Die zulässige Berufung ist begründet.
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. Mai 2018 war aufzuheben, da der Bescheid des Beklagten vom 13. Mai 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. August 2016 rechtmäßig war und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines
GdB von 50.
Rechtsgrundlage für die beantragte Feststellung eines
GdB ist seit 1. Januar 2018
§ 152 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen -
SGB IX - (bis 31. Dezember 2017
§ 69 Abs. 1 SGB IX zuletzt in der Fassung des Artikel 2
Nr. 2 des Bundesteilhabegesetzes -
BTHG - vom 23. Dezember 2016). Nach § 152
Abs. 1 Satz 1
SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den
GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als
GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur zu treffen ist, wenn ein (Gesamt-)Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt (§ 152
Abs. 1 Satz 5 und 6
SGB IX). Gemäß
§ 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der
GdB gemäß § 152
Abs. 3 Satz 1
SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Dabei sind nur diejenigen Menschen als schwerbehindert anzuerkennen, bei denen ein
GdB von wenigstens 50 vorliegt (§ 2
Abs. 2 1. Halbsatz
SGB IX). Für die Beurteilung des Anspruchs des Klägers ergibt sich aus den seit 1. Januar 2018 geltenden Vorschriften keine relevante Änderung.
Die Bestimmung des
GdB erfolgt unter Heranziehung der "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" gemäß der
Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV -) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I, Seite 2412) und vom 11. Oktober 2012 (BGBl. I
S. 2122), zuletzt in ihrer Fassung vom 23. Dezember 2016 (
Art. 18
Abs. 4
BTHG).
Für die hier streitige Feststellung eines
GdB von (mindestens) 50 aufgrund der Diabetes-Erkrankung enthält
Teil B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 Versorgungs-Medizinverordnung -
VersMedV - drei Beurteilungskriterien: Täglich mindestens vier Insulininjektionen, selbständige Variierung der Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung sowie eine gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung durch erhebliche Einschnitte. Diese Kriterien sind nach der Rechtsprechung des
BSG nicht jeweils gesondert für sich genommen starr anzuwenden, vielmehr sollen sie eine sachgerechte Beurteilung des Gesamtzustands erleichtern (
BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 -
B 9 SB 2/13 R - juris
Rdnr. 16;
BSG, Urteil vom 25. Oktober 2012 -
B 9 SB 2/12 R - SozR 4-3250 § 69
Nr. 16 RdNr. 24).
Im Falle des Klägers sind die auf den Therapieaufwand bezogenen Kriterien jedenfalls aktuell erfüllt. Nach den Feststellungen des Sachverständigen
Dr. J. vom 4. April 2019 unterzieht sich der Kläger aktuell einer intensivierten Insulintherapie mit mahlzeitenbezogener, mindestens 4mal täglicher subkutaner Injektion eines schnell wirksamen Insulins (Humalog), dessen Dosis an die zugeführte Kohlenhydratmenge und den Blutzuckerspiegel anzupassen ist. Routinemäßig misst der Kläger mindestens 4mal täglich hierzu den Blutzucker. Zusätzlich folgt aktuell 1mal täglich die subkutane Injektion einer fixen Dosis eines Basalinsulins (Toujeo). In der Vergangenheit erfolgte bereits ab 21. Oktober 2014 eine intensivierte Insulintherapie mit bedarfsgerechter Insulinanpassung und 35 Messungen pro Woche, ab 18. August 2016 eine Modifikation der Therapie mit fixer mahlzeitenbezogener Insulindosis und täglich zweimaliger Gabe eines Basalinsulins.
