A. Die Berufung der Beklagten ist als Rechtsmittel in einem Rechtsstreit über den Bestand eines Arbeitsverhältnisses ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft, § 64
Abs. 2 c
ArbGG. Sie ist nach Maßgabe der im Tatbestand mitgeteilten Daten form- und fristgerecht eingelegt sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden, § 66
Abs. 1
ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520
ZPO, und insgesamt zulässig.
B. In der Sache hat die Berufung der Beklagten keinen Erfolg, sie ist unbegründet. Das Arbeitsgericht Kassel hat der Kündigungsschutzklage der Klägerin im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung der Beklagten mit sozialer Auslauffrist vom 05. Februar 2016 nicht aufgelöst worden.
Diese Kündigung der Beklagten, welche die Klägerin rechtzeitig angegriffen hat;
§§ 13 Abs. 1, 4 Satz 1 KSchG ist unwirksam. Es kann dahinstehen, ob mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen ist, dass bereits "an sich" kein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung gegeben ist (in diesem Sinne versteht das Berufungsgericht die Ausführungen des Arbeitsgerichts, "die streitgegenständliche Kündigung ist nicht sozial gerechtfertigt im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes"), denn jedenfalls ist die Kündigung deshalb unwirksam, weil dem Kündigenden unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar war und ihm insbesondere mildere Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung standen. Im Hinblick auf die von der Beklagten unterlassene ordnungsgemäße Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM) nach
§ 84 Abs. 2 Sozialgesetzbuch IX, in der hier maßgeblichen bis 31. Dezember 2017 gültigen Fassung (
SGB IX a. F.), und der daraus resultierenden gesteigerten Darlegungslast der Beklagten ist für die Berufungskammer jedenfalls nicht feststellbar, dass die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügt und ihr keine milderen Mittel als die ausgesprochene Kündigung offen standen.
I. Die Kündigungsschutzklage ist begründet. Die außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung mit sozialer Auslauffrist der Beklagten vom 05. Februar 2016 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst.
Die Kündigung ist unwirksam, entweder hat mangels negativer Prognose im Kündigungszeitpunkt (dazu nachfolgend unter B. I. 2e) der Entscheidungsgründe) bereits kein wichtiger Grund zur außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung mit sozialer Auslauffrist bestanden oder diese ist jedenfalls nicht "ultima ratio", damit unverhältnismäßig (dazu nachfolgend unter B. I. 2f) der Entscheidungsgründe) und deshalb unwirksam.
1. Übereinstimmend gehen beide Seiten davon aus, dass auf ihr Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung findet. Nach § 34
Abs. 2 Satz 1 TVöD kann das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nur noch aus einem "wichtigen Grund" gekündigt werden, weil die Klägerin entsprechend den Voraussetzungen dieser Vorschrift im Zeitpunkt der Kündigung durch die Beklagte das 40. Lebensjahr vollendet und länger als 15 Jahre bei der Beklagten beschäftigt war.
2. Der Begriff des "wichtigen Grundes" in § 34
Abs. 2 Satz 1 TVöD ist inhaltsgleich mit dem des § 626
Abs. 1
BGB und nimmt auf dessen Voraussetzungen Bezug. Nach § 626
Abs. 1
BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
a) Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit kann ein wichtiger Grund iSd. § 626
Abs. 1
BGB sein. Dem Arbeitgeber ist aber grundsätzlich die Einhaltung der Kündigungsfrist zuzumuten, und schon an eine ordentliche Kündigung wegen Arbeitsunfähigkeit ist ein strenger Maßstab anzulegen. Lediglich in eng begrenzten Fällen kommt daher eine außerordentliche Kündigung in Betracht, etwa wenn die ordentliche Kündigung aufgrund tarifvertraglicher oder einzelvertraglicher Vereinbarungen ausgeschlossen ist (
