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Episode 7 – Experte in eigener Sache: Mit Lernbehinderung zum Inklusionsexperten

In der siebten Episode von „Teilhabe & Inklusion“ spricht Wiebke Modler mit Louis Kleemeyer über seine persönlichen Herausforderungen und Erfolge im Umgang mit seiner Lernbehinderung. 

Louis beschreibt seinen Bildungs- und Karriereweg, von Mobbing in der Schule bis zur Gründung seines eigenen Unternehmens. Weil er den von öffentlicher Stelle vorgezeigten Weg in die WfbM nicht beschreiten wollte, hat er zusammen mit seiner Familie nach Möglichkeiten gesucht, diesen zu verlassen und eigene Wege zu gehen. Durch den offenen Umgang mit seiner eigenen Behinderung und den Einsatz spezieller Hilfsmittel hat er sich zum Inklusionsexperten entwickelt und berät nun Arbeitgeber im Umgang mit Menschen mit Behinderungen.

REHADAT-Podcast

Transkription

Rufus Witt:

Hallo und Willkommen zu einer neuen Folge von „Teilhabe und Inklusion – der REHADAT-Podcast“. Heute haben wir einen ganz besonderen Gast, der nicht nur Experte in eigener Sache ist, sondern auch einen besonders spannenden Karriereweg eingeschlagen hat. Wie schafft man es, mit einer Lernbehinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen? Wie baut man ein Unternehmen auf, wenn die Behördensprache eine besonders hohe Hürde darstellt? Diese und weitere Fragen stellt meine Kollegin Wiebke Modler heute Louis Kleemeyer. Er hat nach seinem Realschulabschluss eine Fachpraktikerausbildung im IT-Bereich gemacht, ist Mentor für Inklusion in Sport und in der Arbeitswelt und er hat eine eigene GmbH gegründet. Viel Spaß bei diesem Gespräch.

Wiebke Modler:

Ja. Hallo, Louis.

Louis Kleemeyer:

Hallo.

Wiebke Modler:

Schön, dass du da bist. Du machst ja gerade sehr, sehr viele Sachen auf einmal. Du bist Gründer einer Firma, haben wir gehört. Du coachst Unternehmen bei Inklupreneur. Du unterstützt bei den Special Olympics, bei den Rhine-Ruhr-Games jetzt und dabei hast du auch noch eine Lernbehinderung, mit der du ganz offen umgehst. Wann wurde die bei dir festgestellt?

Louis Kleemeyer:

Die Behinderung wurde festgestellt seit meiner Geburt. Zwei Tage nach meiner Geburt habe ich nicht mehr geatmet. Und das hat dazu geführt, dass ich bestimmte Sachen langsamer gelernt habe, sei es Krabbeln, Laufen oder auch Sprechen oder eben auch die Sportart. Wenn ich im Sportcamp war, habe ich immer langsamer gelernt, was der Trainer uns gegeben hat. Und das konnte sich nie klären, warum ich nicht geatmet habe. Aber man hat dann herausgefunden, dass damals wirklich in den Gehirnzellen bestimmte Sachen gestorben sind, also weil sie zu wenig Sauerstoff bekommen haben. Und damit hat sich die Behinderung mit 50 % quasi ausgewirkt. [Es wurde ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt.]

Wiebke Modler:

Wie hat das denn dein Bildungs- und Karriereweg beeinflusst?

Louis Kleemeyer:

Besonders in den frühen Jahren sehr doll, weil ich natürlich in der Schule oder auch in verschiedenen anderen Bereichen gemobbt wurde. Auch da verschiedene erste Begegnungen hatte damit und viele mich gefragt haben und ich mich selbst auch gefragt habe, wie das Leben gewesen wäre, wenn ich geatmet hätte und ohne die Behinderung wäre. Mein Bruder hat nämlich keine Behinderung und ist älter. Und man hat das im Leben immer gesehen, auch wenn mein Bruder mich immer unterstützt hat oder mir auch alles bestellt hat, sei es zum Beispiel beim Essen oder auch wenn wir unterwegs waren. Er hat die ganzen Fragen gestellt oder auch immer für mich was gemacht. Aber man stellt sich immer die Frage natürlich: was wäre, wenn du nicht die Behinderung hättest? Und das habe ich mir bis zu 18 Jahre immer gestellt. Und das war immer der falsche Ansatz, weil das kannst du ja immer stellen, aber du weißt nie, wie es anders ausgesehen hätte. Und das war eben Knackpunkt, weil du dann selbst nicht an dich glaubst und wenn alle Leute nicht an dich glauben, sei es die Lehrerin oder die Arbeitsagentur oder auch die Schüler, dann ist es eben auch schwer, Freunde zu finden und damit offen umzugehen.

Wiebke Modler:

Und dann jetzt dein Karriereweg: Also du hast gerade gesagt, dass dein Bruder immer für dich Essen bestellt hat und so Sachen gemacht hat. Hat der dir auch geholfen, deine Ausbildung zu finden oder irgendwie zu gucken, was nach der Schule möglich ist?

Louis Kleemeyer:

Es hat so angefangen, dass ich mit acht Jahren – also ich habe bis acht Jahre kein einziges Wort selbst irgendwo gesagt, außer bei der Familie intern und sonst wo habe ich immer gesprochen, aber es hat keiner verstanden. Und nur bestimmte Leute, die mit mir die ganze Zeit unterwegs waren oder mit mir gearbeitet haben, haben es auf Dauer verstanden, aber nicht alles. Dann habe ich mit acht Jahren gesagt, okay, ich muss ins Internat gehen. Halbes Jahr war ich dann in diesem Internat, war in Bonn und war dann nur dafür da, um Deutsch zu lernen mit gleichen Leuten, die gleiche Probleme haben. Und dann nach diesem halben Jahr Internat kam ich dann wieder und konnte das mit Logopädie noch verbessern. Und dann habe ich das dort an einer Schule, in der Förderschule für Sprache und Hören, noch mal verbessert. Und dadurch hat sich diese Selbständigkeit entwickelt. Dass ich dann für die Ausbildung – dann auch meine Eltern immer dabei waren und gesehen haben oder auch die Chance sehen, dass ich das schaffe – verschiedene Hilfsmittel habe, die mir dann geholfen haben.

Wiebke Modler:

Hilfsmittel – welche waren das?

Louis Kleemeyer:

Zum Beispiel die Logopädie gibt es, aber dann auch eben, dass man selbst sich auch aktiv Hilfsmittel sucht. Sei es eben, dass man bei Microsoft, wenn du täglich damit arbeitest, deine Tools findest, wie zum Beispiel, dass man alles, was Microsoft macht, sich auch vorlesen lassen kann. Also sei es bei Word, Teams oder auch bei Emails, [das] kann alles mit bestimmten Klicks vorgelesen werden. Und das hilft mir besonders, weil ab einer Seite wird es sehr schwer, das selber lesen zu können und verstehen zu können. Manchmal sind das so Wörter, die ich eigentlich kenne, aber in dem Moment mir nicht selbst erklären kann. Aber wenn einer vorliest, sei es ein Computer oder ein Mensch – das hilft mir sehr viel, den Text genau zu verstehen.

Wiebke Modler:

Hast du dich da selbst reingefuchst oder wer hat dich da auf diese Apps und diese Möglichkeiten aufmerksam gemacht?

Louis Kleemeyer:

Viel selbst reingefuchst, aber auch viel mit den Eltern zusammen gesucht und Tage am Rechner gehangen und habe gesagt ok, irgendwie muss es doch auch anders gehen. Ich habe dann wirklich viel bei Google Recherche gemacht und so. Und jetzt habe ich die Tools immer täglich dabei und kann jetzt eigentlich sagen, ich kann jetzt alles genauso schnell machen oder umsetzen wie jeder andere.