Die Erfüllung der beiden erstgenannten, auf den Therapieaufwand bezogenen Beurteilungskriterien reicht jedoch nicht aus, um den
GdB mit mindestens 50 festzustellen. Vielmehr muss der Kläger durch die Auswirkungen des Diabetes mellitus auch insgesamt gesehen erheblich in seiner Lebensführung beeinträchtigt sein. Nach der ständigen Rechtsprechung des
BSG handelt es sich hierbei um eine zusätzlich zu erfüllende Anforderung (
vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 SB 2/13 R - juris
Rdnr. 18; Urteil vom 17. April 2013 -
B 9 SB 3/12 R - juris
Rdnr. 39
ff.; Urteil vom 25. Oktober 2012 - B 9 SB 2/12 R - SozR 4-3250 § 69
Nr. 16 RdNr. 37
ff.). Bei der anzustellenden Gesamtbetrachtung aller Lebensbereiche lässt sich eine ausgeprägte Teilhabeberechtigung nur unter strengen Voraussetzungen bejahen. Nach der vorgenannten Rechtsprechung des
BSG (Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 SB 2/13 R - juris
Rdnr. 21) sind die mit der in Teil B
Nr. 15.1
Abs. 4 der Anlage zu § 2
VersMedV vorausgesetzten Insulintherapie zwangsläufig verbundenen Einschnitte nicht geeignet, eine zusätzliche ("und") gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung hervorzurufen. Berücksichtigungsfähig ist danach nur ein dieses hohe Maß noch übersteigender, besonderer Therapieaufwand. Daneben kann ein unzureichender Therapieerfolg die Annahme einer ausgeprägten Teilhabebeeinträchtigung rechtfertigen. Schließlich sind auch alle anderen durch die Krankheitsfolgen herbeigeführten erheblichen Einschnitte in der Lebensführung zu beachten.
Im vorliegenden Fall wird der Kläger nach den Feststellungen des Sachverständigen
Dr. J. und den aktenkundigen Befundunterlagen nicht zusätzlich durch eine schlechte Einstellungsqualität des Diabetes in seiner Leistungsfähigkeit und damit in seiner Teilhabefähigkeit am Leben in der Gesellschaft erheblich beeinträchtigt. Laut ärztlichem Attest des behandelnden Diabetologen
Dr. D. vom 4. Februar 2016 und des Arztes E. vom 4. März 2016 besteht bei dem Kläger seit Anfang 2016 eine stabile diabetische Stoffwechseleinstellung ohne schwere Entgleisungen, Hypoglykämien oder sonstige Kollapszustände. Auch
Dr. J. ist aktuell nachvollziehbar von einer stabilen diabetischen Einstellung ausgegangen, wobei der HbA1c-Wert bei der Untersuchung mit 7,7% knapp über dem empfohlenen oberen Grenzwert von 7,5% lag. Die Blutzuckerwerte von 26. März 2019 bis 31. März 2019 lagen mäßig schwankend zwischen 97 und 279 mg/dl. Hypoglykämien sind seit 3 Jahren nicht mehr dokumentiert und treten seither auch in Eigenmessungen nicht auf, diabetische oder hypertensive Organkomplikationen und/oder Folgeerkrankungen sind nicht aktenkundig.
Bei dem Kläger liegen auch keine anderweitigen erheblichen Einschnitte vor, die ihn in seiner Lebensführung gravierend beeinträchtigen. Zwar kam es in der Vergangenheit auf der Grundlage eines MPU-Gutachtens vom 13. August 2015, das sich überwiegend auf ältere Befundberichte aus dem Jahr 2014 stützte, in denen rezidivierende Kollapszustände diagnostiziert worden waren (
vgl. Entlassungsbericht der medizinischen Klinik des Nordwest Krankenhauses Frankfurt am Main vom 9. Oktober 2014; Entlassungsbericht des Diabetes-Zentrums H-Stadt vom 28. November 2014), zum Führerscheinentzug sowohl für Fahrzeuge der Gruppe 1) als auch 2). Nach dem Sachverständigengutachten des
Dr. J. war aber bereits auf der Grundlage des ärztlichen Attests des behandelnden Diabetologen
Dr. D. vom 4. Februar 2016 und des Arztes E. vom 4. März 2016 mit Bescheinigung einer stabilen diabetische Stoffwechseleinstellung ohne schwere Entgleisungen, Hypoglykämien oder sonstige Kollapszustände eine Fahreignung wieder gegeben. Die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 hat der Sachverständige mit folgender Begründung verneint: "Unabhängig von der diabetischen Stoffwechseleinstellung zeigten die Ergebnisse der
