Episode 3 – Thema: Teilhabe statt Ausgleichsabgabe: Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen
In der dritten Episode von "Teilhabe & Inklusion" geht es um die Beschäftigungspflicht von schwerbehinderten Menschen. In Deutschland sind Unternehmen mit mindestens 20 Arbeitsplätzen dazu verpflichtet, mindestens fünf Prozent davon mit schwerbehinderten oder anderen anrechnungsfähigen Menschen zu besetzen. Unternehmen, die diese Quote nicht erfüllen, müssen eine sogenannte Ausgleichsabgabe zahlen, die je nach Erfüllungsquote gestaffelt ist.
Anja Brockhagen und Rufus Witt geben einen Überblick über die gesetzlichen Vorgaben und erläutern, wie Unternehmen ihre Verpflichtungen erfüllen können. Außerdem berichtet Lukas Diehl, Vorstand der Spectral Service AG, im Gespräch mit Wiebke Modler und Rufus Witt von seinen Erfahrungen mit der Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen in seinem Familienunternehmen. Er erzählt davon, wie er damit umgegangen ist, als er von der Schwerbehinderung einiger seiner Beschäftigten erfuhr und teilt seine Erfahrungen darüber, wie eine inklusive Arbeitsumgebung geschaffen werden kann.
Transkription
Intro:
Gemeinsam Barrieren abbauen. Hallo und willkommen zur neuen Ausgabe von „Teilhabe & Inklusion – Der REHADAT-Podcast. Mein Name ist Rufus Witt und ich spreche mit Betroffenen, Beratungsstellen und Arbeitgebenden über die Barrieren des täglichen Lebens.
Rufus Witt:
Hallo zusammen, in der heutigen Podcastfolge sprechen wir über ein Thema, das insbesondere kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland beschäftigt, und zwar über die Beschäftigungspflicht von schwerbehinderten Menschen und die Ausgleichsabgabe. Dafür habe ich mir diesmal nicht nur einen Gast eingeladen, sondern mir auch noch Verstärkung in Form meiner Kolleginnen Anja Brockhagen und Wiebke Modler geholt. Ja, um erstmal einen Überblick darüber zu geben, was die Ausgleichsabgabe überhaupt ist und welche Bedeutung sie für Unternehmen hat, spreche ich jetzt mit meiner Kollegin Anja, die bei uns das Portal REHADAT-Ausgleichsabgabe betreut. Anja, was ist die Ausgleichsabgabe?
Anja Brockhagen:
Also die Ausgleichsabgabe ist eine Zahlung, die Arbeitgeber leisten müssen, wenn sie ihrer Beschäftigungspflicht nicht nachkommen. Es gibt in Deutschland für Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen eine Beschäftigungspflicht für schwerbehinderte Menschen. Das müssen 5 % sein. Und wenn sie diese Quote nicht erfüllen, dann müssen sie die sogenannte Ausgleichsabgabe bezahlen. Rufus Witt: Aha. Und über welche Menge, über welche Anzahl von Betrieben sprechen wir denn hier? Anja Brockhagen: Also, 173.000 beschäftigungspflichtige Arbeitgeber gab es 2020 in Deutschland und die Quote wurde erfüllt mit 4,6 %. Das heißt die 5 % wurden nicht ganz erreicht, aber fast. Das ist unterschiedlich bei privaten Arbeitgebern, die erfüllen die Quote zu 4,1 % und öffentlichen Arbeitgebern, die erfüllen die Quote zu 6,4 %. Das ist auch unterschiedlich, je nach Branchen. Also die höchste Beschäftigungsquote haben zum Beispiel mit über 6 % die öffentliche Verwaltung, der Kraftfahrzeugbau und der Bergbau. Und am schlechtesten mit unter 3 % erfüllen die Quote das Baugewerbe, die Landwirtschaft und die Forstwirtschaft. Und man kann auch generell sagen, große Unternehmen erfüllen die Beschäftigungspflicht besser als kleinere Unternehmen.
Rufus Witt:
Wie können Arbeitgebende die Quote erfüllen?
Anja Brockhagen:
Die Quote können Arbeitgeber erfüllen, ganz einfach, indem sie schwerbehinderte oder andere anrechenbare Personen in ihrem Unternehmen beschäftigen.
Rufus Witt:
Was kommt denn dann durch die Abgabe an Zahlungen der Arbeitgeber jährlich zusammen? Oder gleich hinterher gefragt, vielleicht die noch spannendere Frage: Wofür wird das Geld konkret ausgegeben?