BAG 20. März 2014 -
2 AZR 288/13 - Rn. 28, NZA-RR 2015, 16;
BAG 23. Januar 2014 -
2 AZR 582/13 - Rn. 26, BAGE 147, 162;
BAG 20. Dezember 2012 -
2 AZR 32/11 - Rn. 14, DB 2013, 882, jeweils mit weiteren Nachweisen).
b) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erfolgt die Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung im Rahmen einer dreistufigen Prüfung. Zunächst ist auf einer ersten Stufe eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Dafür müssen abgestellt auf den Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen in bisherigem Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine künftige Entwicklung eines Krankheitsbildes sprechen, sofern sie nicht ausgeheilt sind. Ferner müssen die prognostizierten Fehlzeiten auf einer zweiten Stufe zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen. Schließlich muss auf einer dritten Stufe eine vorzunehmenden Interessenabwägung ergeben, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billiger Weise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht
vgl. z. B. BAG 13. Mai 2015 -
2 AZR 565/14 - Rn. 12 ff, NZA 2015, 1249 ff ;
BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/99 - Rn. 11, BAGE 135, 361 , jeweils mit weiteren Nachweisen).
c) Bei einer außerordentlichen Kündigung ist dieser Prüfungsmaßstab auf allen drei Stufen erheblich strenger und muss den hohen Anforderungen Rechnung tragen, die an eine außerordentliche Kündigung zu stellen sind (
BAG 23. Januar 2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 28, BAGE 147, 162;
BAG 18. Januar 2001 -
2 AZR 616/99 - II 4b der Gründe, NZA 2002,455, jeweils mit weiteren Nachweisen). Die prognostizierten Fehlzeiten und die sich daraus ergebende Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen müssen deutlich über das Maß hinausgehen, welches eine ordentliche Kündigung sozial zu rechtfertigen vermöchte. Es bedarf eines gravierenden Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung. Ein solches ist gegeben, wenn zu erwarten steht, dass der Arbeitgeber bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses -
ggf. über Jahre hinweg - erhebliche Entgeltzahlungen zu erbringen hätte, ohne dass dem eine nennenswerte Arbeitsleistung gegenüberstände (
BAG 23. Januar 2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 28, BAGE 147, 162;
BAG 12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 27, AP § 626
BGB Krankheit,
Nr. 13, jeweils mit weiteren Nachweisen). Die Aufrechterhaltung eines "sinnentleerten" Arbeitsverhältnisses kann dem Arbeitgeber auch im Falle eines ordentlich nicht kündbaren Arbeitnehmers unzumutbar sein (
BAG 23. Januar 2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 28, BAGE 147, 162;
BAG 12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 27, AP § 626
BGB Krankheit,
Nr. 13;
BAG 18. Januar 2001 - 2 AZR 616/99 - II 4c) cc) der Gründe, NZA 2002,455, jeweils mit weiteren Nachweisen).
d) Die Parteien streiten darüber, ob im Kündigungszeitpunkt eine negative Gesundheitsprognose vorlag.
Während die Klägerin behauptet, im Stande zu sein und gewesen zu sein, die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen, weil die ursprüngliche Erkrankung vollständig ausgeheilt sei, behauptet die Beklagte u. A. mit Schriftsatz vom 25. April 2018, dass die Klägerin ab dem 10. März 2012 durchgängig arbeitsunfähig gefehlt habe und meint deshalb, dass bei Kündigungsausspruch eine negative Gesundheitsprognose bestanden habe. Es kann dahinstehen, ob im Kündigungszeitpunkt eine negative Gesundheitsprognose vorlag oder nicht, denn die Kündigung ist in beiden Fällen unwirksam.
e) Unterstellt, dass im Kündigungszeitpunkt keine negative Gesundheitsprognose vorlag, weil die Klägerin arbeitsfähig und nicht dauerhaft außer Stande war die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, wie sie selbst behauptet und wovon das erstinstanzlich eingeholte Sachverständigengutachten aus orthopädischer Sicht ausgeht, dann hat es im Kündigungszeitpunkt keinen wichtigen Grund für eine krankheitsbedingte außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist gegeben und die Kündigung der Beklagten ist bereits aus diesem Grund unwirksam. In diesem Fall würde die krankheitsbedingte außerordentliche Kündigung der Beklagten mit sozialer Auslauffrist bereits auf der ersten Prüfungsstufe scheitern.
