Der Senat kann verhandeln und entscheiden, obwohl für den Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist. Der Kläger ist in der Terminladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Entgegen der Auffassung des SG ist die Beklagte nicht verpflichtet, den Kläger mit einem Vorlesesystem als Sachleistung zu versorgen. Die zulässige Klage (dazu 1.) ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf ein Vorlesesystem kraft Genehmigungsfiktion (dazu 2.).
Der Senat hat nicht zu entscheiden, ob der Kläger einen Anspruch auf die OCR-Software "Omnipage 19 Ultimate" hat. Nachdem der Kläger seine Klage gegen den Bescheid 17.01.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2014 zurückgenommen hat, hatte bereits das SG nur noch über die allgemeine Leistungsklage zu entscheiden. Der Senat hat nur über die Berufung der Beklagten zu befinden. Im Übrigen enthält die Version von JAWS, mit der der Kläger seit 2015 versorgt ist, eine OCR-Software.
1. Die Klage auf Versorgung mit einem Vorlesesystem war als allgemeine Leistungsklage (nur) insoweit zulässig, als ein Anspruch aus
§ 13 Abs. 3a SGB V geltend gemacht wird. Ursprünglich hat der Kläger die Versorgung mit Scanner und Software beantragt. Demgegenüber stellt das Begehr eines "Vorlesesystems" eine Klageänderung dar. Eine solche ist nach § 99
Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Nach § 99
Abs. 2
SGG ist die Einwilligung der Beteiligten in die Änderung der Klage anzunehmen, wenn sie sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen haben. Letzteres ist hier der Fall. Die Beklagte hat der Klageänderung zu keinem Zeitpunkt widersprochen.
Die allgemeine Leistungsklage ist nur zulässig, wenn ein Rechtsanspruch auf eine Leistung geltend gemacht wird und ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen braucht (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Auflage, 2012, § 54 Rn. 41). Das ist im Fall der Hilfsmittelversorgung nur dann der Fall, soweit der Kläger seinen Anspruch auf § 13
Abs. 3a
SGB V stützt. Andernfalls ist nicht nur ein vorheriger Antrag bei der Behörde (
vgl. § 33 Abs. 5a SGB V) sondern auch ein Vorverfahren (§ 78
Abs. 1
SGG) durchzuführen und danach
ggf. eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu erheben. Ist hingegen die Genehmigung einer beantragten Leistung kraft Fiktion nach § 13
Abs. 3a
SGB V erfolgt, steht dies der Bewilligung der beantragten Leistung durch einen Leistungsbescheid gleich (Bundessozialgericht (
BSG), Urteile vom 07.11.2017 - B 1 KR 2/17 R, B 1 KR 7/17 R, B 1 KR 15/17 R und B 1 KR 24/17 R - , 26.09.2017 - B 1 KR 8/17 R und B 1 KR 6/17 R - und 11.07.2017 - B 1 KR 26/16 R -).
2. Die Klage war jedoch unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Versorgung mit einem Vorlesesystem nach § 13
Abs. 3a Satz 6
SGB V. Er erfüllte mit seinem Schreiben vom 15.07.2014 nicht die Voraussetzungen eines genehmigungsfähigen, den Lauf der Frist auslösenden Antrags. Damit eine Leistung als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits
i. S. v. § 33
Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (
SGB X) hinreichend bestimmt ist. Ein Verwaltungsakt ist - zusammengefasst - inhaltlich hinreichend bestimmt, wenn sein Adressat objektiv in der Lage ist, den Regelungsgehalt des Verfügungssatzes zu erkennen und der Verfügungssatz
ggf. eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bildet. So liegt es, wenn der Verfügungssatz in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten. Die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit richten sich im Einzelnen nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts (
BSG, Urteile vom 07.11.2017 - B 1 KR 2/17 R, B 1 KR 7/17 R, B 1 KR 15/17 R und B 1 KR 24/17 R - , 26.09.2017 - B 1 KR 8/17 R und B 1 KR 6/17 R - und 11.07.2017 - B 1 KR 26/16 R -).
Das Hilfsmittelverzeichnis unterscheidet bei den Hilfsmitteln für Blinde ohne speziellen Anwendungsort (Positionsnummern 07.99.XX) u.a. zwischen Systemen zur Schriftumwandlung (geschlossene Kompaktgeräte/-systeme; Positionsnummern 07.99.01.XXXX), Systemen zur Schriftumwandlung (vorkonfigurierte, offene Systeme; Positionsnummern 07.99.02.XXXX) und spezieller Software zur behinderungsgerechten Anpassung von Computern (Positionsnummern 07.99.03.2XXX). JAWS gehört mit der Positionsnummer 07.99.03.2001 zur speziellen Software. Der Smart Reader von Enhanced Vision Inc gehört mit der Positionsnummer 07.99.01.2019 zu den geschlossenen Kompaktgeräten/-systemen zur Schriftumwandlung.
Mit Schreiben vom 15.07.2014 hatte der Kläger beantragt: "Ich beantrage ein Vorlesesystem (wie Sie es schon 2011 (den genauen Zeitpunkt weiß ich nicht mehr) bewilligt haben." Dieser Antrag war in sich widersprüchlich. Den Begriff "Vorlesesystem" kennt das Hilfsmittelverzeichnis nicht. Auch mittels Auslegung wird nicht erkennbar, welches Hilfsmittel der Kläger beantragen wollte. Der Wortteil "Vorlese" lässt darauf schließen, dass er eine Sprachausgabe wünschte. 2011 hatte die Beklagte kein geschlossenes System zur Schriftumwandlung in synthetische Sprache, sondern eine spezielle Software mit Sprachausgabe bewilligt. Auf Grund der ausdrücklichen Bezugnahme auf diese vorherige Bewilligung lag daher der Schluss nahe, dass der Kläger eine erneute Versorgung mit JAWS wünschte. Dazu im Widerspruch steht jedoch der übrige Inhalt des Schreibens, mit dem der Kläger seinen Antrag auf Versorgung mit einem Scanner und entsprechender Software weiter verfolgt hatte. Diesen Scanner benötigte er nach seinem ganzen Vorbringen, um Schriftstücke einzulesen und dann mit JAWS vorlesen zu lassen. Demnach wollte er also nicht einen Scanner oder JAWS, sondern einen Scanner, um die JAWS-Version, mit der er seit 2011 versorgt war, in größerem Umfang nutzen zu können. Das lässt den Schluss zu, dass es ihm mit dem Antrag vom 15.07.2014 nicht um eine spezielle Software sondern (auch) um Hardware
bzw. irgendein Gerät ging, dass ihm das Einlesen von Schriftstücken ermöglicht. Was genau für ein System (offen/geschlossen) er begehrte, lässt sich dem Antrag aber nicht im entferntesten entnehmen. Weder das eine noch das andere System hatte die Beklagte in 2011 bewilligt. Der Antrag war damit mangels ausreichender Bestimmtheit nicht genehmigungs- und fiktionsfähig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160
Abs. 2
SGG).