Anja Brockhagen:
Also das Gesamtaufkommen der Ausgleichsabgabe lag in 2020 bei fast 700 Millionen Euro. Das wird an die Integrationsämter gezahlt und die Integrationsämter sind dann auch zum Großteil für die Verteilung zuständig. Also 82 % verbleibt bei den Integrationsämtern und die Ausgleichsabgabe ist zweckgebunden, die Verwendung. Und zwar darf sie ausschließlich für die Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben ausgegeben werden. Und sie wird nicht nur an Arbeitgeber gezahlt, sondern es wird auch an schwerbehinderte Arbeitnehmer gezahlt. Das eben auch um den Arbeitsplatz zu sichern, zum Beispiel für Mobilität oder für Arbeitshilfen oder für Arbeitsassistenz oder für Qualifizierung. Und außerdem wird die Ausgleichsabgabe verwendet für die Integrationsfachdienste. Die beraten ja auch zum Beispiel im Themenfeld Übergang Schule – Beruf oder Übergang WfbM – Erster Arbeitsmarkt. Die coachen am Arbeitsplatz. Dafür wird das Geld auch verwendet.
Rufus Witt:
Welche Beschäftigten können überhaupt angerechnet werden?
Anja Brockhagen:
Also in erster Linie sind es schwerbehinderte Menschen, die angerechnet werden können. Schwerbehinderte Menschen heißt, die haben also einen Grad der Behinderung von 50 oder mehr. Die zweite große Gruppe, die es gibt, sind gleichgestellte Menschen, also einem Schwerbehinderten gleichgestellte Menschen. Die haben, zur Definition, einen Grad der Behinderung von 30 oder 40 und sind auf Antrag von der Agentur für Arbeit einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt worden. Die können also auch auf Pflichtarbeitsplätze angerechnet werden. Besondere Gruppen im Anzeigeverfahren oder besondere Regelungen, die es da noch gibt bei der Anrechnung, sind zum Beispiel Auszubildende, die schwerbehindert sind. Die können grundsätzlich auf zwei Arbeitsplätze angerechnet werden. Das ist natürlich besonders attraktiv für Arbeitgeber. Und was auch nicht so ganz bekannt ist, ist, wenn diese schwerbehinderten Auszubildenden nach der Ausbildung übernommen werden in den Betrieb, dann dürfen die auch die folgenden zwölf Monate nochmal auf einen Pflichtarbeitsplatz doppelt angerechnet werden, also auf zwei Pflichtarbeitsplätze angerechnet werden.
Rufus Witt:
Wie wird die Ausgleichsabgabe konkret berechnet?
Anja Brockhagen:
Also konkret berechnet wird die Ausgleichsabgabe, indem der Arbeitgeber seine Arbeitsplätze zusammenzählt, damit man dann ausrechnen kann wie viel sind 5 % davon. Das ist dann die Anzahl der Pflichtarbeitsplätze und dann zählt er seine schwerbehinderten und anderen anrechenbaren Mitarbeiter. Und wenn er dann eine Quote von 5 % erreicht, dann zahlt er keine Ausgleichsabgabe, dann ist er seiner Beschäftigungspflicht nachgekommen. Wenn er die Quote nicht erreicht, gibt es gestaffelte Beträge je nach Erfüllungsgrad der Beschäftigungsquote. Die liegen dann zwischen 140 und 360 € pro Monat pro unbesetztem Arbeitsplatz.
Rufus Witt:
Gibt es generell bei dem Anzeigeverfahren für die Arbeitgebenden irgendetwas Besonderes zu beachten – Details die wichtig sind?
Anja Brockhagen:
Also das Verfahren ist wie folgt: Man muss eine Schwerbehindertenanzeige erstellen und diese an die Agentur für Arbeit schicken. Parallel dazu muss man die, falls fällige Ausgleichsabgabe, an das zuständige Integrationsamt bezahlen. Und im Dezember steht das Programm IW-Elan zum Beispiel zur Verfügung, mit dem Arbeitgeber das berechnen können, also zum einen die Ausgleichsabgabe berechnen können und zum anderen die Anzeige auch elektronisch abgeben können. Die Arbeitgeber haben dann Zeit bis zum 31. März des Folgejahres, dann sind sie in der Frist und dann sind sie den Regelungen korrekt nachgekommen.