f) Unterstellt, dass im Kündigungszeitpunkt eine negative Gesundheitsprognose gegeben war, weil die Klägerin seit 10. März 2012 arbeitsunfähig erkrankt war und jedenfalls wegen einer mittelgradigen Depression dauerhaft außer Stande die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, wie die Beklagte behauptet und worauf sie ihre Kündigung stützt, dann ist der Beklagten auch auf Basis ihres eigenen Vorbringens die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar, die Kündigung ist deshalb unverhältnismäßig und aus diesem Grunde unwirksam. In diesem Fall würde die krankheitsbedingte außerordentliche Kündigung der Beklagten mit sozialer Auslauffrist jedenfalls auf der dritten Prüfungsstufe scheitern.
aa) Unterstellt, im Kündigungszeitpunkt hat eine negative Gesundheitsprognose vorgelegen, scheitert die Wirksamkeit der Kündigung im Rahmen der vorzunehmenden dreistufigen Prüfung jedenfalls auf der dritten Prüfungsstufe. Die Kündigung der Beklagten ist nach Auffassung der Berufungskammer jedenfalls nicht "ultima ratio", damit unverhältnismäßig und unwirksam.
Nach dem das ganze Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine ordentliche krankheitsbedingte Kündigung unter anderem dann sozial ungerechtfertigt, wenn sie zur Beseitigung der betrieblichen Beeinträchtigung und der eingetretenen Vertragsstörung nicht erforderlich ist. Die Kündigung ist durch die Krankheit nicht "bedingt" wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt. Dabei können mildere Mittel insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung auf einem anderen - leidensgerechten Arbeitsplatz sein. Auch kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung die Chance zu bieten, gegebenenfalls spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Fehlzeiten auszuschließen (
vgl. statt viele
BAG 20. November 2014 -
2 AZR 755/13 - Rn. 24, BAGE 150, 117
ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Diese Grundsätze gelten auch für die außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung, die - wie bereits ausgeführt - im Prüfungsmaßstab auf allen drei Stufen erheblich strenger ist und den hohen Anforderungen Rechnung tragen muss, die an eine außerordentliche Kündigung zu stellen sind (
vgl. oben B. I. 2c)).
Als kündigende Arbeitgeberin trägt die Beklagte die Beweislast und daraus folgend auch die Darlegungslast für die Verhältnismäßigkeit der ausgesprochenen Kündigung. Besteht keine Verpflichtung zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM), kann sich der Arbeitgeber zunächst darauf beschränken zu behaupten, für den Arbeitnehmer bestehe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Versäumt der Arbeitgeber hingegen die ordnungsgemäße Durchführung eines gebotenen bEM, trifft ihn eine erweiterte Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf denkbare, gegenüber dem Ausspruch einer Beendigungskündigung mildere Mittel (ständige Rechtsprechung,
vgl. z. B. BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 565/14 - Rn. 27 f, NZA 2015, 1249 ff, mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Soweit die Beklagte demgegenüber die Rechtsauffassung vertritt, dass angesichts des Ausgangssachverhalts nach der Entscheidung der Kammer 5 des Hessischen Landesarbeitsgericht vom 07. April 2016 feststehe, dass es Sache der Klägerin sei, die Indizwirkung der langen Fehlzeiten zu erschüttern, vermag dies nicht zu überzeugen. Die Entscheidung der Kammer 5 des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 07. April 2016 ist im Prozess um Ansprüche der Klägerin auf Annahmeverzugsvergütung ergangen. Ausschließlich in diesem Zusammenhang hat die Kammer 5 des hiesigen Gerichts Ausführungen zur Darlegungs- und Beweislast gemacht und angenommen, dass die Beklagte als Arbeitgeberin hinreichende Indizien im Sinne der §§ 297, 296
BGB vorgetragen hat, die für eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin im fraglichen Zeitraum gesprochen haben. Da die Klägerin im dortigen Verfahren die entstehende Indizwirkung nicht erschüttert hat, ist ihr Annahmeverzugsvergütung für den eingeklagten Zeitraum nicht zugesprochen worden. Diese Ausführungen sind auf den vorliegenden Sachverhalt einer außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung mit sozialer Auslauffrist nicht übertragbar. Grundsätzlich ist der Kündigende darlegungs- und beweisbelastet für das Vorliegen der Kündigungsgründe.