Wiebke Modler:

Das heißt, jetzt beeinträchtigt dich deine Lernbehinderung im Job noch konkret irgendwie oder kannst du das mit den Hilfsmitteln sehr gut ausgleichen?

Louis Kleemeyer:

Ich kann mit den Hilfsmitteln eigentlich so, sagen wir mal fast 90 % ausgleichen. Es gibt natürlich immer noch so Tage, wo ich vielleicht ein Wort habe, dann nicht weiß, wie das geschrieben wird und ich dann Andeutungen in das Word-Dokument reinschreibe. Manchmal weiß Word dann schon, was ich da meine. Und wenn es dann nicht weiß, was ich meine, dann versuche ich das zum Beispiel in mein Handy reinzusprechen. Dann weiß Google – ich spreche dann rein und nach dreimal, viermal Sagen weiß auch Google dann, was meine ich für ein Wort. Dann sehe ich das auf dem Bildschirm, schreibe es ab und dann ist es auch okay.

Wiebke Modler:

Du hast eine Fachpraktikerausbildung für IT-Systeme gemacht. Wie lief denn die Suche davor? Wie hast du überhaupt von Fachpraktikerausbildungen gehört oder wie hast du davon erfahren?

Louis Kleemeyer:

Dieser Anfang mit Fachpraktikerausbildung – es war nicht einfach, den ersten Schritt zu gehen, weil viele immer gesagt haben, Menschen mit Behinderung können nur eine Sichtweise und das ist Behindertenwerkstatt. Und meine Eltern wollten unbedingt, dass es nicht so ist, weil wir eben gesehen haben, „der Louis hat einen Hauptschulabschluss geschafft“. Und ich habe danach auch sogar noch geschafft, einen Realschulabschluss zu machen. Die Arbeitsagentur hat das noch immer nicht richtig anerkannt. Und die haben eigentlich nur einen Test anerkannt, bei denen vor Ort selbst zu machen und dieser Test war dann nicht behinderungsgerecht. Also es war nicht nach den Regeln, die man eigentlich bei den Förderschulen hat. Zum Beispiel, dass die Rechtschreibfehler nicht beachtet werden oder dass man zu zweit oder höchstens zu zehnt in einer Klasse ist. Man war mit 30 [anderen Menschen] in dieser Testung von dieser Arbeitsagentur und dann wurde ich natürlich runtergestuft. Und ich durfte auch nicht was fragen, was ich nicht verstanden habe. Also eine Frage, die ich nicht verstand habe, konnte ich nicht nachfragen. Und dann kam bei diesem Test raus, neuer Abschluss. Und nach diesem neuen Abschluss haben die dann gewertet. Dann haben die gesagt okay, wenn sie einen anderen Weg gehen wollen und nicht nach dem Abschluss, den wir nicht bewerten können, müssen Sie den Schritt alleine gehen. Also habe ich sage okay, gut, dann gehen wir den Schritt alleine. Habe selber eine IHK [Industrie- und Handelskammer] gefunden, selber einen Arbeitgeber gefunden, selber mit den Eltern das alles geschaut, wie das funktionieren kann – und haben dann sogar eine Liste gefunden an Fachpraktiker, die es ja überall auf der Liste gibt. Also die gibt es auf der Liste, aber niemals wo ich dachte, dass es sie gibt. Das ist schade. Es gibt wirklich jede [Fachpraktikerausbildung], die du dir vorstellen kannst – Büro, sei es im Handwerksbereich, aber auch in anderen Bereichen. Dieses Fachpraktiker – es ist immer für Menschen, für die es dann vereinfacht wird. Bestimmte Sachen von der „normalen“ Ausbildung“ werden dann rauskommen. Die sind aber nicht bei der IHK mit Vorlagen – wie zum Beispiel die Zwischenprüfung, die Abschlussprüfung oder auch die Lerninhalte – in den einzelnen Betrieben hinterlegt. Und das haben wir dann wirklich mit der Emschergenossenschaft angefangen aufzubauen.