Rufus Witt:
Ja, ich denke, damit sind wir ganz gut ins Thema eingestiegen, reingekommen. Jetzt wollen wir noch hören, was es aus der Praxis zu berichten gibt. Dafür sprechen meine Kollegin Wiebke Modler und ich jetzt mit unserem Gast Lukas Diehl über die Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung in seinem Familienunternehmen. Er ist Vorstand der Spectral Service AG, einem chemischen Labor. Hallo, Lukas, schön, dass du bei uns bist.
Lukas Diehl:
Ja, halli hallo, ich freue mich sehr, dass ich da sein darf.
Rufus Witt:
Erzähle doch mal ein bisschen was von deinem Unternehmen. Was treibt ihr so?
Lukas Diehl:
Ja, du sagst es schon, ein chemisches Labor. Wir bereiten im Prinzip gar nichts wirklich zu. Also, wir sind kein produzierendes Unternehmen, sondern wir sind ein analytisches Unternehmen. Das heißt, wir kriegen Aufträge von Kunden und bestimmen mit einer speziellen Methode zum Beispiel Inhaltsstoffe oder Konzentrationen in bestimmten anderen Substanzen.
Wiebke Modler:
Ja, auch von meiner Seite, hallo Lukas. Dann steig direkt mal ein. Wie groß ist euer Unternehmen und wie viele Beschäftigte mit Behinderung habt ihr?
Lukas Diehl:
Wir haben aktuell 38 Beschäftigte. Das könnte dieses Jahr glücklicherweise vielleicht auch noch ein bisschen mehr werden. Und eine Besonderheit ist, dass wir zurzeit drei schwerbehinderte Menschen beschäftigen.
Wiebke Modler:
Ja. Kannst du uns vielleicht ein bisschen was darüber erzählen, was diese Menschen haben? Also welche Art von Behinderung haben die?
Lukas Diehl:
Ja, kann ich und mache ich auch gerne. Wir haben zum Beispiel Menschen bei uns beschäftigt, die in einem klinischen Entzug gewesen sind, wegen möglicherweise einem Drogenmissbrauch im Vorfeld. Wir beschäftigen auch Menschen mit zum Beispiel überstandenen Herzoperationen. Da ist auch die Leistungsfähigkeit dann entsprechend zu berücksichtigen. Und wir haben auch Menschen beschäftigt, die eine Krebserkrankung glücklicherweise überstanden haben, sich in Remission befinden. Aber für alle diese Beeinträchtigungen oder Behinderungen, gibt es eben den Behindertenstatus oder einen graduellen Behindertenstatus.
Wiebke Modler:
Also sind die direkt auf dich zugekommen und haben von ihrer Schwerbehinderung berichtet? Oder war es eher so, dass es im Laufe des Arbeitsverhältnisses dazu kam und die auf dich zugekommen sind?
Lukas Diehl:
Die sind in der Form natürlich dann auf uns zugekommen. Ich muss aber dazu sagen, wir sind ein Familienunternehmen und wie schon gesagt, mit 38 Mitarbeitern nicht unbedingt ein riesengroßes Unternehmen. Und wir haben immer schon eine Politik der offenen Worte eigentlich gehabt. Also wir sind immer sehr eng und offen miteinander umgegangen oder aufeinander zugegangen und haben offen über Probleme gesprochen. Dementsprechend war das auch nicht so ein Thema. Wir haben da keine Geheimnisse drum gemacht und ich freue mich natürlich auch sehr, dass unsere Mitarbeiter das Vertrauen zur Geschäftsführung haben und auf uns zukommen und sich uns offenbaren bzw. eben mit uns über die Problematik auch gesprochen haben.
Wiebke Modler:
Ja, das ist natürlich erfreulich, dass ihr irgendwie so eine vertrauensvolle Umgebung habt, auf jeden Fall. Wie seid ihr denn damit umgegangen? Also ich meine, hattet ihr schon Erfahrungen? Wusstet ihr was damit einhergeht, wenn ihr jetzt jemanden habt, der eine Schwerbehinderung hat? Oder war das für euch auch komplett, als Führungsebene, was ganz neues und ihr musstet euch selbst informieren zwecks zum Beispiel Zusatzurlaub oder sonstiger Unterstützung, die eure Mitarbeitenden brauchen?