bb) Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen und wiederholt arbeitsunfähig erkrankt, ist der Arbeitgeber nach
§ 84 Abs. 2 Sozialgesetzbuch IX, in der hier maßgeblichen bis 31. Dezember 2017 gültigen Fassung (
SGB IX a. F.) gehalten, ein bEM durchzuführen. Dazu hat er nach Zustimmung und unter Beteiligung der betroffenen Personen mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des
§ 93 SGB IX a. F. die Möglichkeiten zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneute Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Dabei ist die betroffene Person zuvor auf die Ziele des bEM sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen.
cc) Für die Beklagte bestand im Falle der Klägerin eine Pflicht zur Durchführung eines regelkonformen bEM.
Sie war nach ihrem eigenen Vorbringen gemäß § 84
Abs. 2 Satz 1
SGB IX a. F. verpflichtet, vor Ausspruch der Kündigung ein bEM vorzunehmen. Ausgehend von dem Vorbringen der Beklagten, dass die Klägerin seit dem 10. März 2012 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt war, war die Klägerin in den letzten Jahren vor Zugang der Kündigung länger als 6 Wochen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Dafür kommt es auf die Gesamtheit der Fehltage und nicht darauf an, ob einzelne durchgehende Krankheitsperioden den Zeitraum von 6 Wochen überschritten. Ebenso wenig kommt es für die Verpflichtung zur Durchführung eines bEM darauf an, dass der betroffene Arbeitnehmer behindert ist oder ob im Beschäftigungsbetrieb ein Betriebsrat gewählt ist (
vgl. z. B. BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 565/14 - Rn. 25, NZA 2015, 1249;
BAG 24. März 2011 -
2 AZR 170/10 - Rn. 19, DB 2011, 1343, jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Soweit die Beklagte im Schriftsatz 05. März 2018,
S. 1, ausgeführt hat, dass die Klägerin im letzten Kalenderjahr nicht arbeitsunfähig gewesen sei, sondern arbeitslos, hat sie mit nachfolgendem Schriftsatz vom 25. April 2018,
S. 2, klargestellt, dass die Klägerin "ab dem 10.03.2012 (...) ohne Unterbrechung arbeitsunfähig krank" war. Damit ist die Beklagte insgesamt von ihrem Vorbringen, dass die die Klägerin seit dem 10. März 2012 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt war, nicht abgerückt. Andernfalls wäre die Kündigung - wie bereits unter B. I 2e) der Entscheidungsgründe dargelegt - mangels negativer Prognose unwirksam.
dd) Die Beklagte hat die Initiative zur Durchführung des bEM nicht wie geboten ergriffen und die Klägerin insbesondere zuvor nicht ordnungsgemäß unterrichtet.
aaa) Grundsätzlich ist die Durchführung eines bEM auf verschiedene Weisen möglich. Insofern schreibt § 84
Abs. 2
SGB IX a. F. weder konkrete Maßnahmen noch ein bestimmtes Verfahren vor. Das bEM ist ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener "Suchprozess", der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll (
BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 30, NZA 2015, 612). Nach dem Gesetz gehört zu den Mindeststandards, die gesetzlich vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen und zusammen mit ihnen eine an den Zielen des bEM orientierte Klärung ernsthaft zu versuchen. Dabei ist es Ziel des bEM festzustellen, auf Grund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen und künftig zu verringern, um so eine Kündigung zu vermeiden (
BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 30, NZA 2015, 612).