Wiebke Modler:

Hast du dich bei mehreren Betrieben beworben dann? Oder vielleicht bist du über ein Praktikum reingekommen. Wie war das?

Louis Kleemeyer:

Genau. Ich bin durch das Praktikum bei der Emscher reingekommen. Wir hatten da einen guten Kontakt da drinnen gehabt, der auch wirklich eine gute Position hatte. Die haben dann gesagt, wenn das Praktikum gut läuft, dann nehmen wir dich. Und wir haben zwei Wochen Praktikum gemacht – das war im IT-Bereich – und das hat super gut funktioniert. Und dann haben wir gesagt, ok, dann gehen wir es an. Aber es war der Schritt und der war einfach und dann ging das erste Thema wirklich los. Wo man sich ganz viele Fragen stellt. Also wie die IHK zum Beispiel auch. Die haben ja meistens eben Vorlagen aus den letzten Jahren und passen das bisschen an. Dann packen die ein paar neue Themen rein, damit die auf dem neusten Stand sind. Aber das von Grund aus neu aufzumachen, war eine ganz besondere Anforderung natürlich.

Wiebke Modler:

Also haben alle mit dir auch neu gelernt.

Louis Kleemeyer:

Genau. Also sei es eben – weil die Emschergenossenschaft das erste Mal in der IT einen Menschen mit Behinderung hatte. Sie dachten: okay, wie können wir das Programm anpassen? Müssen wir das Programm überhaupt anpassen von der IT-Ausbildung oder müssen wir das Programm irgendwie anders machen/gestalten? Da war das auch so kurz davor, dass ich dachte, ich muss die Ausbildung abbrechen, weil ich eben nur Richtung Programmieren geleitet wurde, wo ich eben sehr viele Sachen nicht kann. Sei es eben die Wörter richtig zu schreiben – oder das war immer sehr schwer, das jeden Tag zu sehen, dass du die Worte nicht richtig schreiben kannst. Oder nach viel Nachschauen und viel Mühe kannst du das Wort dann schreiben, aber dann hast du das nächste Wort wieder und dann das nächste Wort. Und dann zeigt dein Computer immer wieder, es ist rot oder es ist Error. Es ist sehr aufwendig, dich damit jeden Tag konfrontiert zu sehen. Und da habe ich eben sagt, wir müssen in einen anderen Bereich gehen, ohne dass es um Programmieren geht. Und die haben das eben vorher nie gemacht. Deswegen haben die sagt, das ist nicht mehr machbar, bis zu dem Tag, wo wir uns wirklich zusammen an den Tisch gesetzt haben, miteinander gesprochen haben. Nicht nur er, also nicht nur der Ausbilder mit einem anderen Mitarbeiter zum Beispiel. Das war der Lösungsweg, würde ich sagen. Am Tisch zu sitzen, auch wirklich wöchentlich oder monatlich auch immer Updates zu haben. Und dann haben wir wirklich einen Weg gefunden mit einer externen Firma, die zum Beispiel nur den IT-Support macht. Also habe ich nur wirklich die Mitarbeiter betreut mit Technik-Support, wie zum Beispiel Laptop updaten, Handy updaten, ein Handy einzurichten, so Dinge zu machen. Diese Dinge waren für mich viel einfacher zu lernen, weil es nicht darum geht, jedes Wort oder jeden Buchstaben richtig schreiben zu können.

Wiebke Modler:

Hast du noch irgendwelche anderen Nachteilsausgleiche bei den Prüfungen bekommen oder irgendwelche anderen Hilfen, Unterstützung?