o. g. Leistungstests keine für die Feststellung der Kraftfahreignung der Gruppe 2 ausreichenden Resultate. Eine Wiederholung wurde bisher nicht durchgeführt
bzw. ist nicht aktenkundig. Somit bleibt es bei der nichtgegebenen Kraftfahreignung für die Gruppe 2". Nach dieser medizinischen Befundlage konnte der Kläger bereits vor Stellung seines Antrags auf Feststellung eines Grades der Behinderung am 20. April 2016 jederzeit eine neue ärztliche Untersuchung bei einer amtlich anerkannten Untersuchungsstelle in die Wege leiten. Auf diese Möglichkeit war der Kläger im Vergleichsvorschlag des Verwaltungsgerichts vom 27. Januar 2016 hingewiesen worden, in dem ihm eine Frist zur Vorlage eines solchen Gutachtens bis 30. April 2016 gesetzt worden war. Damit beruhten die fortbestehenden Einschränkungen durch den Entzug des Führerscheins - bei stabiler diabetischer Stoffwechseleinstellung des Klägers zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Feststellung eines
GdB - nicht mehr auf dem Diabetes, sondern auf der nicht rechtzeitigen Beibringung eines neuen Gutachtens. Überdies ist der
GdB grundsätzlich unabhängig vom ausgeübten und angestrebten Beruf zu beurteilen (
vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 SB 2/13 R - juris
Rdnr. 23), so dass der Umstand, dass der Kläger wegen Entzugs des Führerscheins für Fahrzeuge der Gruppe 2 in der Vergangenheit
ggf. beruflich beeinträchtigt war, entgegen
Dr. J. weder für sich genommen noch in Zusammenschau mit den weiteren Umständen zu einer gravierenden Beeinträchtigung der Lebensführung oder ausgeprägten Teilhabebeeinträchtigung führen konnte. Darüber hinaus lag nach dem MPU-Gutachten vom 7. April 2015 die Fahreignung für Fahrzeuge der Gruppe 2 - unabhängig von der diabetischen Stoffwechseleinstellung - bereits wegen der Ergebnisse der Leistungstests nicht vor.
Nach Wiedererlangung des Führerscheins am 14. Juni 2018 vermögen auch die finanziellen Aufwendungen, die dem Kläger dadurch entstehen, dass er - wie vorgetragen - alle 2 ½ Jahre eine Begutachtung durchführen und jährlich Arztberichte bei der Führerescheinstelle vorlegen muss (mit den Arztberichten fast 1.500,00
EUR) nach dem strengen Maßstab der
BSG-Rechtsprechung zusammen mit dem Therapieaufwand keine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung zu begründen. Sonstige zu berücksichtigende erhebliche Einschnitte, die den Kläger in seiner Lebensführung gravierend beeinträchtigen, liegen - bei nachgewiesenem gutem Therapieerfolg - nicht vor.
Der bei dem Kläger dokumentierte leichte Form des Bluthochdrucks begründet keinen höheren Einzel-
GdB als 10 (
vgl. Teil B
Nr. 9.3 der Anlage zu § 2
VersMedV).
Bei der Ermittlung des Gesamt-
GdB dürfen die einzelnen Werte nicht addiert werden, maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Leichte Gesundheitsstörungen mit einem Einzel-
GdB von 10 führen, von Ausnahmefällen abgesehen, nicht zu einer Zunahme des Maßes der Gesamtbeeinträchtigung (
vgl. Teil A
Nr. 3 a) und d) ee) der Anlage zu § 2
VersMedV), auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Ausgehend von der Diabeteserkrankung mit dem höchsten Einzel-
GdB von 40 kann der Gesamt-
GdB auch unter Berücksichtigung des Bluthochdrucks (Einzel-
GdB 10) nicht höher als 40 eingeschätzt werden. Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall liegen diesbezüglich nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG, die Nichtzulassung der Berufung auf § 160
Abs. 2
SGG.