bbb) Die Initiative zur Durchführung des bEM ist Sache des Arbeitgebers (
BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 31, NZA 2015, 612 ). Soweit es darauf ankommt, ob der Arbeitgeber eine solche wie geboten ergriffen hat, kann davon nur dann ausgegangen werden, wenn er den Arbeitnehmer zuvor nach § 84
Abs. 2 Satz 3
SGB IX a. F. auf die Ziele des bEM sowie auf Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat (so ausdrücklich
BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 32, NZA 2015, 612;
BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23, DB 2011, 1343; zuletzt
BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 565/14 - Rn. 25, NZA 2015, 1249 ). Dieser Hinweis erfordert zunächst eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 84
Abs. 2 Satz 1
SGB IX hinausgeht. Zu diesen Zielen rechnet die Klärung wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann. Dabei muss dem Arbeitnehmer verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann. Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten - als sensible Daten im Sinne von § 3
Abs. 9
BDSG - erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM die Rede sein (
vgl. z. B. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn.
Nr. 32, NZA 2015, 612 , mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Schließlich ist der Arbeitnehmer im Rahmen der Unterrichtung nach § 84
Abs. 2 Satz 3
SGB IX a. F. darauf hinzuweisen, dass die Beteiligung des Betriebsrats am bEM sein Einverständnis voraussetzt und er davon absehen kann (
vgl. BAG 22. März 2016 -
1 ABR 14/14 - Rn. 30, BAGE 154,329
ff., mit weiteren Nachweisen).
"Kündigungsneutral" ist die Weigerung des Arbeitnehmers zur Teilnahme am bEM lediglich dann, wenn es ihm ordnungsgemäß angeboten worden ist (
vgl. BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 565/14 - Rn. 26, NZA 2015, 1249
ff.;
BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 24, DB 2011, 1343).
ccc) Nach diesen Grundsätzen genügen die Informationen in dem Einladungsschreiben der Beklagten vom 14. Dezember 2015 nicht den gesetzlichen Anforderungen.
Das Schreiben macht gegenüber der Klägerin bereits nicht klar, dass das bEM ein ergebnisoffenes Verfahren ist, in das auch der betroffene Arbeitnehmer Vorschläge einbringen kann. Dazu heißt es in dem Schreiben lediglich sinngemäß, dass das bEM unter bestimmten Voraussetzungen eine vom Gesetz vorgesehene Maßnahme sei, bei der die Anforderungen der verrichteten Tätigkeit, ihre gesundheitlichen Risiken und die krankheitsbedingten Einschränkungen des Mitarbeiters ermittelt und ein Plan für das weitere Vorgehen ausgearbeitet werden sollen. Ausdrücklich ist an keiner Stelle der Hinweis enthalten, dass der Arbeitnehmer auch selbst Vorschläge einbringen kann. Dies ist nach der Rechtsprechung (
vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 32, NZA 2015, 612) aber deshalb erforderlich, weil damit gerade betont wird, dass der Arbeitnehmer nicht zum Gegenstand eines fremdbestimmten Verfahrens werden soll, sondern dass er selbst maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltung und den Ausgang des Verfahrens nehmen kann, wovon auch seine Zustimmung zur Durchführung des bEM abhängen kann.
In dem Schreiben der Beklagten vom 14. Dezember 2015 fehlt auch jeglicher ausdrückliche Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung. Hierzu hat das
BAG ausgeführt: "Daneben ist ein Hinweis zu Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können" (so wörtlich
BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 32, NZA 2015, 612). Auch dieser Hinweis ist gerade im Hinblick auf die betroffenen Gesundheitsdaten kein bloßer Formalismus. So mag es für die Entscheidung des Arbeitnehmers durchaus einen Unterschied machen, ob
z. B. Daten zur Krankheitsursache (Diagnosen) erhoben werden müssen, wenn es für die Identifikation von abhelfenden Maßnahmen genügt, sich einen Überblick über die Auswirkungen der Erkrankungen auf den betrieblichen Arbeitsplatz zu verschaffen (so bereits Hess.