Louis Kleemeyer:

Genau, weil es eben besonders für Menschen mit Behinderungen eine vereinfachte Ausbildung ist, habe ich ganz viele Nachteilsausgleiche dadurch auch selbst bekommen. Die auf der Behinderung, die man hat, anpasst wird. Also bei mir bei den Prüfungen habe ich mehr Zeit bekommen. Oder dass meine Rechtschreibfehler nicht anerkannt werden oder dass die Texte, die ich benutze, vorgelesen werden. Sei es durch mein eigenes Tool auf dem Laptop zum Beispiel, dass die ganzen Sachen digital werden. Aber das habe ich auch mit der IHK abgesprochen, dass es digital ist und der Laptop keinen Internetzugriff hat, dass man nicht schummeln kann. Aber genauso, dass man das Word-Dokument sich vorlesen lassen kann. Dann haben wir es auch ausgeführt.

Wiebke Modler:

Wurdest du dann übernommen oder hast du dann direkt einen anderen Weg eingeschlagen?

Louis Kleemeyer:

Ich hatte die Chance, übernommen zu werden. Die haben das positiv überraschend aufgenommen, dass ich da wirklich gut angefangen habe. Die hätten es nicht gedacht, dass es nach dem guten ersten Gespräch da wirklich gut alles klappt. Das war auch sehr krass zu sehen, was der Louis alles trotzdem so mit seiner Behinderung kann. Das war für die so Wow-Effekt. Dann fanden die es sehr schade, dass ich gegangen bin. Weil ich eben dann gesehen habe, ich muss irgendwie versuchen, diese Probleme, die ich jetzt hatte, oder auch diese Herausforderungen für Menschen mit Behinderungen zu ändern. Und zu sagen, ich bin diesen Schritt gegangen, aber wir wollen immer auch was Aktives sehen. Wir müssen die Schritte vereinfachen, dass jeder diese Schritte gehen kann und es nicht endet, weil die IHK nicht vorbereitet ist. Oder weil die Agentur nicht vorbereitet ist.

Wiebke Modler:

… einfach auch darauf hinweisen, was ist möglich mit Behinderung. Jetzt hast du eine GmbH gegründet, was ich total beeindruckend finde, weil – na ja, du bist 22 Jahre alt und hast dazu noch eine Lernbehinderung. Bist du nicht verrückt geworden bei dem ganzen Behörden-Papierkram? Oder wer hat dir dabei geholfen?

Louis Kleemeyer:

Doch, ich alleine bin davon oft verrückt geworden. Ich habe auch manchmal Tage gehabt, wo ich gesagt habe, ich schmeiße alles hin, ich brauche das alles nicht mehr und ich gebe es auf – dass ich nicht alles schaffe. Aber in diesen Phasen hat mich dann mein Vater motiviert. Mein Vater ist seit 20 Jahren selbstständig und hat eine Event-Agentur gegründet und hat mir besonders in der Anfangszeit geholfen und die Idee geben, dass wir den Weg schaffen. Und dass wir wirklich zum Notar gehen und auch die ganzen gesetzlichen Satzungen und auch die ganzen Verträge verstehen. Also er hat mir dann das einfach erklärt, was da drinsteht, warum das sein muss, warum es einen Notar geben muss. Und das haben wir dann mit meinem Vater – und auch bei vielen verschiedenen Wettbewerben, die ich gewonnen habe, Mentoren bekommen oder auch Workshops bekommen – mit der Zeit immer mehr gelernt.

Wiebke Modler:

Welche Wettbewerbe meinst du?

Louis Kleemeyer:

Also STARTUP TEENS gibt es da zum Beispiel. Da haben wir in meiner ersten Zeit – da hatte ich das Unternehmen nicht einmal sechs Monate gehabt – da habe ich mich einfach beworben. Ging auch noch gerade eben so. Mit 19 Jahren ist man quasi gerade am Ende [der Altersgrenze]. STARTUP TEENS ist besonders für Jugendliche, die gerade eine Idee entwickelt haben. Dann schreibt man so einen Businessplan. Die helfen dir aber auch, das auszuführen. Das haben die bei uns auch gemacht und dann haben wir es hingeschickt. Da gibt es ein Online-Voting. Nach diesem Online-Voting gibt es einen Pitch und da gibt es sieben Kategorien. Wir waren im Bereich Society und haben damit sogar 10.000 Euro gewonnen. Und so konnten wir dann mit wenig Eigenkapital auf die GmbH umspringen.

