Die Klage ist begründet, soweit der Kläger die Abgeltung der gesetzlichen Urlaubsansprüche für die Kalenderjahre 2006 bis 2008 begehrt. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
I.
1) Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Urlaubsabgeltungsanspruch in Höhe von 6.197,36
EUR brutto für die in den Jahren 2006 bis 2008 entstandenen gesetzlichen Mindesturlaubsansprüchen aus §§ 7
Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz,
125 SGB IX.
Der Anspruch des Klägers auf Urlaub für diese Jahre ist in gesetzlicher Höhe entstanden.
a) Der Kläger hat nach dem Ende der sechsmonatigen Wartezeit des § 4 Bundesurlaubsgesetz in einer Fünftagewoche Ansprüche auf jeweils zwanzig Tage Vollurlaub aus den Jahren 2006 und 2007. Dem Urlaubsanspruch steht nicht entgegen, dass der Kläger während des gesamten Zeitraums arbeitsunfähig erkrankt war und diese Arbeitsunfähigkeit darüber hinaus andauerte. Der gesetzliche Anspruch auf Mindesturlaub entsteht auch, wenn der Arbeitnehmer im gesamten Bezugszeitraum oder in Teilen davon arbeitsunfähig erkrankt ist (
BAG, Urteil vom 21.07.2005 - 9 AZR 200/04 - EzA § 7 Bundesurlaubsgesetz
Nr. 114; Urteil vom 13.05.1982 -
6 AZR 360/80 - EzA § 7 Bundesurlaubsgesetz
Nr. 25). Auch der Zusatzurlaubsanspruch aus § 125
Abs. 1 Satz 1
SGB IX ist in Höhe von jeweils fünf Tagen entstanden.
b) Für das Jahr 2008 hat der Kläger nach § 5
Abs. 1 c) Bundesurlaubsgesetz einen Teilurlaubsanspruch in Höhe von mindestens zwei Tagen erworben. Der Kläger ist nach Erfüllung der Wartezeit in der ersten Hälfte des Kalenderjahres 2008 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Unstreitig endete das Arbeitsverhältnis zum 01.02.2008. Für einen vollen Monat erwarb der Kläger einen Urlaubsanspruch in Höhe von mindestens zwei Tagen.
2) Die gesetzlichen Urlaubsansprüche des Klägers für die Jahre 2006 bis 2008 sind bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 01.02.2008 nicht untergegangen. Unstreitig wurde der Urlaub dem Kläger nicht in Natur gewährt. Der gesetzliche Urlaubsanspruch für das Jahr 2006 verfiel nicht zum 31.12.2006, obwohl der Kläger den Urlaub zu diesem Zeitpunkt wegen seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht antreten konnte. §§ 7
Abs. 3, 4 Bundesurlaubsgesetz ist auch im Verhältnis zum privaten Arbeitgeber nach den Vorgaben des
Art. 7 der Richtlinie 2003/88/
EG Gemeinschaftsrecht konform dahingehend fortzubilden, dass gesetzliche Urlaubs- und Urlausabgeltungsansprüche nicht erlöschen, wenn Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deshalb arbeitsunfähig sind. Dies entspricht Wortlaut, Systematik und Zweck der innerstaatlichen Regelung, wenn die Ziele des
Art. 7
Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2003/88/
EG und der regelmäßig anzunehmende Wille des nationalen Gesetzgebers zur ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie berücksichtigt wird (
BAG, Urteil vom 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - EzA § 7 Bundesurlaubsgesetz Abgeltung
Nr. 15, mit weiteren Nachweisen). Die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung erfolgt durch teleogische Reduktion, die die zeitliche Beschränkung des Urlaubsanspruchs in §§ 7
Abs. 3
S. 1, 3 und 4 Bundesurlaubsgesetz im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Bezugs- und/oder Übertragungszeitraums aufgibt. Die Reduktion erfasst auch den Urlaubsabgeltungsanspruch § 7
Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz (
BAG, a.a.O.).
Dementsprechend sind auch die Urlaubsansprüche aus dem Jahre 2007 nicht zum 31.12.2007 und die Urlaubsansprüche aus dem Jahre 2008 zum 31.12.2008 erloschen.
