erklärung. Dabei ist davon auszugehen, dass die Partei das anstrebt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage der Partei entspricht. Die schutzwürdigen Belange des Erklärungsadressaten sind zu berücksichtigen. Bei einem offensichtlichen Irrtum (z.B. Verschreiben) ist eine berichtigende Auslegung möglich (BGH 10. Juni 2003 - VIII ZB 126/02 = NJW 2003, 3418 f.; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018 Vor. § 128 Rn. 25). Hinsichtlich des Datums der streitgegenständlichen Kündigungserklärung (27. April 2017 anstatt richtig 29. Mai 2017) handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen. Es ist wegen zahlreicher Parallelverfahren gerichtsbekannt, dass die Beklagte allen Arbeitnehmern, die nicht dem besonderen Schutz für schwerbehinderte Menschen unterfielen, unter dem 27. April 2018 gekündigt hat. Der Kläger gehört zu dem Personenkreis, dem erst nach einer Zustimmungserklärung des zuständigen Integrationsamts gekündigt werden konnte. Er hat sich von Anfang an gegen die Kündigung vom 29. Mai 2017 zur Wehr gesetzt und dies war sowohl für die Kammer, als auch für die Beklagte ohne weiteres erkennbar. Es liegt auf der Hand, dass bei der Abfassung der Berufungsbegründungsschrift nach Anwendung des "Copy-and-Paste-Verfahrens" schlicht versäumt wurde, das Kündigungsdatum zu korrigieren. Bezeichnenderweise hat die Beklagte diesbezüglich zunächst keine Rüge erhoben und erst in der mündlichen Verhandlung, als die Kammer die Antragsfassung thematisierte, Verwerfung der Berufung als unzulässig beantragt.

Die Berufung des Klägers ist aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht Paderborn hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund wirksamer ordentlicher Kündigung der Beklagten vom 29. Mai 2017 zum 31. Dezember 2017. Ein Betriebsübergang i. S. v. § 613a Abs. 1 BGB auf die S GmbH liegt nicht vor. Die Kammer folgt der sorgfältig begründeten erstinstanzlichen Entscheidung (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Mit Rücksicht auf das zweitinstanzliche Vorbringen des Klägers sind lediglich die nachfolgenden Hinweise angezeigt:

1. Der Wirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung steht nicht ein vom Kläger behaupteter Betriebsübergang i. S. v. § 613a Abs. 1 BGB entgegen. Die Kammer vermag nicht festzustellen, dass ein Betriebsübergang von der Beklagten auf die S GmbH zum Zeitpunkt des Ausspruchs der streitgegenständlichen Kündigung beabsichtigt war, was der Annahme einer Betriebsschließungsabsicht entgegenstünde und außerdem den Tatbestand des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB erfüllen dürfte. Ebenso wenig steht fest, dass tatsächlich zum 1. Januar 2018 ein Betriebsübergang stattgefunden hat.

Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs, der die Kammer folgt, setzt ein Betriebsübergang im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG sowie im Sinne des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB den Übergang einer auf Dauer angelegten, ihre Identität bewahrende wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit, voraus (BAG 25. Januar 2018 - 8 AZR 309/16 = NZA 2018, 933 ff.). Um eine solche Einheit handelt es sich bei jeder hinreichend strukturierten und selbständigen Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigenem Zweck. Die Kontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit bestehenden Arbeitsverhältnisse soll unabhängig von einem Inhaberwechsel gewährleistet werden. Entscheidend für einen Übergang i. S. d. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ist daher, dass die betreffende Einheit ihre Identität bewahrt, was namentlich dann zu bejahen ist, wenn der Betrieb tatsächlich weitergeführt oder wieder aufgenommen wird. Den für das Vorliegen eines Übergangs maßgebenden Kriterien kommt je nach der Art des betroffenen Unternehmens oder Betriebs, je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach den Produktions- und Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zu. Bei der Prüfung, ob eine solche Einheit ihre Identität bewahrt, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören namentlich die Art des Unternehmens oder Betriebs, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeiten. Diese Umstände sind jedoch nur Teilaspekte der vorzunehmenden Gesamtbewertung und dürfen deshalb nicht isoliert betrachtet werden (BAG 25. August 2016 - 8 AZR 53/15 = NZA-RR 2017, 123 ff.). Es hängt von der Struktur des Betriebs ab, welcher nach Zahl und Sachkunde zu bestimmende Teil der Belegschaft übernommen werden muss, um die Rechtsfolge des § 613a BGB auszulösen (BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 181/11 = BB 2012, 3144 ff.). Im produzierenden Gewerbe wird die wirtschaftliche Einheit stark von materiellen Aktiva geprägt (Gebäude, Maschinen, Produktionsanlage, Werkzeuge, Rohstoff, Halb- und Fertigfabrikate, Fahrzeuge und Transportgeräte). Denkbar ist, dass bei einem betriebsmittelgeprägten Betrieb ein Betriebsübergang auch ohne Übernahme von Personal vorliegen kann. Besondere Bedeutung kommt der Frage nach, ob der Erwerber die beim Veräußerer gebildete betriebliche Organisation übernimmt oder die Produktion mittels der in seinem Betrieb bereits bestehenden Organisation fortführt (ErfK/Preis, 18. Auflage 2018, § 613a BGB, Rn. 18; APS/Steffan, Kündigungsrecht, , 5. Auflage 2017, § 613a BGB, Rn. 30).

Im vorliegenden Fall kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass der ganz überwiegende Teil der Maschinen und Anlagen, die bisher im Betrieb der Beklagten genutzt wurden, von der S GmbH für ihren Betrieb in O oder für das Werk in S2 übernommen wurde, ohne dass es darauf ankommt, dass diese im Eigentum der S1 UG stehen. Die Beklagte hat vorgetragen, dass von den bis zum 31. Dezember 2017 in ihrem Betrieb genutzten Maschinen und Anlagen nunmehr etliche in den Maschinenpark der S GmbH integriert wurden, dabei aber keine Änderung im Betriebsablauf stattgefunden hat. Andere Maschinen und Anlagenkomponenten seien zunächst eingelagert worden und würden nicht verwendet. Der Kläger ist diesem Sachvortrag nicht qualifiziert entgegengetreten. Zwar kann von ihm nicht erwartet werden, dass er die Abläufe im Betrieb der S GmbH im Einzelnen kennt. Er muss aber zumindest insoweit qualifiziert bestreiten, indem er einen Sachverhalt vorträgt, der einen Betriebsübergang als möglich erscheinen lässt. Dies ist nicht der Fall. Seinem Sachvortrag lässt sich nicht entnehmen, dass er behaupten möchte, dass der bisher bei der Beklagten gebildete Betrieb unter Wahrung der wirtschaftlichen Identität von der S GmbH in O fortgeführt wird. Da es um einen Produktionsbetrieb geht, kommt den Maschinen und Produktionsanlagen zweifellos bei der Beurteilung, ob ein Betriebsübergang gegeben ist, im Sinne eines gewichtigen Indizes Bedeutung zu. Es ist aber in keiner Weise ersichtlich, dass die S GmbH mit vergleichbarer betrieblicher Organisation unter Wahrung der wirtschaftlichen Identität des Betriebs der Beklagten die Produktionsmittel in die in ihrem Betrieb bestehende betriebliche Organisation eingegliedert hat. Dem steht nicht nur entgegen, dass - insoweit unstreitig - die S GmbH auch bisher schon elektronische Bauteile produziert hat, ohne dass eine Erweiterung um die Produktionslinien der Beklagten ersichtlich wäre. Vielmehr wurde letztlich auch nicht ein einziger ehemaliger Arbeitnehmer der Beklagten von der S GmbH übernommen. Auch wenn dies im produzierenden Gewerbe nicht zwingend einem Betriebsübergang entgegensteht, ist dies ein erhebliches Indiz gegen die Annahme eines Betriebsübergangs. Für entscheidend hält die Kammer, dass nach dem Sachvortrag der Beklagten die S GmbH ihre wesentlichen Kundenbeziehungen gerade nicht übernommen hat. Unstreitig bedürfte dies jedenfalls bei dem größeren Teil der bisherigen Kunden der Beklagten einer neuen und aufwändigen Zertifizierung. Dass dazu konkrete Schritte eingeleitet wurden, behauptet auch der Kläger nicht. Dessen ungeachtet hat die Beklagte unwiderlegt vorgetragen, dass von ihren bisherigen Kunden nur in geringfügigem Umfang überhaupt Aufträge an die S GmbH vergeben wurden. Dabei hat die bereits im Jahr 2016 übernommene Kundenbeziehung zu der Firma T2 außen vor zu bleiben, weil dieser Vorgang ersichtlich deutlich vor dem Entschluss der Beklagten, den Betrieb stillzulegen, liegt. Im Übrigen räumt die Beklagte lediglich ein, dass die früheren Kunden C1 (Umsatz 500.000,00 Euro) und T1 (Umsatz 730.000 Euro) nunmehr bei der S GmbH produzieren lassen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass kurzfristig noch die zuletzt offenbar unentschlossenen früheren Kunden TRW (250.000,00 Euro) und D (500.000,00 Euro) hinzukämen, fiele das bei einem Gesamtumsatzvolumen bei der Beklagten von geplant 26.000.000,00 Euro für das Jahr 2017 nicht ins Gewicht.