Wiebke Modler:

Und was ist das Wichtigste, dass du Unternehmen über Inklusion beibringen möchtest?

Louis Kleemeyer:

Dass man Offenheit gibt den Menschen mit Behinderungen, und auch einen Respekt miteinander führt. Dass man wirklich sagt, wir sprechen auf Augenhöhe und dann nicht „die Menschen mit Behinderungen können es eh nicht schaffen“. Sondern auf Augenhöhe und den Leuten das auch wirklich zutraut, dass man ihnen eine Stelle gibt und dann auch wirklich sagt, wir gehen die Schritte mit euch zusammen. Es gibt Dinge, die man immer das erste Mal macht und dann geht man in den Schritt und dann lernt man immer wieder daraus und hat auch keine Angst vor Fehlern. Wir machen ja auch täglich Fehler und es ist gut, die Fehler zu machen, weil dann kann man daraus wieder lernen. Wie viele Fehler habe ich gemacht mit meiner Selbstständigkeit?

Wiebke Modler:

Was sind denn die häufigsten Fehler, die Personalerinnen und Personaler in einem Bewerbungsgespräch machen können?

Louis Kleemeyer:

Fehler sind, einfach zu sagen: das machen wir genauso wie alle anderen. Weil [es gibt dann] Menschen mit Behinderungen, die sich zum Beispiel nicht öffnen, und sagen okay, ich habe eine Behinderung. Es ist sehr schwer zu sagen, dass die eine Behinderung haben. Und wenn dann das Bewerbungsgespräch wie jedes andere läuft – dann zu sagen, wir machen einfach das wie alle anderen und nicht zu sagen, wir sind aktiv auf der Suche nach Menschen mit Behinderungen. Sondern das wirklich aktiv zu sagen. Oder wir sind bei Inklupreneur oder bei myAbility oder bei anderen Formaten in einem Coaching-Programm mit drin oder haben unseren ersten [Menschen mit Behinderung] schon eingestellt oder Praktika schon gehabt. Dass man einfach aktiv zeigt, wir sind offen für das Thema Inklusion und arbeiten aktiv daran. Das machen ganz wenige Unternehmen und sollten aber viel mehr machen, weil es in den ersten Minuten [im Bewerbungsgespräch] sehr viel Vertrauen weckt, wo die meisten auch dann wirklich sich selbst öffnen. Und dann sagen, ich habe diese oder diese Behinderung und ich habe auch diese und diese Bedürfnisse. Und dann ist es ein ganz lockeres Gespräch.

Wiebke Modler:

Was wäre so ein No-Go, was die fragen könnten.

Louis Kleemeyer:

Es gibt eigentlich kein No-Go, es gibt eigentlich nur Fragen, die man nicht stellen kann. Also es gibt eigentlich nur Fragen, die man nicht stellt, von sich aus, weil man Angst hat. Ich bin immer einer – und ich stehe auch dahinter, viele Menschen stehen auch nicht dahinter – aber ich sage immer lieber, frag mal mehr als gar nicht. Weil dann weiß man nicht voneinander, was man wirklich wissen möchte oder wissen möchte für die Stelle. Und wenn man die Fragen nicht stellt, kommt die Person dann rein und merkt dann aber „oh, das passt gar nicht“, weil die Gegebenheiten, wenn man ins Büro reinkommt, gar nicht passen. Oder weil die ganzen Menschen gar ich wussten, dass ein Mensch mit Behinderung da ist oder dass die ganzen Arbeitsplätze zum Beispiel noch nicht angepasst sind. So Fragen sind dann schon wichtig zu stellen, auch wenn sich die Menschen mit Behinderung nicht trauen, etwas zu sagen. Ich bin ich dafür mehr zu fragen, als gar nicht zu fragen.

Wiebke Modler:

Aber es ist auch schon unhöflich zu fragen: Seit wann hast du das? Und direkt: Welchen Grad der Behinderung hast du? Oder findest du das okay?