LAG 09. Februar 2018 -10 Sa 1063/17). Die Beklagte hat in ihrem Schreiben die Klägerin an keiner Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, dass und welche Daten im Rahmen des bEM überhaupt erhobenen werden oder dass keinerlei Daten erhoben oder gespeichert werden. Ebenso fehlt jeglicher Hinweis dazu, ob, inwieweit und für welche Zwecke Krankheitsdaten dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden sollen. Vielmehr findet sich in dem Schreiben lediglich der Hinweis im vorletzten Absatz, dass wenn das bEM mit Zustimmung der Klägerin durchgeführt werden soll, "ohne ausdrücklich Zustimmung darf keine Stelle unterrichtet und eingeschaltet werden". Auch diesem pauschalen Hinweis ist nicht zu entnehmen, welche konkreten Daten erhoben werden sollen, ob sie gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden sollen.
Darüber hinaus fehlt in dem Schreiben der Beklagten vom 14. Dezember 2015 jeglicher Hinweis darauf, dass die Beteiligung des Betriebsrats am bEM das Einverständnis der Klägerin voraussetzt. Insoweit heißt es: "Ein Einverständnis vorausgesetzt wird ein bEM-Gespräch geführt. An diesem wird teilnehmen ein Vertreter der Personalabteilung, ein Betriebsratsmitglied, der Betriebsarzt sowie ein Mitglied der Schwerbehindertenvertretung." Unter Berücksichtigung des Empfängerhorizont ergibt sich aus der Formulierung "An diesem wird teilnehmen (...) ein Betriebsratsmitglied (...)" gerade nicht, dass die Teilnahme des Betriebsratsmitglieds an dem Gespräch vom Einverständnis der Klägerin abhängt und das bEM-Gespräch nicht von der Teilnahme eines Betriebsratsmitglied abhängig ist. Vielmehr vermittelt das Schreiben dem unbefangenen Leser den Eindruck, dass die Teilnahme eines Betriebsratsmitglied am bEM obligatorisch ist und ohne "wenn und aber".
ee) Das Unterlassen eines ordnungsgemäßen bEM führt hier dazu, dass eine Verschärfung der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich einer alternativen, leidensgerechten Beschäftigung der Klägerin eingetreten ist. Nachdem die Beklagten ihrer gesteigerten Darlegungslast nicht nachgekommen ist und insbesondere nicht dargelegt hat, dass ein bEM in jedem Fall aussichtslos gewesen wäre, ist die Kündigung unverhältnismäßig.
aaa) Auch wenn die Durchführung des bEM keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung ist, so konkretisiert § 84
Abs. 2
SGB IX a. F. den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe des bEM können möglicherweise mildere Mittel als die Kündigung erkannt und entwickelt werden. Nur wenn auch die Durchführung des bEM keine positiven Ergebnisse hätte zeitigen können, ist sein Fehlen unschädlich. Insoweit trifft den Arbeitgeber eine erweiterte Darlegungs- und Beweislast. Um darzutun, dass die Kündigung dem direkten Verhältnismäßigkeitsprinzip genügt und ihm keine milderen Mittel zur Überwindung der krankheitsbedingten Störung des Arbeitsverhältnisses als die Beendigungskündigung offen standen, muss der Arbeitgeber die objektive Nutzlosigkeit des bEM darlegen. Hierzu hat er umfassend und detailliert vorzutragen, warum ein bEM in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten
bzw. der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Dabei darf er sich nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer und es gebe keinen leidensgerechten Arbeitsplatz den dieser trotz seiner Erkrankung ausfüllen könne. Er hat von sich aus denkbare oder vom Arbeitnehmer außergerichtlich genannten Alternativen zu würdigen und im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen weder eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes noch die Beschäftigung auf einem anderen leidensgerechten Arbeitsplatz in Betracht kommt (
vgl. BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 565/14 - Rn. 27
ff., NZA 2015, 1249;
BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 39, NZA 2015, 612;
BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 21, DB 2011, 1343). Ist es hingegen denkbar, dass ein bEM ein positives Ergebnis erbracht, das gemeinsame Suchen nach Maßnahmen zum Abbau von Fehlzeiten
bzw. zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit also Erfolg gehabt hätte, muss sich der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe "vorschnell" gekündigt (
BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 565/14 - Rn. 27
ff., NZA 2015, 1249, mit zahlreichen weiteren Nachweisen;
BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 39, NZA 2015, 612).
bbb) Auf Grund des Vortrags der Beklagten ist im Streitfall nicht anzunehmen, dass von einer objektiven Nutzlosigkeit des bEM auszugehen ist. Für das Berufungsgericht lässt das Vorbringen der Beklagten nicht erkennen, dass den Erkrankungen der Klägerin nicht hätte entgegengewirkt werden können. Damit hat die Beklagten unter Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gekündigt und die Kündigung ist unwirksam.