Dessen ungeachtet müsste der Kläger im Rahmen eines qualifizierten Bestreitens zumindest behaupten, dass ein Betriebsübergang im Sinne der Übertragung einer wirtschaftlichen Einheit stattgefunden hat. Daran fehlt es. Sein Sachvortrag beschränkt sich im Kern darauf, darzustellen, dass die S GmbH einen wesentlichen Anteil der Maschinen und Anlagen von der Beklagten übernommen hat. Ansonsten bestreitet er den gegnerischen Vortrag pauschal. Zusammenfassend vermag die Kammer einen Betriebsübergang von der Beklagten auf die S GmbH nicht festzustellen. Dann hat es jedoch dabei zu verbleiben, dass die Kündigung vom 29. Mai 2017 wegen einer beabsichtigten Betriebsstilllegung seitens der Beklagten sozial gerechtfertigt ist und nicht wegen eines beabsichtigten Betriebsübergangs ausgesprochen wurde.

2. Das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG ist ordnungsgemäß durchgeführt worden, so dass auch aus diesem Grund eine Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung vom 27. April 2018 ausscheidet. Ob das Verfahren rechtzeitig eingeleitet worden ist, ist unerheblich, wenn in der Folge das Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt und zum Abschluss gebracht wurde (APS/Moll a.a.O., § 17 KSchG Rn. 72). Dies ist hier der Fall. Der Betriebsratsvorsitzende C3 hat mit Schreiben vom 26. April 2017 gegenüber der Beklagten bestätigt, dass der Betriebsrat rechtzeitig und vollständig nach § 17 Abs. 2 KSchG unterrichtet worden sei. Er führt des Weiteren aus, dass der Betriebsrat ausführlich über die geplante Betriebsschließung und die beabsichtigten Kündigungen informiert worden und schriftlich über die Gründe der geplanten Entlassungen unterrichtet worden sei. Dies gelte auch für die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollten, die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer sowie die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien. Ausdrücklich bestätigt der Betriebsratsvorsitzende darüber hinaus die Beendigung des Konsultationsverfahrens und erklärte abschließend, dass er keine weiteren Einwendungen erhebe. Angesichts dieser umfänglichen und eindeutigen Stellungnahme gehen die Einwendungen des Klägers fehl. Es mag sein, dass vordergründig betrachtet der Zeitraum von zwei Tagen zwischen der formalen Einleitung des Konsultationsverfahrens und der abschließenden Bestätigung, dass dieses abgeschlossen sei, sehr kurz ist. Der Kläger übersieht aber, dass durch die Vereinbarung des Interessenausgleichs und des Sozialplans vom 11. April 2017 alle relevanten Fragen im Zusammenhang mit der beabsichtigten Betriebsschließung bereits abschließend geklärt waren. Daher ist es konsequent, dass der Betriebsrat keine weiteren Beratungsbedarf mehr gesehen hat. Ihm fehlten nach Angaben der Beklagten nur noch die Angaben zu den Berufsgruppen nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 und 3 KSchG. Alle weiteren Fragen nach Maßgabe des § 17 Abs. 2 KSchG waren im Interessenausgleich bzw. im Sozialplan vom 11. April 2017 bereits geregelt. Die Aufstellung der Berufsgruppen ist für die Erstattung der Massenentlassungsanzeige eine notwendige Formalie, bei einer Schließung des gesamten Betriebs für die Betriebsparteien aber naturgemäß nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Bei dieser Sachlage kann der Beklagten nicht vorgehalten werden, sie habe den Betriebsrat "vor vollendete Tatsachen" gestellt. Im Übrigen behauptet auch der Kläger nicht, dass der Betriebsrat nicht die Möglichkeit gehabt hätte, weitere Beratungen zu verlangen. Dies ist aber offenbar aus den genannten Gründen nicht geschehen. Eine absolute Verhandlungsmindestdauer ist nicht vorgeschrieben (BAG 22. September 2016 - 2 AZR 276/16 = NZA 2017, 175 ff.).