Louis Kleemeyer:

So direkt würde ich das vielleicht nicht fragen. Aber mit Leuten, die sich innerlich bewusst sind, dass sie so was haben, dann ist es okay. Aber man kann es auch bisschen anders formulieren. Also man kann sagen, welche Bedürfnisse hast du oder welche Sachen kannst du allein schaffen und für welche Dinge brauchst du Unterstützung? Und dann ist es nicht direkt mit Behinderung benannt oder auch nicht mit „seit wann hast du die Krankheit?“. Damit verletzt du ja auch Leute [Betroffene]. Man muss versuchen das alles anders zu formulieren und dann ist es nicht so schlimm benannt. Deswegen gibt es auch so ein Regelwerk, das wir auch immer bei diesem Coaching durchgehen. Es gibt dann so ein Regelwerk zum Beispiel: „Informiere in deinen Stellenangeboten, wie die Arbeitsplätze aussehen.“  Also: Gibt es einen barrierefreien Zugang? Gibt es den nicht? Gibt es flexible Arbeitszeiten? Zum Beispiel ist es Teilzeit, Vollzeit? Weil viele wollen mit Teilzeit anfangen oder mit einem Praktikum. Und wollen dann hochsteigen mit einem langsamen Tempo oder brauchen einen Ruheraum. Viele Autisten wollen eben mal auch in den Ruheraum gehen und es ein bisschen Entspanntheit haben, weil die alles sehen und nicht filtern können. Dann ist es für die ganz wichtig sagen zu können, ich kann mir immer Zeit nehmen im Meetingraum und komme danach wieder ins Arbeitszimmer rein. Da sind noch viele andere da, aber das sind die einfachsten Sachen.

Wiebke Modler:

Würde dir das ein gutes Gefühl geben, wenn man auch erwähnt, dass es andere Leute mit Behinderungen gibt?

Louis Kleemeyer:

Ja. Also ich bin leider immer – also was heißt leider – aber ich bin immer so eine Art Versuchskaninchen für alles. Sei es bei der Emschergenossenschaft, da war noch keiner da. Bei der neuen Stelle, bei den Rhine-Ruhr-Games, bei dem allgemeinen Hochschulverband ist auch wieder keiner gewesen vorher. Aber jedes Unternehmen, das das offen kommuniziert, gibt einem Vertrauen. Auch genauso, wenn man sagt, wir schaffen einen Mitarbeiter, der eben eine Vertrauensperson ist. Der wirklich immer erreichbar ist und der auch hoffentlich nicht wechselt. Der einmal bleibt und [man] nicht seine Geschichte jedes Mal neu erzählen muss. Also nur eine Person, [der man sagt], was habe ich eigentlich? Und diese Person das dann versucht, im Team allgemein zu kommunizieren quasi. Eigentlich genauso behandeln, wie auch andere Leute dich behandeln sollen.

Wiebke Modler:

Ja, das gibt einem immer das gute Gefühl, wenn du weißt, dass jemand in derselben Position schon mal war oder ist. Wenn du es jetzt runterbrechen müsstest, wenn du drei Top-Tipps hättest, welche sind das?

Louis Kleemeyer:

Die Top-Tipps wären, würde ich sagen: Erstens, die Chancen wirklich den Menschen mit Behinderungen zu geben. Und dann würde ich eben auch sagen, diese Offenheit auf beiden Seiten zu geben, dass es das erste Mal ist und dann, wenn es erfolgreich ist und auch die Menschen mit Behinderungen langfristig bleiben, offen auf der Website zu präsentieren.

Wiebke Modler:

Wenn du anderen Menschen mit Behinderungen etwas raten könntest in Bezug auf die Ausbildung, also wenn jetzt gerade starten möchten oder auf der Suche sind, was wäre das, was du denen gerne mitgeben würdest?