Lukas Diehl:
In dem offiziellen Kontext muss ich sagen, bin ich damit das erste Mal wirklich in dieser Vorstandsposition konfrontiert worden. Ich habe privat durchaus hier und da Berührungspunkte mit körper- und geistig behinderten Menschen. Ich habe zum Beispiel noch Zivildienst gemacht und habe damals in der Behindertenschule [Förderschule] meinen Zivildienst geleistet und habe da persönlich einfach schon wahnsinnig viel, ja sagen wir mal, Erfahrung einfach gemacht. Also es hat mich im Grunde erstmal, wahrscheinlich wie jeden anderen 18-jährigen erstmal, ein bisschen überfordert. Aber nach ein paar Wochen war das eigentlich ziemlich entspannt. Man hat da sehr viel gelernt. Ich kann das auch wirklich nur empfehlen für jeden Schulabgänger, auch heute noch. Wenn wir auch keine Wehrpflicht zurzeit mehr haben. Macht ein FSJ oder FÖJ oder irgendwas. Gerade so in Behindertenschulen oder in sozialen Einrichtungen werden auch Leute gebraucht. Also das ist mein kleiner Appell an dieser Stelle. So habe ich ein bisschen Erfahrung mit Behinderten sammeln können und einfach festgestellt, das Wichtigste ist, dass man sich darüber klar wird, das ist gar nicht so eine kategoriale Unterscheidung. Also man ist jetzt nicht behindert oder nicht behindert, sondern es gibt ja auch im Gesetz entsprechend verschiedene Schweregrade der Behinderung. Also allein da kann man schonmal sagen, vielleicht sind wir alle irgendwo ein bisschen beeinträchtigt und haben unsere Probleme. Und klar, es ist da nochmal ein Unterschied, wenn man das wirklich sieht, also wenn man den Menschen ansieht, dass sie eben anders vielleicht gebaut, geformt wie auch immer sind und dementsprechend auch Probleme im Alltag einfach haben.
Wiebke Modler:
Wobei du das jetzt bei einer Erkrankung des Herzens oder bei einer Alkoholsucht ja nicht unbedingt siehst.
Lukas Diehl:
Das stimmt. Richtig.
Wiebke Modler:
Deswegen bist du da ja schon darauf angewiesen, dass dir dein Mitarbeiter kommuniziert, was er für Einschränkungen hat.
Lukas Diehl:
Richtig.
Wiebke Modler:
Hast du es als Arbeitgeber in der Arbeitsleistung gemerkt, dass die Menschen vielleicht eine Beeinträchtigung haben? Oder sind die wirklich auf dich zugekommen?
Lukas Diehl:
Nee, die Leute sind schon auf uns zugekommen und ich sagte ja schon, dass wir da offene Worte sehr schätzen. Das macht es auch einfach für alle Betroffenen einfacher. Das heißt, die sind schon zu uns gekommen, haben gesagt: Hör mal, dieses und jenes Problem, ich brauche jetzt mal hier ein bisschen frei, ich muss mich jetzt um dieses und jenes kümmern. Genau das, nimmt einen vielleicht auch ein bisschen mit und ich will das jetzt auch nicht emotional alles betrachten. Ich bin ja im Endeffekt auch ein bisschen im wirtschaftlichen Bereich in der Pflicht, sagen wir es mal so, meinem Arbeitnehmer gegenüber, aber am Ende muss man sagen, da geht einfach die Gesundheit vor. Und da geht es einfach darum, dass man den Menschen einfach hilft diese Problematik zu überwinden und irgendwie klarzukommen und weiter irgendwie Teil unserer Gemeinschaft zu sein und zu bleiben. Das finde ich ganz wichtig. Und dann sind diese offenen Gespräche sehr wichtig und dann finde ich es auch immer etwas kritisch, dann über Leistung und so was noch zu diskutieren. An der Stelle geht es gar nicht mehr um Leistung, sondern da geht es darum, dass wir unsere Menschenpflicht einfach erfüllen.
Rufus Witt:
Haben denn die anderen Arbeitskollegen oder -kolleginnen das auch so empfunden, dass sie auch für die Entlastung waren? Oder gab es da ein Problem mit dem Betriebsklima vorübergehend?
Lukas Diehl:
Ich würde jetzt einfach mal sagen, nein. Ich glaube, das war für niemanden ein Problem. Wir haben das natürlich nicht jetzt ganz offen im großen Kreis kommuniziert, die ganze Problematik, aber bestimmte Dinge, die muss man eben dann einfach umsetzen. Und ich bin ganz froh, dass unsere Mitarbeiter da auch nie weiter drüber gesprochen oder sich beschwert haben. Das wird so angenommen und das muss auch so angenommen werden. Das ist mir auch ganz wichtig, dass das so angenommen wird und im Sinne von Leistung, na ja, meine Güte, es gibt mehr Urlaubstage, es gibt eben unter Umständen reduzierte Arbeitszeiten. Das ist sowieso viel gesünder für uns alle. Das wäre auch für jemanden ohne Behinderung wahrscheinlich hier und da mal ganz angenehm, ein bisschen mehr auf sich selber zu achten.