Soweit der Kläger in der Berufungsbegründungsschrift einen Zusammenhang zwischen der Spaltung des Gemeinschaftsbetriebs und dem Konsultationsverfahren herstellt, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Betriebsspaltung Gegenstand eines Interessenausgleichs vom 13. März 2017 war. Dass insoweit der Unterrichtungs- und Beratungsanspruch des Betriebsrats nach § 111 Satz 1 BetrVG nicht beachtet wurde, macht auch der Kläger nicht geltend, jedenfalls trägt er dazu keine Tatsachen vor. Zum Zeitpunkt des Interessenausgleichs über die geplante Betriebsschließung vom 11. April 2017 war die vorher beschlossene und vollzogene Spaltung des Gemeinschaftsbetriebs keine Angelegenheit, die der erneuten Beratung bedurft hätte. Da die von der Beklagten beabsichtigte Betriebsänderung alle bestehenden Arbeitsverhältnisse betraf, ist nicht nachvollziehbar, inwieweit eine Kenntnis des Betriebsrats hinsichtlich der Berufsgruppen eine andere Entscheidung des Betriebsrats am 11. oder am 26. April 2017 hätte bewirken können. Zu Recht hat die Beklagte diesbezüglich außerdem auf eine einschlägige Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 9. Juni 2016 (6 AZR 405/15 = NZA 2016, 1198 ff.) hingewiesen.

3. Die Kündigung ist nicht nach § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX (bis 31. Dezember 2017: § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX) unwirksam. Dies hat der Kläger zweitinstanzlich auch nicht mehr gerügt. Da nach § 529 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Kammer grundsätzlich zu einer umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung verpflichtet ist, ohne an die geltend gemachten Berufungsgründe gebunden zu sein, hält sie eine eigene rechtliche Würdigung für angezeigt, weil wegen dieser Fragestellung die Revision zuzulassen war.

Nach § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX ist die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausspricht, unwirksam. Nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen.

Die Mitwirkungsrechte der Schwerbehindertenvertretung sind im vorliegenden Fall gewahrt. Die Beklagte hat die Schwerbehindertenvertretung mit Schreiben vom 26. April 2017 zu der vorgesehenen ordentlichen Kündigung des Klägers zum 31. Dezember 2017 angehört. Besondere Formvorschriften dazu enthält § 178 Abs. 2 SGB IX nicht. Auch die Frage, ob, in welcher Art und Weise und innerhalb welcher Fristen die Schwerbehindertenvertretung reagieren muss, hat keine Regelung erfahren. Hinsichtlich der Fristen wird allgemein angenommen, dass in Anlehnung an § 102 Abs. 2 BetrVG bei einer ordentlichen Kündigung eine Stellungnahme spätestens innerhalb von einer Woche nach Zugang und bei einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung innerhalb von drei Tagen mitzuteilen ist (etwa ErfK/Rolfs, a.a.O., § 178 SGB IX Rn. 10). Die Beklagte hat die Wochenfrist gewahrt, denn sie hat die streitgegenständliche Kündigung erst nach Ablauf mit Schreiben vom 29. Mai 2017 erklärt. Dass ihr Anhörungsschreiben vom 26. April 2017 dem Schwerbehindertenvertreter nicht oder nicht rechtzeitig zugegangen wäre, macht auch der Kläger nicht geltend.