Die Beklagte hat vorgetragen, dass sie die Möglichkeit einer anderweitigen leidensgerechten Beschäftigung geprüft habe, es einen leidensgerechte Arbeitsplatz nicht gegeben habe. Die Durchführung eines bEM wäre objektiv nutzlos gewesen, ein rein formales Verfahren ohne Substanz. Dieses Vorbringen hat die Beklagte auch nach dem Hinweis des Berufungsgerichts vom 25. Januar 2018 nicht nennenswert ergänzt. Sie hat im Wesentlichen lediglich vorgetragen, dass die Depression der Klägerin als maßgebliche Krankheitsursache nicht ausgeheilt sei und die Beklagte deshalb im Falle der Beschäftigung der Klägerin einen weiteren Gesundheitsschaden billigend in Kauf nehmen würde. Damit hat die Beklagte insgesamt keine hinreichenden Tatsachen vorgetragen, die den Schluss rechtfertigen, dass die Durchführung eines bEM objektiv nutzlos gewesen wäre. Denn sie hat lediglich pauschal vorgetragen, dass es keinen leidensgerechten Arbeitsplatz gebe, den die Klägerin trotz ihrer Erkrankung ausfüllen könne. Damit hat die Beklagte ihrer gesteigerten Darlegungslast nicht genügt (vgl bereits
BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 21, DB 2011, 1343). Aus dem gesamten Vortrag der Beklagten lässt sich gerade nicht entnehmen, dass sie, wie es die Rechtsprechung fordert, sämtliche denkbaren Alternativen gewürdigt hat ebenso wenig hat sie im Einzelnen dargelegt, aus welchen Gründen weder eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes noch die Beschäftigung auf einem anderen leidensgerechten Arbeitsplatz in Betracht kommt. Dazu fehlt konkreter Vortrag.
g) Wie bereits oben unter B. I. 2 der Entscheidungsgründe ausgeführt, ist die Kündigung der Beklagten unwirksam. Entweder hat bereits kein wichtiger Grund zur außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung mit sozialer Auslauffrist, mangels negativer Prognose im Kündigungszeitpunkt (dazu unter B. I. 2e)), bestanden oder die Kündigung ist jedenfalls nicht "ultima ratio", damit unverhältnismäßig (dazu unter B. I. 2f)) und deshalb unwirksam. Vor diesem Hintergrund ist - entgegen der Ansicht der Beklagten - im Ergebnis auch die Einholung eines Ergänzungsgutachtens zur Frage, ob die Klägerin im Kündigungszeitpunkt
ggf. aus anderen Gründen krankheitsbedingt nicht im Stande war die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, obsolet, weil die Kündigung jedenfalls unverhältnismäßig und allein deshalb unwirksam ist.
II) Eine Wiedereröffnung der Verhandlung gemäß § 156
ZPO war nach den am 04. Juni und 22. Juni 2018 erfolgten Beratungen der Kammer aufgrund der nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsätze der Klägerin vom 06. Juni 2018 und der Beklagten vom 18. Mai, 12. und 15 Juni 2018 nicht veranlasst. Denn die Schriftsätze geben im Wesentlichen die bereits mündlich im Termin streitig verhandelten Standpunkte und Bewertungen der Parteien wieder und beinhalten insgesamt jedenfalls keine neuen erörterungsbedürftigen Gesichtspunkte.
C) Als unterlegene Partei waren der Beklagten die Kosten der Berufung aufzuerlegen, § 97
Abs. 1
ZPO.
Eine gesetzlich begründete Veranlassung zur Zulassung der Revision ist nicht ersichtlich, § 72
Abs. 2
ArbGG.