Wiebke Modler:
Jetzt dann so ein Stichwort mit Prävention. Also wenn du sagst, das ist für alle wichtig, macht ihr als Unternehmen irgendwas präventiv?
Lukas Diehl:
Das ist eigentlich das Stichwort. Es hat vor ein paar Jahren damit eigentlich angefangen, dass wir sehr viel über die Ergonomie am Arbeitsplatz nachgedacht haben. Das mussten wir, weil wir entsprechend Sicherheitsauflagen erfüllen müssen. Wir sind schließlich auch ein Pharma-Unternehmen, sozusagen, und unterliegen bestimmten Regularien. Und da gehören solche Sachen wie die Arbeitssicherheit mit rein und das geht dann eben bis zu: Welche Farbe haben die Glühbirnen an der Decke? und so weiter. Man kann sich hier und da auch fragen, wie sinnvoll ist das eigentlich alles? Aber bei den Sitzplätzen haben wir uns tatsächlich dafür entschieden, möglichst flächendeckend hoch ergonomische Stühle anzuschaffen und auch höhenverstellbare Tische. Die sind inzwischen auch fast flächendeckend bei uns verteilt, es sei denn, es sagt jemand: Och nee, bleib weg mit dem Kram, ich will das nicht. Das gibt es auch, aber das hat sich schon etabliert. Und das ist auch gut angekommen und ist auch gut für den Rücken, muss man dazu sagen. Ja, und im Laufe der letzten Jahre haben wir immer mal wieder so Sachen gemacht wie: Wir sind zusammen segeln gewesen. Das ist jetzt auch nicht ganz unsportlich, die Segel da hoch und runterziehen. Unser neuer Geschäftsführer hat relativ schnell die Lücke gesehen und genutzt und hat gesagt: So, wir nutzen den geldwerten Vorteil für alle Arbeitnehmer aus und ermöglichen zum Beispiel vergünstigte Mitgliedschaften in Fitnessstudios, zum Beispiel neben dem Jobticket. Wiebke Modler: War das alles Selbstrecherche oder habt ihr euch irgendwie nochmal Unterstützung angehört? Ich meine jetzt auch mit Bezug zu den Menschen, die mit Schwerbehinderung beschäftigt sind. Habt ihr euch Beratungsangebote eingeholt oder habt ihr mit irgendwem gesprochen, dass ihr wusstet, wie ihr mit Suchtproblemen umgehen könnt? Oder irgendwelche Arbeitsorganisationsachen? Lukas Diehl: Tatsächlich nein. Wir haben über diese Probleme eigentlich erst mehr erfahren, als es eben dann so weit war. Hier und da ist es eben leider so, da sind diese Schicksalsschläge gekommen und die sind uns auch nahe gegangen, die tun uns auch weh. Das tut weh, wenn dein Kollege oder deine Kollegin auf einmal mit so was vor dir steht und sagt: Hör mal, ich kriege ein neues Herz. So ungefähr. Oder: Wenn ich das nicht mache, dann gehe ich drauf. Das tut richtig weh. Da kriegt man richtig Angst und da muss man, also ich kann dann nicht verstehen, warum man an der Stelle diese Emotionalität nicht einfach mal zulässt und einfach mal sagt: ,,Komm, wir machen jetzt mal das Richtige und wir machen bei uns Parterre alles klar, dass wir im Notfall irgendwie für körperliche Einschränkungen gerüstet sind. Weil was kostet es denn? Umbauen muss man das sowieso irgendwann mal und dann macht man es auch einfach anständig. Das ist ja auch Auflage inzwischen.‘‘
Wiebke Modler:
Das ist ja auch die große Sorge, viel Geld dafür auszugeben. Dass das erstmal so viele Anschaffungskosten sind und dann, wenn man sagt ,,Ja gut, das ist nur für eine Person.‘‘ Aber wie du auch sagst, es ist präventiv gedacht. Und ich sag‘ mal, ein Aufzug schadet nicht.