Die Beklagte hat die Schwerbehindertenvertretung auch unverzüglich und umfassend i. S. v. § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX unterrichtet. Die Pflicht zur Unterrichtung geht insofern über die Pflicht zur Anhörung hinaus, als die Anhörung regelmäßig eine entsprechende Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung voraussetzt, sich darin aber nicht erschöpft, sondern darüber hinaus verlangt, dass dem Schwerbehindertenvertreter Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird und der Arbeitgeber eine entsprechende Stellungnahme auch zur Kenntnis nimmt. Die Anhörungspflicht bezieht sich nicht auf sämtliche, die schwerbehinderten Menschen betreffenden Angelegenheiten, sondern nur auf die diesbezüglichen Entscheidungen des Arbeitgebers. Entscheidungen in diesem Sinne sind die einseitigen Willensakte des Arbeitgebers. Auch Sinn und Zweck des Anhörungsrechts zielt darauf ab, der Schwerbehindertenvertretung die Möglichkeit zu geben, an der Willensbildung des Arbeitgebers mitzuwirken. Diese soll Gelegenheit haben, den Arbeitgeber aus ihrer fachlichen Sicht auf mögliche, vielleicht nicht bedachte Auswirkungen seiner Entscheidung hinzuweisen. Anders als die Unterrichtung hat die Anhörung nicht "unverzüglich", sondern "vor" der Entscheidung zu erfolgen. Der Arbeitgeber genügt daher seiner Pflicht zur Anhörung nicht, wenn er die Schwerbehindertenvertretung erst nach der Entscheidung anhört (BAG Beschluss 14. März 2012 - 7 ABR 67/10 = AP Nr. 4 zu § 95 SGB X). Im vorliegenden Fall war der Schwerbehindertenobmann im Betrieb der Beklagten, Herr I2, in seiner Eigenschaft als Betriebsratsmitglied von Anfang an bei den Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans beteiligt. Er hatte dadurch gleichsam aus erster Hand alle notwendigen Informationen. Da ein besonderes Verfahren und eine besondere Form für die Unterrichtung nicht vorgeschrieben sind, hält die Kammer jedenfalls im vorliegenden Fall, die Unterrichtungspflicht für gewahrt. Auch das Merkmal der Unverzüglichkeit ist gewahrt, weil die Beklagte erst aufgrund des Interessenausgleichs vom 11. April 2017 abschließend einen Kündigungswillen dahin bilden konnte, alle Arbeitnehmer zum 31. Dezember 2017 zu entlassen. Dass sie womöglich schon zu einem früheren Zeitpunkt entschlossen war, ihren Betrieb stillzulegen, steht dieser Annahme nicht entgegen. Unstreitig stand noch in der Betriebsversammlung am 28. Februar 2017 eine Betriebsschließung zum 31. Oktober 2017 im Raum. Erst aufgrund der Verhandlungen mit dem Betriebsrat wurde ein späterer Zeitpunkt, nämlich der 31. Dezember 2017, vereinbart. Vorher wäre die Beklagte gar nicht in der Lage gewesen, die Schwerbehindertenvertretung zu unterrichten. Die Kammer nimmt daher an, dass die Rechte der Schwerbehindertenvertretung und die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Anhörung vor Ausspruch der Kündigung gewahrt sind.