Der Grundsatz des Vertrauensschutzes verlangt nicht, die vor der Verkündung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in der Sache Schulz-Hoff vom 20.01.2009 (C-350/06 und C-520/06 - EzA
EG - Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88
Nr. 1) mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 01.02.2008 fällig gewordenen Urlaubsabgeltungsansprüche des Klägers zu verneinen. Die mit der auch hier vertretenen richtlinienkonformen Rechtsfortbildung verbundene Änderung der Rechtsprechung überschreitet jedenfalls für den hier streitgegenständlichen Zeitraum nicht den Rahmen einer für die Beklagte vorhersehbaren Entwicklung (
vgl. BAG, Urteil vom 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - a.a.O.;
BAG, Urteil vom 23.03.2010 -
9 AZR 128/09 - nach Juris).
3) Der bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht in Natur gewährte und damit fortbestehende Urlaubsanspruch nach § 7
Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz abzugelten. Auch der Schwerbehindertenzusatzurlaub ist abzugelten, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende Übertragungszeitraums arbeitsunfähig ist. Der Zusatzurlaubsanspruch aus § 125
Abs. 1
S. 1
SGB IX ist an das gesetzliche Schicksal des Mindesturlaubsanspruchs gebunden (
BAG , Urteil vom 23.03.2010 - 9 AZR 128/09 - a.a.O.).
Die Beklagte hat dementsprechend jeweils fünfundzwanzig Urlaubstage aus den Jahren 2006 und 2007 sowie mindestens zwei weitere Urlaubstage aus dem Jahre 2008 abzugelten. Unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen monatlichen Arbeitsentgelts von unstreitig 2.582,14
EUR brutto errechnet sich nach § 11 Bundesurlaubsgesetz ein Abgeltungsanspruch in Höhe von 6.197,36
EUR brutto.
4) Der Abgeltungsanspruch des Klägers ist nicht nach § 21 TV-N verfallen, obwohl der Kläger seine Ansprüche nicht innerhalb von sechs Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber der Beklagten schriftlich geltend gemacht hat. Dabei kann hier dahin stehen, ob mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (
z.B. Urteil vom 21.06.2005 - 9 AZR 200/04 - EzA § 7 Bundesurlaubsgesetz
Nr. 114) tarifliche Ausschlussfristen überhaupt auf Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche anzuwenden sind. In jedem Falle wäre ein Ausschluss des gesetzlichen Urlaubs nach § 3
Abs. 1 Bundesurlaubsgesetz durch das Erfordernis einer schriftlichen Geltendmachung nach § 13
Abs. 1 Satz 1 Bundesurlaubsgesetz unzulässig. Die gesetzliche Unabdingbarkeit erstreckt sich auch auf den hier eingeklagten Urlaubsabgeltungsanspruch
i.S.v. § 7
Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz (
BAG, Urteil vom 20.01.2009 - 9 AZR 650/07 - nach Juris; Urteil vom 09.07.1998 - 9 AZR 43/97 - EzA § 7 Bundesurlaubsgesetz
Nr. 106; Urteil vom 05.12.1995 -
9 AZR 871/94 - EzA § 7 Bundesurlaubsgesetz
Nr. 101).
Die Anwendung tariflicher Ausschlussfristen auf den Urlaubs-
bzw. Urlaubsabgeltungsanspruch stellt entgegen der Ansicht der Beklagten und Teilen der Rechtsprechung (
z.B. LAG Düsseldorf, Urteil vom 23.04.2010 - 10 Sa 103/10 - nach Juris;
LAG Köln, Urteil vom 20.04.2010 - 12 Sa 1448/09 - nach Juris) eine Abweichung von zwingenden gesetzlichen Vorschriften zum Nachteil des Arbeitnehmers dar. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (
z.B. Urteil vom 24.11.1992 -
9 AZR 549/91 - EzA § 4
TVG Ausschlussfristen
Nr. 102) waren tarifliche Ausschlussfristen auf den gesetzlichen und tariflichen Urlaub wegen deren eigenständigen Zeitregimes nicht anzuwenden. Der Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsanspruch war von vorneherein auf das Kalenderjahr
bzw. den Übertragungszeitraum befristet, weshalb eine weitere Befristung durch tarifliche Ausschlussfristen nicht in Betracht kam. Die nunmehr auch hier vertretene richtlinienkonforme Auslegung des §§ 7
Abs. 3 und 4 Bundesurlaubsgesetz führt dazu, dass - wie oben dargelegt - im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers der Urlaubsanspruch den ansonsten geltenden zeitlichen Befristung nicht mehr unterliegt , mithin zeitlich unbefristet ist. Fristen für die Geltendmachung von Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen würde jedoch wieder eine Befristung des bei gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung unbefristeten Urlaubsanspruchs herbeiführen.