Lukas Diehl:
Ja, gut wir haben bei uns momentan den Vorteil, dass wir Parterre ganz gut klarkommen. Also die Laborräume sind wahrscheinlich für einen Rollstuhlfahrer sowieso nicht besonders gut geeignet. Der dürfte da Schwierigkeiten haben durchzukommen. Da müsste man nochmal gucken, wie man das hinkriegen kann. Ob das überhaupt im Sinne aller Beteiligten ist, dass so ein Mensch, der einfach nicht laufen kann, zum Beispiel, ob der in einem Labor, in einem chemischen Labor, gut aufgehoben ist. Ich musste drüber nachdenken, auch in Vorbereitung zum Gespräch. Was ist denn zum Beispiel mit unseren Notduschen? Also wenn du dir jetzt im Labor wirklich Säure über den Latz kippst und der arme Kerl oder das arme Mädel möchte dann gerne sich die Notdusche genehmigen, um möglichst die ätzende Säure runterzukriegen und kommt dann aber nicht an diesen Notdusche Hebel dran. Ich kann aber natürlich auch nicht, weil das sind ja hochsensible Systeme, da tippst du einmal falsch mit dem Ellenbogen dran und dann steht die Bude unter Wasser, du kannst da natürlich jetzt auch nicht irgendeine Verlängerung dran knoten oder so, das geht natürlich auch nicht. Aber nichtsdestotrotz, wir haben nicht nur Labormitarbeiter, wir haben natürlich auch normale reguläre Schreibtischarbeit, Ergebnisauswertung, eben was aus den Maschinen rauskommt muss ausgewertet werden. Und das sind zum Beispiel Jobs, da sehe ich überhaupt kein Problem, da jemanden hinzusetzen, der von mir aus sogar vielleicht auch nicht sehen kann oder so. Da gibt es ganz tolle Möglichkeiten heutzutage, über so Braille-Automaten oder sonst was in die Richtung. Das ist alles machbar und ich finde das eigentlich eher spannend. Ich finde das eigentlich eher toll zu sehen. Es ist nicht nur eine Herausforderung, ich finde es auch toll. Ich will das jetzt nicht über den Klee loben. Es ist immer noch eine Schwierigkeit, in einer Welt zu leben, in der die meisten Menschen eben gucken können und man kann selber nicht gucken. Ist natürlich schon blöd, aber das heißt ja nicht, dass man dafür nicht was anderes ganz toll hat oder kann. Um Gottes Willen, das ist bei jedem Menschen so!
Wiebke Modler:
In welchem Bereich sind die eingestellt? Also sind die wirklich im Büro dann tätig?
Lukas Diehl:
Auch die arbeiten eigentlich in allen möglichen verschiedenen Bereichen, ob jetzt im Labor oder an den Geräten oder eben auch am Schreibtisch, bei der Ergebnisauswertung. Das ist eigentlich einfach durchmischt.
Wiebke Modler:
Ja, Lukas, heute soll es ja um die Ausgleichsabgabe gehen, daher die alles entscheidende Frage: Zahlt ihr aktuell die Ausgleichsabgabe?
Lukas Diehl:
Nein, da wir die Quote erfüllen. Also wir sind, wie schon gesagt, 38 Mitarbeiter. Wir haben aktuell zwei Personen mit Schwerbehindertenstatus. Damit erfüllen wir die Quote. Das heißt, man muss glaube ich, wie war es noch? Eine Person muss man haben ab 20 Leuten.
Rufus Witt:
Und was war denn in der Zeit, als noch kein Schwerbehinderter bei euch beschäftigt war? Da habt ihr die Ausgleichsabgabe aber dann zahlen müssen?
Lukas Diehl:
Damals haben wir sie gezahlt, genau. Als wir keine Schwerbehinderten beschäftigt haben, haben wir die Ausgleichsabgabe bezahlt, richtig.
Wiebke Modler:
Ja. Welche Erfahrungen habt ihr denn dann mit der Software IW-Elan gemacht?
Lukas Diehl:
Also ich persönlich habe gar keine Erfahrungen damit gemacht. Ich kann nur aus unserer Buchhaltung berichten, dass das ziemlich entspannt ist und gut angekoppelt ist, eben an unsere andere Buchhaltungssoftware.
Wiebke Modler:
Glaubst du, es gibt in eurem Unternehmen noch mehr Menschen mit Schwerbehinderung, die sich vielleicht nicht euch gegenüber geäußert haben?