Louis Kleemeyer:

Ich würde denen gerne mitgeben, dass die auf jeden Fall auf das Recht, das wir haben, dass man die gleichen Chancen wirklich bekommen sollte, darauf bestehen und den Menschen, solche wie bei der Arbeitsagentur oder auch bei den Arbeitgebern, das klar machen. Und dass man auch wirklich Druck macht, dass es diese Fachpraktikerausbildung gibt und auch dieses Recht gibt, dass die ausbilden müssen. Und dass ich viel Kraft wünsche dafür und wenn es irgendwelche Probleme gibt, kann man auch versuchen, sich Hilfe zu suchen.

Wiebke Modler:

Hast du Verständnis dafür, wenn man das nicht offenlegen möchte? Also es gibt ja Behinderungen, da kannst du das eigentlich nicht verheimlichen, dass du eine hast. Aber es gibt ja auch chronische Erkrankungen oder andere Behinderungen, wo man das nicht so offensichtlich sieht. Hast du Verständnis dafür, dass Leute das nicht offen sagen?

Louis Kleemeyer:

Ja, habe ich. Ich habe großes Verständnis, dass Menschen das nicht offen sagen wollen. Aber es ist die Sache so ein bisschen, wenn man es verheimlicht, kann der Gegenüber auch nicht darauf reagieren. Also man kann so viel sagen, es hilft meistens eigentlich immer, offen und ehrlich zu sein. Dann kann das Gegenüber, egal was es ist, besser darauf reagieren. Aber ich kann genauso gut nachvollziehen, wenn man sagt, mir ist es zu krass, meine Geschichte persönlich immer wieder zu erzählen. Das muss man auch sehr oft im Leben/ am Tag. Sei es bei den ganzen verschiedenen Behörden, die es gibt für Menschen mit Behinderungen und so. Da musst du ja jedes Mal neu anfangen. Das kann ich voll nachvollziehen, aber es ist ein guter Schritt, wenn man sich das selbst auch eingesteht, dass man dieses Problem hat, aber auch aktiv daran was ändern möchte.

Wiebke Modler:

Du hast bislang nur gute Erfahrungen gemacht, wenn dein Arbeitgeber darüber Bescheid wusste?

Louis Kleemeyer:

Ja, also ich habe mich beworben auf verschiedene Jobs, habe das aktiv benannt und wurde für den Job nicht angenommen. Also ich kann nicht sagen, ob das an der Behinderung liegt, aber mir wurde eine Absage geschickt. Also bis ich nach den Special-World-Games die Rhine-Ruhe-Games gefunden habe, die auch wieder eine besondere Ausbildung ist nur für Menschen mit Behinderungen, also nur ein Arbeitsplatz ist für Menschen mit Behinderungen wieder, hat es halt gedauert. Und wir haben 15 Unternehmen angeschrieben und zwei Möglichkeiten haben sich daraus ergeben. Das ist natürlich kein guter Wert. Obwohl ich schon eine Ausbildung habe, einen Realschulabschluss habe und viele [Erfahrung mit] Start-ups habe. Aber das ist natürlich ein Weg, den man damit geht und ich gehe offen damit um, um das nach draußen zu beziehen, dass eben wir alle doch Dinge umsetzen können. Sei es eben ein Business und so, das denen die Augen öffnet.

Wiebke Modler:

Ja, ich fands auf jeden Fall sehr spannend, was du gesagt hast, weil du natürlich von einem sehr introvertierten Menschen wirklich jetzt total extrovertiert geworden bist und deine Message irgendwie nach draußen trägst. Und das finde ich beeindruckend.

Louis Kleemeyer:

Vielen Dank.

Wiebke Modler:

Ok, super. Vielen Dank, dass du dabei warst.

Louis Kleemeyer:

Viele Dank für die Einladung und hat mich sehr gefreut, dabei zu sein.

Wiebke Modler:

Danke dir.

Rufus Witt:

Wir danken Louis für seine Offenheit und packen Links zu Unterstützungsmöglichkeiten in der Ausbildung und im Arbeitsleben in die Shownotes. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal.

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