Tarifliche Ausschlussfristen können auch nicht isoliert allein auf den Urlaubsabgeltungsanspruch angewandt werden. Der Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7
Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz ist kein neuer eigenständiger Zahlungsanspruch, der erst mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht. Der Urlaubsabgeltungsanspruch entsteht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vielmehr als Ersatz für die wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglichen Befreiung von der Arbeitspflicht (
BAG, Urteil vom 05.12.1995 - 9 AZR 871/94 - EzA § 7 Bundesurlaubsgesetz
Nr. 101; Urteil vom 17.01.1995 - 9 AZR 664/93 - EzA § 7 Bundesurlaubsgesetz
Nr. 98; Urteil vom 16.01.1993 - 8 AZR 8/92 - EzA § 7 Bundesurlaubsgesetz
Nr. 89). Er entsteht nicht als Abfindungsanspruch, für den es als einfachen Geldanspruch auf die urlaubsrechtlichen Merkmale wie Bestand und Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs nicht mehr ankäme. Abgesehen von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der Abgeltungsanspruch als Ersatz für den Urlaubsanspruch an die gleichen Voraussetzungen gebunden wie der Urlaubsanspruch (
BAG, Urteil vom 05.12.1995 -
9 AZR 871/94 - a.a.O.).
II.
Die weitergehende Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Abgeltung von Urlaubsansprüchen aus dem Jahr 2005. Zwar hat der Kläger auch in diesem Jahr einen gesetzlichen Urlaubsanspruch einschließlich Schwerbehindertenzusatzurlaub in Höhe von insgesamt fünfundzwanzig Tagen erworben, von denen lediglich zehn Tage unstreitig in natura gewährt worden sind. Der nach dem deutschen Recht für Arbeitgeber aus
Art. 12, 20
Abs. 3 Grundgesetz abgeleitete Grundsatz des Vertrauensschutzes steht jedoch aus Sicht der Kammer den Ansprüchen des Klägers auf Abgeltung der Urlaubsansprüche aus dem Jahre 2005 entgegen.
Die langjährige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die seit 1982 vom Verfall von Urlaubsansprüchen bei bis zum Ende des Übertragungszeitraums fortdauernde Arbeitsunfähigkeit ausging, ist geeignet, Vertrauen der Arbeitgeberseite auf den Fortbestand dieser Rechtsprechung zu begründen. Die Kammer hält dieses Vertrauen bis zum Bekanntwerden des Vorabentscheidungsersuchens des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf in der Sache S5-H5 vom 02.08.2006 (-
12 Sa 486/06 - LAGE § 7 Bundesurlaubsgesetz
Nr. 43) für schutzwürdig (andere Ansicht
BAG: Urteil vom 23.03.2010 -
9 AZR 128/09 - nach Juris). Erst ab diesem Zeitpunkt war für den typischen, durchschnittlichen Arbeitgeber erkennbar, dass die bislang zemitierte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Urlaubsrecht möglicherweise eine Änderung erfahren könnte.
Für den Zeitraum vor dem 02.08.2006 war das Vertrauen der Beklagten in die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts jedoch schutzwürdig (andere Ansicht
BAG, a.a.O.). Auch für einen verständigen Arbeitgeber ist die Mehrgliedrigkeit zwischen Gemeinschaftsrecht und innerstaatlichem Recht nicht ohne Weiteres offensichtlich. Vielmehr darf der Arbeitgeber darauf vertrauen, dass Gerichte auch das Gemeinschaftsrecht hinreichend bei ihrer Entscheidung berücksichtigt. Deshalb musste ein Arbeitgeber auch nach Ablauf der Umsetzungsfrist für die erste Arbeitszeitrichtlinie 93/104/
EG am 23.11.1996 noch nicht damit rechnen, dass die immerhin bis 2009 fortbestehende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unter Berücksichtigung eben dieser Richtlinie geändert werden würde.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92
Abs. 1
ZPO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 61
Abs. 1
ArbGG mit §§ 3
ff. ZPO.