Lukas Diehl:
Ich glaube nicht. Es würde mich sehr wundern, vielleicht sogar ein bisschen schockieren. Im Endeffekt wäre ich aber auch nur wieder, wie oft, desillusioniert, dass die Menschen doch oft so viel Angst davor haben. Aber gut, vielleicht aus guten Gründen, weil sie hier und da auch schon Probleme damit bekommen haben. Also ich glaube, das allerwichtigste bei der ganzen Sache ist, dass da wirklich eine gewisse Offenheit und auch vor allen Dingen Fairness walten zu lassen. Das ist superwichtig. Wenn es jetzt jemanden gäbe bei uns im Unternehmen, der sich sozusagen nicht getraut hat, sich zu melden oder, persönliche Gründe respektiere ich selbstverständlich, aber wenn es einfach nur darum geht, dass er oder sie denkt ich traue mich nicht, meinem Chef zu sagen…, dann bin ich entweder zu Recht empört oder ich bin ein schlechter Chef, ganz einfach. Das würde mir auch sehr leidtun. Da würde ich mich fühlen, als ob ich die Chance genommen kriege, meiner Pflicht als Vorgesetzter bzw. Arbeitgeber nachzukommen. Also das möchte ich an der Stelle auch ganz bewusst machen und möchte gerne, dass Menschen, insbesondere Menschen, die mir, ja nicht unterstellt sind, das sind diese Kategorien, in denen man da vielleicht denkt, aber Menschen, für die ich Verantwortung übernehme, ich möchte diese Verantwortung übernehmen. Ich möchte das auch sehr ernst nehmen und ich möchte einfach, dass solche Menschen auch den Mut haben, sich dazu äußern und entsprechend das auch zu sagen. Die haben jedes Recht dazu. Das ist gesetzlich festgelegt und auch, ich sprach eben schon die Menschenpflicht an, ich finde, wir sind uns da alle gegenseitig etwas schuldig. Offenheit, aber eben auch Fairness, ganz einfach.
Wiebke Modler:
Hat das etwas mit der Teamdynamik gemacht, dass auf einmal offengelegt wurde, da sind Menschen mit einer Schwerbehinderung.
Lukas Diehl:
Wir haben das jetzt nicht im Team beim Jour Fixe erklärt, dass Person X jetzt den Zustand Y hat. Ich denke, da ist viel über den Flurfunk passiert. Also das sind ja vielleicht auch mal Sprachrohre, die man als Chef möglichst in Ruhe lassen sollte, damit die Mitarbeiter auch mal ihre Ruhe haben. Ich denke, dass da glücklicherweise bei uns im Unternehmen kaum ein Problem eigentlich ist. Die Leute sind alle sehr, sehr lieb, sehr, sehr sozial, sehr einander zugewandt. Wir versuchen sehr, immer diesen Teamgeist da zu fühlen, die Hierarchien flach zu halten. Ich glaube nicht, dass da Reibungen oder Differenzen irgendwie größer geworden sind.
Wiebke Modler:
Ihr seid ja ein kleiner Betrieb und beschäftigt derzeit ja nur zwei Menschen mit Schwerbehinderung, daher ist es ja keine Pflicht, aber habt ihr eine Schwerbehindertenvertretung, Inklusionsbeauftragten oder ähnliche Vertrauenspersonen?
Lukas Diehl:
Also wir haben einmal unsere Sicherheitsbeauftragten oder Sicherheitsbeauftragte, die sich natürlich in erster Linie um die Einhaltung aller Vorgaben im Bereich Sicherheit und Arbeitssicherheit kümmert. Diese Person wäre natürlich auch ein guter Ansprechpartner für allerlei Probleme, wenn man irgendwie mit sitzen oder mit stehen oder mit ‚Ich komme nicht durch die Tür durch‘ und so weiter Probleme hat, das ist klar. Und ansonsten so im Vertrauen würde ich schon sagen, dass ich eigentlich der Ansprechpartner bin. Das ist jetzt kein offizieller Posten. Ich bin jetzt nicht irgendwie ein Counsellor, aber ich sehe mich da schon als Ansprechpartner und ich denke auch, dass die Leute mich da als Ansprechpartner auch akzeptieren, weil ich vielleicht ganz offen mit den Menschen einfach auch sprechen kann und das auch vielleicht ganz behutsam schaffe. Wer nicht mit mir spricht, der spricht nicht mit mir.
Wiebke Modler:
Wäre das für euch eine Möglichkeit, in Zukunft gezielter Menschen mit Behinderung anzusprechen und auch einzustellen?