In Teilen der Rechtsprechung und Literatur wird allerdings angenommen, dass die nach § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX erforderliche Anhörung der Schwerbehindertenvertretung der Beantragung der Zustimmung zur Kündigung beim zuständigen Integrationsamt nach § 168 SGB IX (bis 31. Dezember 2017: § 85 SGB IX) vorauszugehen hat (etwa Sächsisches LAG 8. Juni 2018 - 5 Sa 458/17 - juris; ArbG Hagen 6. März 2018 - 5 Ca 1902/17 - juris; Schmitt, BB 2017, 2293, 2298; Klein, NJW 2017, 852, 854; Bayreuther, NZA 2017, 87, 90; ErfK/Rolfs, a.a.O. Rn 9). Die Kammer vermag dieser Rechtsauffassung, die jedenfalls unter Berücksichtigung der entsprechend anzuwendenden Wochenfrist nach § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG hier zur Unwirksamkeit der Kündigung vom 29. Mai 2017 führen würde, nicht zu folgen. Sie geht vielmehr von der Annahme aus, dass § 178 Abs. 2 SGB IX eine bestimmte Reihenfolge der Beteiligung von Schwerbehindertenvertretung und Integrationsamt nicht zwingend vorschreibt. Etwas anderes lässt sich weder dem Gesetzeswortlaut, noch den Gesetzesmaterialien, die sich dazu ausschweigen, noch der Gesetzessystematik entnehmen. Dabei ist zunächst zu beachten, dass zu unterscheiden ist zwischen der Verpflichtung des Arbeitgebers, die Schwerbehindertenvertretung unverzüglich und umfassend in allen Angelegenheiten zu unterrichten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren und seiner Verpflichtung, die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch einer Entscheidung anzuhören. Mit Entscheidung kann in diesem Zusammenhang nur der Ausspruch der Kündigung selbst gemeint sein, weil der Arbeitgeber auch nach einer Zustimmung des Integrationsamts keineswegs verpflichtet ist, eine Kündigung auszusprechen und beispielsweise aufgrund einer entsprechenden Stellungnahme im Rahmen der Betriebsratsanhörung, für die nach insoweit wohl einhelliger Auffassung eine zeitliche Reihenfolge zwischen Betriebsratsanhörung und Einholung der Zustimmung des Integrationsamts nicht zu beachten ist (etwa BAG 23. Oktober 2008 - 2 AZR 263/07 = AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste), noch von einer beabsichtigten Kündigung absehen kann. Insbesondere lässt sich § 178 Abs. 2 SGB IX nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber der Schwerbehindertenvertretung im Vergleich zum Betriebsrat eine gewichtigere Rolle einräumen wollte. Der Arbeitgeber ist daher frei darin, erst nach Übermittlung der Zustimmung des Integrationsamts zu der beabsichtigten Kündigung eines schwerbehinderten Menschen die in seinem Betrieb gebildete Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX anzuhören (wie hier: Schaub/Koch, Arbeitsrechtshandbuch, 17. Auflage 2017, § 180 Rn. 14; Mühlmann, NZA 2017, 884, 887; Schnelle, NZA 2017, 880, 881; Kleinebrink, DB 2017, 126, 128; Meißner, DB 2018, 1862). Daher ist die streitgegenständliche Kündigung auch nicht nach § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX unwirksam.

4. Nach alledem steht fest, dass die streitgegenständliche Kündigung der Beklagten vom 29. Mai 2017 das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2017 aufgelöst hat. Das Arbeitsgericht Paderborn hat daher die Klage zu Recht abgewiesen. Die Berufung des Klägers muss somit erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Kammer hält es gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG für geboten, die Revision zuzulassen, weil höchstrichterlich noch nicht geklärt ist, ob die nach § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX erforderliche Anhörung der Schwerbehindertenvertretung zwingend vor Einholung der Zustimmung zur Kündigung beim zuständigen Integrationsamt abgeschlossen sein muss. Zugleich liegt in dieser Frage eine Divergenz i. S. v. § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG vor, da das Sächsische LAG (5 Sa 478/17 a.a.O.) abweichend zu der hier vertretenen Rechtsauffassung entschieden hat.

Referenznummer:

R/R8252


Informationsstand: 06.11.2019