Lukas Diehl:
Bei uns, mit 38 Leuten, wir haben das immer als Einzelfall. Bei uns sind das im Prinzip immer Einzelfälle und so würde ich das in nächster Zeit, solange wir nicht über 1000 Mitarbeiter kommen, und vielleicht klappt es, wahrscheinlich nicht, aber solange wir diese Problematik nicht haben, würde ich sagen, bleiben wir auch bei diesen Einzelfällen, weil dann kann ich mich behutsam um die einzelnen Leute kümmern. Wenn es irgendwann so viele werden, dann muss das strukturell anders angegangen werden das Ding, das ist klar. Wir haben einfach den Luxus, dass wir mit der kleinen Besetzung uns sehr explizit um die einzelnen Leute kümmern können. Und das ist für uns ein Vorteil. Ich würde, wenn ich jetzt jemanden einstelle, grundsätzlich nicht darauf achten, ob der körperlich, geistig behindert ist oder nicht. Es dürfte wahrscheinlich auch fallen an der einen oder anderen Stelle und dann muss man eben auch gucken. Haben wir eine Möglichkeit, dich unterzubringen, ohne deine Sicherheit auch zu gefährden? Und ich würde natürlich versuchen, da alles möglich zu machen. Ich kann es dir nicht genau sagen. Es ist so ein bisschen, es kommt einfach ein bisschen drauf an, es ist einfach so.
Wiebke Modler:
Also im Endeffekt auch kein Ausschlusskriterium.
Lukas Diehl:
Gar kein Ausschlusskriterium. Das ist kein Ausschlusskriterium, es ist nur eine Frage der Machbarkeit, ob das wirklich, ob das klappt bei uns. Das liegt eher an uns als an der sich bewerbenden Person. Meine Meinung! Wir sind da bestimmt nicht die Top Vorreiter und die allerbesten, aber wir geben uns Mühe und wir haben immer diese soziale Komponente, die war uns immer sehr wichtig. Vor allen Dingen, ich sagte ja, Familienunternehmen, das ist eine Sache, die auch von meinem Vater kommt, wir sind uns da sehr ähnlich, mein Vater und ich.
Wiebke Modler:
Zu guter Letzt: Habt ihr ein betriebliches Eingliederungsmanagement für die Leute, die ausgefallen sind, so mehr als sechs Wochen am Stück. Habt ihr das mit denen durchlaufen?
Lukas Diehl:
Ja, wir haben natürlich im Fall unserer herzkranken Person ein Wiedereingliederungsmodell, ich glaube Hamburger Modell heißt das, gemacht. Dann macht man irgendwie ein paar Wochen reduzierte Arbeitszeit und das wird dann so hochgestuft. Man kann das auch, ein bisschen aufwendig. Standardmäßig sind das zwei und zwei und zwei Wochen, bis man wieder komplett drin ist. Das heißt, die Arbeitszeit ist dann von zwei oder vier Stunden am Tag, ist sie dann langsam gewachsen. Wir sind jetzt inzwischen bei dieser Person aber bei sechs Stunden täglicher Arbeitszeit und dabei bleibt es auch. Das haben wir so vereinbart, das ist eigentlich einfach angemessen ihrer Leistungsfähigkeit. Ja, und im Fall des Entzugs war die Person auch, glaube ich, ein halbes Jahr ungefähr nicht anwesend. Wir haben da natürlich nicht mehr direkt das Gehalt bezahlt. Das lief dann auch über die Krankenkasse. Wir haben dann aber in diesem Eingliederungsmodell, also auch wieder nach dem Hamburger Modell, haben wir die Person dann wieder eingegliedert und dann baut sich das auf und dann tauscht sich das aus, dass quasi die Krankenkasse immer weniger zahlt und wir als Arbeitgeber dann wieder mehr bezahlen, so, wie wir das ja ganz normal eigentlich auch machen. Und auch bei dieser Person sind wir am Ende auf sechs Stunden am Tag kleben geblieben, sozusagen. Und das ist auch in Ordnung, das reicht. Ich würde mir wünschen, wir würden alle nur sechs Stunden am Tag arbeiten, das wäre deutlich gesünder, kann ich nur sagen.
Rufus Witt:
Vielen Dank, dass du bei uns warst, Lukas, danke für deinen Bericht aus der Praxis.
Lukas Diehl:
Ich bedanke mich auch, dass ich hier bei euch sprechen durfte. Hat mir viel Spaß gemacht. Wiebke Modler: Ja, danke dir fürs Kommen.
Rufus Witt:
Weitere Informationen zur Ausgleichsabgabe sowie die Software zur Schwerbehindertenanzeige finden Sie auf REHADAT-Ausgleichsabgabe und IW-Elan. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal.