Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung ist zulässig.
Sie ist gemäß § 64
Abs. 2 Buchst. c
ArbGG statthaft und nach § 66
Abs. 1 Satz 1
ArbGG, § 519
ZPO fristgerecht eingelegt worden. Die Berufungsbegründung genügt auch den Anforderungen von §§ 64
Abs. 6
ArbGG, 520
Abs. 3 Satz 2
Nr. 2
ZPO. Der Kläger hat seine Berufung u.a. darauf gestützt, dass das Arbeitsgericht
§ 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nicht richtig zur Anwendung gebracht habe und unter Verstoß gegen § 286
ZPO die Aussage des Zeugen K. gewürdigt habe.
II.
Die Berufung ist jedoch in der Sache erfolglos. Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Die Kammer schließt sich der Auffassung des Arbeitsgerichtes an, dass die außerordentliche Kündigung vom 04. Juni 2018 mit ihrem Zugang, der unstreitig am gleichen Tag erfolgte, das Arbeitsverhältnis der Parteien wirksam beendet hat. Die Kündigung genügt den Anforderungen des § 626
Abs. 1
BGB (siehe unter b). Die Zweiwochenfrist des § 626
Abs. 2
BGB wurde ebenfalls gewahrt (siehe unter c). Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung wurden vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört (siehe unter d) und e).
a) Die außerordentliche Kündigung vom 04. Juni 2018 gilt nicht bereits nach
§§ 13 Abs. 1 Satz 2,
7 Halbs. 1 KSchG als wirksam, denn der Kläger hat deren Rechtsunwirksamkeit mit seiner am 11. Juni 2018 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage innerhalb der Dreiwochenfrist des
§ 4 Satz 1 KSchG rechtzeitig geltend gemacht.
b) Die außerordentliche Kündigung vom 04. Juni 2018 ist gemäß § 626
Abs. 1
BGB wirksam. Der Kläger hat Herrn K. durch die Versendung der WhatsApp-Nachrichten am 15. und 17. März 2018 und die Sprachnachricht am 28. März 2018 wiederholt massiv beleidigt. Dies stellt nach Überzeugung der Kammer einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Der Beklagten war nicht zuzumuten, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger auch nur bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen.
Nach § 626
Abs. 1
BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich" und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (
BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 21).
aa) Das Verhalten des Klägers ist als wichtiger Grund im Sinne von § 626
Abs. 1
BGB geeignet (1). Diesem Ergebnis steht auch die Meinungsfreiheit (2) nicht entgegen (3). Gleiches gilt für die Kunstfreiheit (4). Der Kläger hat außerdem nicht dargelegt, dass er im Einverständnis des Herrn K. gehandelt hat (5). Der erforderliche Arbeitsplatzbezug besteht ebenfalls (6).
Jedenfalls in der Berufungsverhandlung war unstreitig (siehe Seite 7 des Protokolls), dass der Kläger selbst die WhatsApp-Nachrichten an Herrn K. versandt hat, nachdem der Kläger vorher vorgetragen hatte, es könne auch sein, dass Herr K. sich diese Nachrichten vom Mobiltelefon des Klägers selbst zugeschickt habe. In der Berufungsverhandlung war ebenfalls unstreitig (Seite 6 des Protokolls), dass die vom Mobiltelefon des Klägers versandte Sprachnachricht in ihrem kompletten Text auch von dem Kläger gesprochen wurde. Dies hatte der Kläger im Rechtsstreit zuvor bestritten.
(1) Einen die fristlose Kündigung "an sich" rechtfertigenden Grund stellen nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten. Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber oder Vorgesetzte
bzw. Kollegen aufstellt, insbesondere wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen. Der Arbeitnehmer kann sich für ein solches Verhalten regelmäßig nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (
Art. 5
Abs. 1
GG) berufen. Das Grundrecht ist nicht schrankenlos gewährleistet. Die Meinungsfreiheit wird durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß
Art. 5
Abs. 2
GG beschränkt und muss mit diesem in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden (
BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22).
Dass die Bezeichnung des Herrn K. als "Arschloch" in der Sprachnachricht eine Beleidigung darstellt, stellt auch der Kläger nicht in Abrede. Der Kläger meint aber zu Unrecht, dass die WhatsApp-Nachrichten als Satire von der Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit gedeckt gewesen seien.
(2) Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Werturteile und Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährt. Es findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, zu denen die hier von den Gerichten angewandten Vorschriften der §§ 185, 193 StGB gehören. Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften sind Sache der Fachgerichte, die hierbei das eingeschränkte Grundrecht interpretationsleitend berücksichtigen müssen, damit dessen wertsetzender Gehalt auch bei der Rechtsanwendung gewahrt bleibt. Dies verlangt grundsätzlich eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch ihr Verbot andererseits. Das Ergebnis der Abwägung ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben und hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (
BVerfG 08. Februar 2017 - 1 BvR 2973/14 - Rn. 13 mit weiteren Nachweisen für die Rechtsprechung des
BVerfG).
Zu beachten ist hierbei indes, dass
Art. 5
Abs. 1 Satz 1
GG nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt, sondern gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf; insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist. Einen Sonderfall bilden hingegen herabsetzende Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. Dann ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktreten wird. Diese für die Meinungsfreiheit einschneidende Folge gebietet es aber, hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden. Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassungs wegen eng zu verstehen. Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern - jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik - die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt. Die Annahme einer Schmähung hat wegen des mit ihr typischerweise verbundenen Unterbleibens einer Abwägung gerade in Bezug auf Äußerungen, die als Beleidigung und damit als strafwürdig beurteilt werden, ein eng zu handhabender Sonderfall zu bleiben (
BVerfG 08. Februar 2017 - 1 BvR 2973/14 - Rn. 14 mit weiteren Nachweisen für die Rechtsprechung des
BVerfG).
Auch die in Form einer Satire geäußerte Meinung und Kritik am Verhalten anderer Personen findet ihre Grenze dort, wo es sich um reine Schmähkritik oder eine Formalbeleidigung handelt
bzw. die Äußerung die Menschenwürde antastet (
BGH 07. Dezember 1999 - VI ZR 51/99 - Rn. 38 unter Verweis auf die Rechtsprechung des
BVerfG). Satire kann Kunst sein; nicht jede Satire ist jedoch Kunst. Das ihr wesensmäßige Merkmal, mit Verfremdungen, Verzerrungen und Übertreibungen zu arbeiten, kann ohne weiteres auch ein Mittel der einfachen Meinungsäußerung oder der Meinungsäußerung durch Massenmedien (
Art. 5
Abs. 1 Satz 1 und 2
GG) sein. Bei der Anwendung dieser Grundrechte muss der satirische Charakter der einzelnen Meinungskundgabe berücksichtigt werden. Auch Erklärungen, die lediglich unter
Art. 5
Abs. 1
GG fallen, darf kein Inhalt unterschoben werden, den ihnen ihr Urheber erkennbar nicht beilegen wollte; das gilt besonders bei satirischer oder glossierender Meinungsäußerung. Im Übrigen erfordert die rechtliche Beurteilung von Satire die Entkleidung des "in Wort und Bild gewählten satirischen Gewandes", um ihren eigentlichen Inhalt zu ermitteln. Dieser Aussagekern und seine Einkleidung sind sodann gesondert daraufhin zu überprüfen, ob sie eine Kundgabe der Missachtung gegenüber der betroffenen Person enthalten. Dabei muss beachtet werden, dass die Maßstäbe im Hinblick auf das Wesensmerkmal der Verfremdung für die Beurteilung der Einkleidung anders und im Regelfall weniger streng sind als die für die Bewertung des Aussagekerns (
BVerfG 12. November 1997 - 1 BvR 2000/96 - Rn. 12 f.;
vgl. auch
BVerfG 25. März 1992 - 1 BvR 514/90 - Rn. 32 und 43 - Bezeichnung eines Menschen als "
geb. Mörder" und als "Krüppel").
(3) Nach Auffassung der Kammer stellen insbesondere die WhatsApp-Nachrichten "Moschee" (15. März 2018) und "Wir bauen einen Muslim" (17. März 2018) und die Sprachnachricht vom 28. März 2018 grobe Beleidigungen des Herrn K. durch den Kläger dar.
(a) Der Kläger kann sich an sich auf die Meinungsfreiheit berufen, da er sich mit dem kommentarlosen Versenden den Inhalt dieser Meinungsäußerungen zu eigen gemacht hat. Der Kläger vertritt die Auffassung, dass sich der Weiterleiter einer - aus Sicht des Klägers satirisch gemeinten - WhatsApp-Nachricht diese mit der Weiterleitung allein noch nicht zu eigen mache. Dagegen geht das Gericht davon aus, dass - jedenfalls unter den Umständen des vorliegenden Falls - sich der Versender einer WhatsApp-Nachricht, die er kommentarlos weiterleitet, gerade nicht von dieser distanziert. Erst wenn eine solche Datei bei der Weiterleitung mit einem Kommentar versehen ist, kann man
ggf. aus dem Kommentar eine Distanzierung ableiten. Der Empfänger einer WhatsApp-Nachricht muss davon ausgehen, dass der Versender diese bewusst an ihn versandt hat und wollte, dass ihn gerade diese Nachricht erreicht. Ergibt sich aus den Umständen (
z.B. einem beigefügten Kommentar) nichts Anderes, so ist regelmäßig davon auszugehen, dass er den Inhalt der versandten Meinungsäußerung teilt. Der Kläger hat sich im Prozess auch nicht darauf berufen, die Nachrichten versehentlich an Herrn K. versandt zu haben.
(b) Bei den oben genannten WhatsApp-Nachrichten handelt es sich um Schmähkritik, die nicht von
Art. 5
Abs. 1
GG geschützt ist. Aus Sicht der Kammer kann offenbleiben, ob diese Nachrichten als Satire einzuordnen sind. Einkleidung und Aussagekern der beiden Nachrichten beschränken sich nämlich auf eine Missachtung und Herabwürdigung von Menschen mit muslimischer Religionszugehörigkeit. Die Grenze zur Schmähkritik wird damit jedenfalls überschritten.
Die Bild- und Tondatei "Moschee", die der Kläger Herrn K. am 15. März 2018 geschickt hat, schildert einen fiktiven Geschehensablauf: Bewaffnete Männer dringen in eine neueröffnete Moschee in Bayern während des ersten Gebets ein und unterbrechen das Gebet durch Schüsse. Die Schüsse werden offenbar nicht "nur" in die Luft abgegeben, sondern ein Mensch, nämlich der "Prediger", wird getroffen, weshalb er Schmerzenslaute von sich gibt. Die Tonspur endet damit, dass Jodelgesang zu hören ist. Da die Tonspur selbst dem Gericht nicht vorliegt, sondern nur die - vom Kläger nicht bestrittene - Beschreibung der Beklagten, kann das Gericht nicht beurteilen, ob der "besiegte" "Prediger" selbst zu jodeln beginnt oder ob der beschriebene Jodelgesang von den "siegreichen" Eindringlingen stammen soll. Daraufhin kommt es aber auch nicht an. Es bleibt, dass ein Gottesdienst in einem Gotteshaus durch Waffengewalt gestört und ein Mensch bei seiner durch
Art. 4
GG geschützten Religionsausübung nicht nur behindert, sondern sogar verletzt wird und deshalb sein Gebet nicht fortsetzen kann. Die Bild- und Tondatei erweckt den Eindruck, dass sie ein tatsächliches Ereignis wiedergibt, indem der Empfänger auf eine beigefügte Tonaufzeichnung verwiesen wird. Das geschilderte Geschehen wird damit als möglich dargestellt und jedenfalls nicht verurteilt. Es handelt sich nicht um eine bloße - politisch möglicherweise unkorrekte, aber von der Meinungsfreiheit gedeckte - Kritik an Neueröffnungen von Moscheen in Deutschland, sondern Gewalt in einer Moschee wird durch den Jodelgesang am Ende der Tonspur als komisch dargestellt. Der Bild- und Tondatei lässt sich auch in ihrem Kern nicht eine allgemeine Kritik an Anschlägen auf religiöse Einrichtungen entnehmen. Der Empfänger der Nachricht soll nicht das Verhalten der Eindringlinge bewerten und erst recht nicht verurteilen, sondern im Vordergrund stehen die Auswirkungen dieses Verhaltens auf den muslimischen Geistlichen. Ihm soll man zuhören, sein Gesang und die Folgen des Attentats auf ihn werden ins Lächerliche gezogen. Der Aussagekern ist, dass die Freiheit zur Religionsausübung und das Recht auf körperliche Unversehrtheit von Muslimen gering geschätzt werden.
Die Bilddatei "Wir bauen einen Muslim", die der Kläger Herrn K. zwei Tage später geschickt hat, setzt in ihrer Einkleidung und ihrem Aussagekern den muslimischen Glauben und damit Menschen muslimischen Glaubens herab. Die ersten beiden Bilder zeigen, wie einem jungen Mann das Hirn durch Fäkalien ersetzt wird. In Verbindung mit der Überschrift werden damit Muslime nicht nur als "hirnlose" Menschen dargestellt, sondern ihr "Hirn", also ihre Gedanken und ihr Glauben, mit Fäkalien verglichen und gleichgestellt und dadurch herabgewürdigt. Zudem sollen durch die Bilder alle Muslime mit radikalisierten Islamisten gleichgestellt werden. Die Überschrift lautet gerade nicht "Wir bauen einen Terroristen" oder "Wir bauen einen Islamisten", sondern bezieht sich auf Menschen muslimischen Glaubens allgemein. Sie beschränkt sich nicht auf eine -
ggf. auch polemische oder überspitzte - Kritik
z.B. von Radikalisierungstendenzen im Islam, sondern bezieht sich allgemein auf alle Angehörigen des muslimischen Glaubens. Diese werden als minderwertig dargestellt.
Bei der Bewertung dieser Nachrichten ist auch zu berücksichtigen, dass diese nicht als Teil einer öffentlichen Debatte über den muslimischen Glauben oder die Gefahren des Islamismus an Herrn K. versandt wurden. Der Kläger hat auch nicht behauptet, dass er in einem privaten Austausch mit Herrn K. zu solchen Themen gestanden hätte. Herr K. hat die im vorliegenden Rechtsstreit vorgelegten Nachrichten, die ihm in Abstand von zwei Tagen zugesandt wurden, gar nicht kommentiert. Dem Kläger ging es - anders als den Beschwerdeführern in der "Soldaten sind Mörder"-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 u.a. - siehe hier Rn. 146) - nicht erkennbar um eine Auseinandersetzung in der Sache.
Der Einordnung als Schmähkritik steht auch nicht entgegen, dass nicht Herr K. persönlich angesprochen wird, sondern als Mitglied einer Religionsgemeinschaft verunglimpft wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es nicht ausgeschlossen, dass auch bei herabsetzenden Äußerungen über große Kollektive die Diffamierung der ihnen angehörenden Personen im Vordergrund steht. Das gilt insbesondere dann, wenn die Äußerungen an ethnische, rassische, körperliche oder geistige Merkmale anknüpfen, aus denen die Minderwertigkeit einer ganzen Personengruppe und damit zugleich jedes einzelnen Angehörigen abgeleitet wird. In der Regel werden aber nur Äußerungen über bestimmte Personen oder Personenvereinigungen als Schmähkritik in Betracht kommen. Geht es dagegen um Personengruppen, die durch eine bestimmte soziale Funktion geeint sind, so ist eher zu vermuten, dass die Äußerung nicht von der Diffamierung der Personen geprägt wird, sondern an die von ihnen wahrgenommene Tätigkeit anknüpft (
BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 u.a. - Rn. 147). Im vorliegenden Fall knüpfen die Dateien gerade nicht an eine bestimmte soziale Funktion, sondern an die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft an. Die Mitglieder dieser Gruppe werden als "hirnlos" und minderwertig dargestellt.
Diese Nachrichten musste Herr K., der Muslim ist, als Empfänger auf sich beziehen. Zwar wurde er in den Nachrichten nicht persönlich angesprochen. Er musste aber den Eindruck gewinnen, dass der Versender Anschläge auf Moscheen in Deutschland, von denen Herr K. als Muslim selbst betroffen sein kann, jedenfalls nicht verurteilt und Muslime als minderwertige Menschen ansieht. Dass der Kläger nicht gewusst habe, dass Herr K. muslimischen Glaubens ist, hat er selbst nicht behauptet. Der Kläger hat sich auch im Prozess nicht darauf berufen, die Nachricht versehentlich (auch) an Herrn K. gesandt zu haben. Es kann also offen bleiben, wie der Fall zu bewerten wäre, dass eine Nachricht an eine Vielzahl von Empfängern weitergeleitet wird, von denen nur ein oder nur wenige Empfänger zu der Personengruppe gehören, die in der Nachricht verunglimpft wird.
Ob auch die dritte WhatsApp-Nachricht "Großfamilie" eine nicht mehr von
Art. 5
Abs. 1
GG gedeckte Beleidigung darstellt, konnte das Gericht offen lassen, da bereits die beiden anderen Nachrichten als Schmähkritik an seinem Arbeitskollegen einzustufen sind und eine schwerwiegende Verletzung der Pflichten des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis darstellen.
(4) Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der durch
Art. 5
Abs. 3 Satz 1
GG geschützten Kunstfreiheit. Kunst und Meinungsäußerung schließen sich nicht aus; eine Meinung kann durchaus in der Form künstlerischer Betätigung kundgegeben werden. Maßgebliches Grundrecht ist in diesem Fall
Art. 5
Abs. 3 Satz 1
GG, weil es sich um die spezielle Norm handelt (BverfG 03. Juni 1987 - 1 BvR 313/85 - Rn. 19 "Strauß-Karikatur").
(a) Die Weiterleitung der WhatsApp-Nachrichten an Herrn K. durch den Kläger fällt bereits nicht unter den Schutzbereich des
Art. 5
Abs. 3 Satz 1
GG. Er hat lediglich Ton- und Bilddateien, die er selbst als Nutzer von WhatsApp erhalten hat, an einen weiteren Nutzer dieses Instant-Messaging-Diensts versandt. Damit ist weder der "Werkbereich" noch der "Wirkbereich" der Kunstfreiheit betroffen.
Art. 5
Abs. 3 Satz 1
GG schützt nicht nur die künstlerische Betätigung als solche, den "Werkbereich”, sondern auch den "Wirkbereich” des künstlerischen Schaffens einschließlich der Tätigkeit derjenigen Personen, die eine unentbehrliche Mittlerfunktion zwischen Kunstwerk und Publikum ausüben (
BVerfG 25. September 1984 - 1 BvR 976/84 u.a. - NJW 1985, 263, 263 f. zum Tragen einer nicht selbst geschaffenen Plakette;
vgl. auch
BVerfG 13. Juni 2007 - 1 BvR 1783/05 - Rn. 65 "Esra"; Sachs/Bethge, 8. Auflage 2018,
Art. 5
GG Rn. 191a; Burghart in: Leibholz/Rinck, 79. Lieferung 10.2019,
Art. 5
GG, Rn. 1046
ff. mit weiteren Nachweisen für die Rechtsprechung des
BVerfG). So werden etwa Verleger (siehe
BVerfG 24. Februar 1971 - 1 BvR 435/68 - Rn. 53 "Mephisto";
BVerfG 13. Juni 2007 - 1 BvR 1783/05 - Rn. 64 "Esra"), Mitglieder einer Zeitschriftenredaktion (siehe
BVerfG 07. März 1990 - 1 BvR 266/86, 1 BvR 913/87 - Rn. 21 und 47 "Bundesflagge") aber auch ein Unternehmen, das T-Shirts mit Abbildungen bedruckt und verkauft (siehe
BVerfG 03. April 1990 - 1 BvR 680/86, 1 BvR 68/86 - Rn. 2 und 14 "Hitler-T-Shirt") von dem "Wirkbereich" der Kunstfreiheit erfasst.
Der Kläger hat nicht behauptet, Schöpfer der versandten Bild- und Tondateien zu sein. Der Kläger ist auch nicht unentbehrlicher Mittler zwischen Kunstwerk und Publikum im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das Verhältnis zwischen einem WhatsApp-Nutzer, der eine Nachricht an einen anderen Nutzer weiterleitet, ist nicht vergleichbar mit dem Verhältnis zwischen Verleger und Öffentlichkeit, die durch die Veröffentlichung durch den Verlag Zugang zu dem Werk eines Autors erhält. Wie der Träger einer Plakette, die er nicht selbst geschaffen hat, kann auch der Kläger, der empfangene Ton- und Bilddateien an eine Einzelperson weiterleitet, sich nicht auf die Kunstfreiheit berufen.
(b) Selbst wenn man die Weiterleitung einer WhatsApp-Nachricht von dem "Wirkbereich" der Kunstfreiheit als erfasst ansieht, ist jedenfalls die Weiterleitung der Nachrichten "Moschee" und "Wir bauen einen Muslim" nicht mehr von der Freiheit künstlerischer Betätigung gedeckt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Herrn K. wurde dadurch in schwerwiegender Weise verletzt.
Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden (
BVerfG 24. Februar 1971 - 1 BvR 435/68 - Rn. 48 "Mephisto") Kunst ist einer staatlichen Stil- oder Niveaukontrolle nicht zugänglich; die Anstößigkeit einer Darstellung nimmt ihr nicht die Eigenschaft als Kunstwerk (
BVerfG 07. März 1990 - 1 BvR 266/86 - Orientierungssatz 3 "Bundesflagge"). Die Kunstfreiheit ist in
Art. 5
Abs. 3 Satz 1
GG zwar vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos gewährleistet. Die Schranken ergeben sich insbesondere aus den Grundrechten anderer Rechtsträger, aber auch aus sonstigen Rechtsgütern mit Verfassungsrang (
BVerfG 31. Mai 2016 - 1 BvR 1585/13 - Rn. 84 "Sampling"). Zwar genießt der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts keinen generellen Vorrang gegenüber dem Recht aus
Art. 5
Abs. 3 Satz 1
GG, sondern muss auch im Lichte dieses Grundrechts verstanden werden. Soweit das allgemeine Persönlichkeitsrecht allerdings unmittelbarer Ausfluss der Menschenwürde ist, wirkt diese Schranke absolut ohne die Möglichkeit eines Güterausgleichs (
BVerfG 03. Juni 1987 - 1 BvR 313/85 - Rn. 25 "Strauß-Karikatur").
Ordnet man die genannten Bild- und Tondateien als künstlerische Betätigung ihres Schöpfers ein, da Fotos verändert und mit Text
bzw. mit einer Tonspur unterlegt wurden, so ist jedoch die Weiterleitung an Herrn K. nicht mehr von der Kunstfreiheit gedeckt. Wie bereits oben zur Meinungsfreiheit unter 1.b.aa.(3) ausgeführt wurde, wurde Herr K. durch diese Nachrichten als Muslim in schwerwiegender Weise herabgewürdigt. Zu berücksichtigen ist auch hier, dass die Übersendung nicht als Teil einer öffentlichen Debatte erfolgte.
(5) Der Kläger behauptet, dass er davon ausgehen durfte, dass Herr K. die Übersendung der beiden WhatsApp-Nachrichten "Moschee" und "Wir bauen einen Muslim" wünschte. Wäre Herr K. mit dem Erhalt der Nachrichten tatsächlich einverstanden gewesen, so wäre zu prüfen, ob das Verhalten des Klägers dadurch gerechtfertigt gewesen wäre. Der Kläger hat jedoch trotz des Bestreitens der Beklagten nicht substantiiert dargelegt, dass Herr K. um die Weiterleitung dieser WhatsApp-Nachrichten gebeten habe oder Umstände vorlagen, aus denen er auf ein Einverständnis des Klägers hätte schließen können. Es hätte dem Kläger im Rahmen einer sekundären Darlegungslast oblegen, hier näher vorzutragen.
(a) Im Kündigungsschutzprozess obliegt dem Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes. Für Umstände, die das Verhalten des Arbeitnehmers rechtfertigen oder entschuldigen könnten, ist seine Darlegungslast allerdings abgestuft. Der Arbeitgeber darf sich zunächst darauf beschränken, den objektiven Tatbestand einer Arbeitspflichtverletzung vorzutragen. Er muss nicht jeden erdenklichen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund vorbeugend ausschließen. Es ist vielmehr Sache des Arbeitnehmers, für das Eingreifen solcher Gründe - soweit sie sich nicht unmittelbar aufdrängen - zumindest greifbare Anhaltspunkte zu benennen (
BAG vom 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 40).
Schon auf der Tatbestandsebene des wichtigen Grundes kann den Arbeitnehmer darüber hinaus eine sekundäre Darlegungslast treffen. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber als primär darlegungsbelastete Partei außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs steht, während der Arbeitnehmer aufgrund seiner Sachnähe die wesentlichen Tatsachen kennt. In einer solchen Situation kann der Arbeitnehmer gehalten sein, dem Arbeitgeber durch nähere Angaben weiteren Sachvortrag zu ermöglichen. Kommt er in einer solchen Prozesslage seiner sekundären Darlegungslast nicht nach, gilt das tatsächliche Vorbringen des Arbeitgebers - soweit es nicht völlig "aus der Luft gegriffen" ist - im Sinne von § 138
Abs. 3
ZPO als zugestanden. Dabei dürfen an die sekundäre Behauptungslast des Arbeitnehmers keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Sie dient lediglich dazu, es dem kündigenden Arbeitgeber als primär darlegungs- und beweispflichtiger Partei zu ermöglichen, weitere Nachforschungen anzustellen und sodann substantiiert zum Kündigungsgrund vorzutragen und
ggf. Beweis anzutreten (
BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 41).
(b) Bei Anwendung dieser Grundsätze wäre es Aufgabe des Klägers gewesen, näher zu dem von ihm behaupteten Wunsch des Herrn K., ihm solche Nachrichten wie die drei im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen Nachrichten zuzusenden, vorzutragen.
Die Beklagte hatte keine Möglichkeit, hier an ergänzende Informationen zu gelangen. Herr K. hatte bei seiner Befragung durch den Werksermittlungsdienst ausgesagt, er habe mehrfach darum gebeten, in Ruhe gelassen zu werden. Nach Vortrag der Beklagten erklärte Herr K. bei einer Befragung durch die Personalabteilung, er habe den Kläger mehrfach erfolglos gebeten, die Nachrichten und Beleidigungen zu unterlassen. Anhaltspunkte, dass Herr K. die Übersendung solcher Nachrichten gewünscht habe, hatte die Beklagte danach nicht, wenn nicht der Kläger solche benannte. Der Kläger hätte deshalb selbst vortragen müssen, wann und wie Herr K. um die Weiterleitung der hier streitgegenständlichen drei WhatsApp-Nachrichten gebeten haben soll. Ein solcher Vortrag ist nicht erfolgt. Der Klägervertreter hat zwar in der Berufungsverhandlung ausgeführt, der erstinstanzliche klägerische Vortrag zu dem Gespräch zwischen Herrn K. und Frau
S. (Seite 3 der klägerischen Replik vom 23. Oktober 2018 - nicht vom 31. Oktober 2018 wie protokolliert) müsse sich auf diese Nachrichten beziehen. Dies ist aber ersichtlich nicht richtig. Nach klägerischem Vortrag in der Replik ging bei dem Gespräch zwischen Herr K. und Frau
S. darum, dass sie ihrem Mann, also Herrn
S. und nicht dem Kläger, zeigen sollte, wie man Bilder und Videos versendet. Ohnehin bleibt offen, um welche "komischen" Bilder es bei dem Austausch zwischen Frau
S. und Herrn K. gegangen sein soll. Jedenfalls bezog sich das Gespräch nicht auf die hier streitgegenständlichen Nachrichten, da diese nicht von Herrn
S., sondern vom Kläger versandt wurden.
Wenn es einen ausdrücklichen Wunsch des Herrn K., die Nachrichten vom 15. und 17. März 2018 zu erhalten, nicht gegeben hat, so hätte der Kläger vortragen müssen, welche konkreten Nachrichten er vor den Nachrichten vom 15. und 17. März 2018 an Herrn K. geschickt hat, wie Herr K. darauf reagiert hat und aufgrund welcher Umstände der Kläger davon ausgegangen ist, dass Herr K. dann auch mit dem Empfang der Nachrichten vom 15. und 17. März 2018 einverstanden wäre. Der Kläger hat jedoch schriftsätzlich keine einzige andere Nachricht benannt, die er selbst Herrn K. geschickt haben will. In seiner Befragung durch den Werksermittlungsdienst am 18. April 2018 hat er ausweislich der Befragungsniederschrift (siehe Anlage B1, Abl. 97 der Akte
ArbG) Folgendes ausgesagt: "Ich habe Hr. K. im laufe diesen Jahre eine WhatsApp zugeschickt, auf der ein Motorradfahrer mit einer Ziege auf dem Rücken zu sehen ist. Die Reaktion von Hr. K. war wie folgt: er hat gelacht, und sich dafür bedankt und zu mir gesagt: ich habe es gleich weiterschickt." Aus der Reaktion auf ein solches lustige oder skurrile Foto lässt sich jedenfalls nicht ableiten, dass Herr K. auch mit dem Erhalt islamfeindlicher Bild- und Tondateien einverstanden war. Soweit sich der Kläger auf das Zeugnis von Frau R. G. berufen hat, die bestätigen können soll, Herr K. habe den Kläger und Herrn
S. aufgefordert, ihm in seinen Augen nationalsozialistisches Bildmaterial zu schicken, ist auch dieser Vortrag unsubstantiiert geblieben.
Wenn der Kläger meint, er könne ein Einverständnis aus dem Verhalten von Herrn K. gegenüber Herrn
S. ableiten, so müsste er auch hier konkret vortragen, wann er mitbekommen habe, dass Herr K. Herrn
S. um die Weiterleitung einer konkreten Nachricht gebeten habe, und woraus er geschlossen habe, dass Herr K. dann auch mit dem Erhalt islamfeindlicher Nachrichten einverstanden sei. Ein solcher Vortrag ist nicht erfolgt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger erst im August 2017 begonnen hatte, auf diesem Arbeitsplatz zu arbeiten, und wegen Urlaub und Krankheit in der Folge nur vom 14. bis 24. Oktober 2017, vom 04. November bis 03. Dezember 2017 und nach dem 12. Februar 2018 gearbeitet hat. Der Kläger hätte eventuelle Beobachtungen zumindest einem dieser Zeiträume zuordnen müssen.
Der Kläger konnte auch nicht aus dem Schweigen des Herrn K. nach Erhalt der WhatsApp-Nachrichten auf ein Einverständnis schließen. Ein Empfänger einer beleidigenden WhatsApp-Nachricht muss grundsätzlich nicht darauf ausdrücklich ablehnend reagieren, um klarzustellen, dass er ein solches Verhalten nicht billigt. Es kann letztlich im vorliegenden Fall dahinstehen, ob jedenfalls ein Empfänger, der über einen längeren Zeitraum unerwünschte WhatsApp-Nachrichten erhält, langfristig selbst aktiv werden muss, um klarzustellen, dass er künftig solche Nachrichten nicht mehr erhalten will, oder ob sonst der Anschein einer Duldung entstehen könnte. Die Nachrichten wurden hier nämlich nicht über einen längeren Zeitraum, sondern am 15. und 17. März 2018 verschickt. Herr K. hat elf Tage später, am 28. März 2018, seinem Vorgesetzten Herrn Ka. gemeldet, dass er sich durch WhatsApp-Nachrichten des Klägers und des Herrn
S. belästigt fühle. Wie bereits ausgeführt, hat der Kläger selbst - bis auf das Foto eines Motorradfahrers mit einer Ziege auf dem Rücken - keine WhatsApp-Nachrichten geschildert, die er Herrn K. zu einem früheren Zeitpunkt geschickt haben will. Er hat also keinen Anlass benannt, warum ihn Herr K. zu einem früheren Zeitpunkt als WhatsApp-Kontakt hätte blockieren sollen.
Ein Hinweis, dass der Vortrag des Klägers in diesem Punkt nicht ausreichend war, war nicht erforderlich. Die Beklagte hat den diesbezüglichen Vortrag des Klägers bereits in erster Instanz bestritten und darauf hingewiesen, dass dieser Vortrag unsubstantiiert sei und die Vernehmung der benannten Zeugen einen Ausforschungsbeweis darstellen würde. Auch das Arbeitsgericht hat den Vortrag als unsubstantiiert betrachtet, weil der Kläger nicht konkret angegeben hat, welche Nachricht wann durch Herrn K. angefordert worden sein soll (siehe Seite 19 des Urteils). Der Kläger hat dennoch nicht ergänzend vorgetragen.
Der Kläger kann sich deshalb auch nicht auf eine Vertraulichkeit der WhatsApp-Nachrichten berufen (siehe dazu auch
ArbG Stuttgart 14. März 2019 - 11 Ca 3737/18 - Rn. 44). Ein Austausch im beidseitigem Einverständnis fand gerade nicht statt. Gleiches gilt für das für die Presse- und Meinungsäußerungsfreiheit entwickelte "Recht zum Gegenschlag" (siehe dazu
BVerfG 03. Juni 1987 - 1 BvR 313/85 - Rn. 26 "Strauß-Karikatur"). Der Kläger hat gerade nicht dargelegt, dass Herr K. ihm Nachrichten ähnlichen Inhalts geschickt hat. An seinem ursprünglichen Vortrag, es könne sein, dass Herr K. sich von dem Mobiltelefon des Klägers diese Nachrichten selbst zugeschickt habe, hat der Kläger in der Berufungsinstanz nicht mehr festgehalten, sondern unstreitig gestellt, dass er selbst die WhatsApp-Nachrichten an Herr K. geschickt hat.
(6) Entgegen der Auffassung des Klägers liegt auch der erforderliche Arbeitsplatzbezug seines Verhaltens vor.
Der Arbeitnehmer hat seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann. Er ist auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Die Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241
Abs. 2
BGB kann deshalb auch durch außerdienstliches Verhalten verletzt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass durch das - rechtswidrige - außerdienstliche Verhalten des Arbeitnehmers berechtigte Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt werden. Das ist der Fall, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat (
BAG 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20).
Ob der erforderliche Bezug zum Arbeitsverhältnis bestand, wäre auch bei einem Konflikt zwischen Arbeitskollegen zumindest dann zweifelhaft, wenn es sich um ein Geschehen im rein privaten Bereich außerhalb des Betriebs gehandelt hätte. Die WhatsApp-Nachricht "Moschee" ist aber unstreitig während der Arbeitszeit des Klägers und des Herrn K. versandt worden. Die Sprachnachricht "Arschloch" bezog sich auf das Verhalten des Herrn K. im Betrieb. Sowohl der Kläger als auch die Beklagte behaupten, dass die WhatsApp-Nachrichten im Betrieb zwischen den Kollegen angesprochen wurden, auch wenn der Vortrag sich inhaltlich unterscheidet. So kommt es nicht darauf an, ob die Nachricht "Wir bauen eine Moschee" während der Arbeitszeit versandt wurde. Zu dem vom Kläger behaupteten privaten Kontakt mit Herrn K. hat der Kläger nicht näher vorgetragen, insbesondere hat er nicht behauptet, dass es über den Austausch von WhatsApp-Nachrichten über ihre privaten Mobiltelefone hinaus private Berührungspunkte gab,
z.B. er sich mit Herrn K. auch privat getroffen habe.
bb) Die Kündigung erweist sich auch unter Berücksichtigung aller Umstände und Abwägung der beiderseitigen Interessen als verhältnismäßig. Insbesondere musste der Arbeitgeber auf die schwerwiegenden Pflichtverletzungen des Klägers nicht mit einer Abmahnung, Versetzung oder ordentlichen Kündigung reagieren. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist war der Beklagten nicht zuzumuten.
(1) Bei der Prüfung im Rahmen des § 626
Abs. 1
BGB, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen (
BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 302/16 - Rn. 26).
Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein "schonenderes" Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (
BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 302/16 - Rn. 27).
Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (
BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 302/16 - Rn. 28).
(2) Zugunsten des Klägers ist zu berücksichtigen, dass er schwerbehindert ist und lange Jahre beanstandungsfrei für die Beklagte gearbeitet hat. Auch die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass es vor den streitgegenständlichen Vorfällen zu Beanstandungen des Verhaltens des Klägers gekommen war.
Gegen den Kläger spricht jedoch das Gewicht der zur Überzeugung der Kammer feststehenden Pflichtverletzungen. Der Kläger hat Herrn K. durch islamfeindliche WhatsApp-Nachrichten innerhalb eines Zeitraums von zwei Tagen wiederholt massiv beleidigt. Darüber hinaus hat der Kläger Herrn K. unstreitig durch eine Sprachnachricht als "Arschloch" beleidigt. Es handelte sich gerade nicht um einen einmaligen verbalen Ausrutscher, bei dessen Bewertung dann der vom Kläger behauptete raue Umgangston eine Rolle hätte spielen können. Allen Beleidigungen ist gemein, dass sie nicht spontan im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung erfolgten. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, wurde die Beleidigung "Arschloch" gezielt aufgenommen und war nicht Ergebnis einer aktuellen Konfliktsituation am Arbeitsplatz. Auch die WhatsApp-Nachrichten wurden nicht als Reaktion auf einen aktuellen Konflikt oder im Rahmen einer über WhatsApp geführten Auseinandersetzung verschickt. Die besondere Bedeutung des Pflichtenverstoßes des Klägers wird noch durch die bei der Beklagten bestehenden Regelungen unterstrichen, die gerade darauf abzielen, Diskriminierungsfälle zu unterbinden. Der Kläger hat zwar erstinstanzlich die Existenz dieser Regelungen bestritten und behauptet, dass er jedenfalls diese Regelungen nicht gekannt habe. Auf den ergänzenden Vortrag der Beklagten, warum er Kenntnis dieser Regelungen haben musste, hat der Kläger in der Berufungsbegründung seinen erstinstanzlichen Vortrag allerdings lediglich wiederholt, ohne auf diesen Vortrag der Beklagten einzugehen, so dass der diesbezügliche Vortrag der Beklagten als unstreitig zu behandeln ist.
Die Pflichtverletzungen des Klägers durch die Versendung der WhatsApp-Nachrichten haben auch zu einer Belastung des Empfängers geführt. Die Beklagte hat in der Berufungserwiderung vorgetragen, Herr Y. I., ein Zeuge, der erst nach Abschluss erster Instanz habe ausfindig gemacht werden können, habe den Zeugen K. auf seinen angeschlagenen Zustand im Frühjahr 2018 angesprochen, worauf der Zeuge K. ihm berichtet habe, dass er sehr unter der Zusammenarbeit mit dem Kläger und dem Kollegen
S. leide
bzw. sich gemobbt fühle. Der Zeuge habe unmittelbar vor dem 28. März 2018 gehört, wie Herr K. den Kläger und Herrn
S. angeschrien habe, dass er nicht mehr könne und dass sie ihn in Ruhe lassen sollten. Der Zeuge habe sodann abends den Kontakt zu Herrn K. gesucht und sei bei ihm zuhause vorbeigefahren. Herr K. habe ihm sodann die vom Kläger und dem Mitbeteiligten
S. verschickten Text- und Videonachrichten gezeigt, woraufhin der Zeuge I. Herrn K. aufgefordert habe, zu Herrn Ka. zu gehen. Zu diesem konkreten Vortrag hat sich der Kläger auch in dem Schriftsatz vom 28. November 2019 nicht erklärt. Das Gericht hat den Kläger in der Berufungsverhandlung darauf hingewiesen, dass er sich bisher zu dem Vortrag der Beklagten Herrn I. und einen weiteren Zeugen betreffend nicht geäußert habe. Daraufhin hat der Klägervertreter lediglich erklärt, "kurz vor Weihnachten" sei der Kläger nicht im Betrieb gewesen, so dass eine vom Zeugen C. dem Kläger zugeschriebene Äußerung zu Weihnachtsgeld bereits deshalb nicht gefallen sein könne, und im Übrigen die Beleidigungen, die die Zeugen mitbekommen haben sollen, bestritten. Nicht bestritten hat er damit aber den Vortrag zu Gesprächen zwischen Herrn K. und Herrn I. . Dazu hätte bereits deshalb Anlass bestanden, weil der Kläger damit argumentiert hatte, gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen K. spreche, dass er sich nicht einem Dritten offenbart habe.
Dem Kläger kann nicht zugutegehalten werden, dass er die Sprachnachricht - wie er vorträgt - als Reaktion auf eine Drohung des Herrn K. aufgenommen und versandt habe. Der Kläger hat schriftsätzlich im Schriftsatz vom 28. November 2019 vorgetragen, er selbst und Herr
S. hätten in dem Gespräch mit Herrn Ka. am 27. März 2018 erstmalig offenbart, dass Herr K. vor allem wegen des von ihm betriebenen Handels faktisch nicht mitarbeite. Daraufhin hätten sie am Folgetag Herrn K. getroffen, der auf irgendeinem Wege von ihren belastenden Aussagen gehört habe. Herr K. habe sie daraufhin als "kleine braune Nazischweine" beschimpft und ihnen gedroht, dass sie morgen rausfliegen würden, wenn er so wolle. Daraufhin seien sie ihm aus Furcht aus dem Weg gegangen (Seite 4 des Schriftsatzes). Auf Seite 5 des Schriftsatzes wird dann ausgeführt, der Kläger sei wegen der Drohung des Herrn K. wütend geworden und habe sich deshalb zu der Äußerung in der Sprachnachricht hinreißen lassen. Gegen diese Darstellung spricht bereits der Wortlaut des ersten Satzes der Sprachnachricht, nämlich "Willst du haben ruhiges Leben, vertraue niemals deinen Kollegen!". Diese Formulierung bezieht sich ersichtlich nicht auf die Drohung eines Kollegen, sondern auf einen empfundenen Vertrauensbruch oder Verrat. Für letzteres würde auch der vor der Sprachnachricht wiedergegebene Chatverlauf vom 27. März 2018 sprechen ("hintervotzig", siehe dazu Blatt 4 der Anlage 7 zur Betriebsratsanhörung, Anlage B1, Abl. 111 der Akte
ArbG). Die Kammer hat daraufhin den Kläger in der Berufungsverhandlung zu den Abläufen am 27. und 28. März 2018 befragt. Der Kläger hat bei der Schilderung die Formulierung verwandt, Herr K. habe sie "ins Messer laufen lassen". Auf Nachfrage hat er dann erklärt, dass Herr
S. und er sich über Herrn K. geärgert hätten, weil er vor dem Gespräch über Stückzahlen mit Herrn Ka. ihnen auf ihre Frage, worum es in dem Gespräch gehe, geantwortet habe, er wisse es nicht, obwohl er es gewusst habe. Zu diesem Ärger oder Enttäuschung passt der Text der Sprachnachricht. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Kläger aus diesem Grund gemeinsam mit Herrn
S. die Sprachnachricht aufgenommen und versandt hat, und zwar - wie bereits ausgeführt - nicht aufgrund einer aktuellen Konfliktsituation, sondern erst am Folgetag. Bei der Anhörung des Klägers ergab sich auch, dass er schon zu einem früheren Zeitpunkt als bei dem Gespräch mit Herrn Ka. die von ihm behaupteten Pflichtverstöße des Herrn K. zumindest bei seinem Meister gemeldet haben will. Dass Herr Ka. im Anschluss an das Gespräch Herrn K. mit dem angeblich (von der Beklagten bestritten) gegen ihn erhobenen Vorwurf konfrontiert haben soll, wie schriftsätzlich vorgetragen, hat sich bei der Anhörung des Klägers ebenfalls nicht bestätigt. Der Kläger hat hier erklärt, dass Herr K. nicht wissen konnte, dass er mit Herrn Ka. über den angeblichen Handel gesprochen habe.
Zugunsten des Klägers kann auch nicht berücksichtigt werden, dass die Beklagte keine arbeitsrechtlichen Maßnahmen gegen Herrn K. eingeleitet hat. Es steht fest, dass Herr K. den Kläger und Herrn
S. im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung jedenfalls als "Nazis" (nach Vortrag des Klägers als "braune Nazischweine") bezeichnet hat. Der Kläger behauptet - von der Beklagten bestritten - zudem, dass Herr K. ihn wiederholt "Schraubenhaufen" genannt habe und ihm geraten habe, "seine Batterie aufzuladen". Vor allem beschuldigt er aber Herrn K., er habe während der Arbeitszeit Handel auf dem Werksgelände betrieben, wobei er diesen Vortrag über zwei Instanzen nie konkretisiert hat, obwohl die Beklagte darauf hingewiesen hat, dass dieser Vorwurf unberechtigt, jedenfalls aber nicht nachweisbar sei. Der Kläger hat dennoch keinen einzigen Vorfall konkret benannt, bei dem Herr K. ihm selbst etwas zum Kauf angeboten haben soll oder der Kläger mitbekommen haben will, dass Herr K. einem anderen Mitarbeiter etwas angeboten habe. Aber auch soweit Herr K. unstreitig den Kläger als "Nazi" bezeichnet hat, waren die in den WhatsApp-Nachrichten und in der Sprachnachricht enthaltenen Beleidigungen durch den Kläger jedenfalls keine Reaktion darauf, so dass das Verhalten des Klägers nicht deshalb in einem milderen Licht erscheint, weil er provoziert worden wäre. Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Im Verhältnis von Arbeitnehmern untereinander scheidet mit Blick auf Kündigungen wegen Pflichtverletzungen eine Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes weitgehend aus. Eine mittelbare Auswirkung auf die Interessenabwägung kann der Gleichbehandlungsgrundsatz nur bei gleicher Ausgangslage haben (
BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 302/16 - Rn. 40). Eine solche lag hier nicht vor.
Wie das Arbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat, hat der Kläger auch nicht ein Lebensalter, bei dem nicht von vornherein davon auszugehen ist, dass er auf dem Arbeitsmarkt keine neue Stelle bekommt.
Der Beklagten war es nicht zumutbar, den Kläger zu versetzen. Der vorliegende Fall ist nach Auffassung der Kammer nicht mit einer Fallgestaltung zu vergleichen, bei dem ein rein persönlicher Konflikt zwischen zwei Kollegen eskaliert ist, aber davon auszugehen ist, dass bei einer Trennung der Kontrahenten beide wieder beanstandungsfrei ihre Arbeitsleistung erbringen und es zu keinen erneuten Konflikten kommen wird. Die Beklagte musste hier sicherstellen, dass es nicht zu einem erneuten Verstoß gegen ihre Regelungen gegen diskriminierendes Verhalten kommen würde. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist war der Beklagten nicht deshalb zuzumuten, weil der Kläger das Schreiben vom 14. Mai 2018 verfasst hat. Nachtatverhalten vor Zugang der Kündigung, das erst auf Vorhalt der Beklagten und unter dem Eindruck einer - drohenden - Kündigung und eines - drohenden - Strafverfahrens gezeigt wird, wirkt sich nur schwach entlastend aus (
BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 31). Der Kläger im vorliegenden Verfahren hat beim Werksermittlungsdienst noch bestritten, fremdenfeindliche WhatsApp-Nachrichten verfasst zu haben. Erst, nachdem er von der Personalabteilung erneut angehört worden war, dort die Nachrichten noch als witzig bezeichnet hatte und sodann freigestellt worden war, hat er das Entschuldigungsschreiben verfasst. Für die Bezeichnung des Herrn K. als "Arschloch" in der Sprachnachricht hat er sich ohnehin nicht entschuldigt.
Nach Überzeugung der Kammer handelt es sich unter Berücksichtigung der oben benannten Umstände bei der Übersendung der beiden islamfeindlichen WhatsApp-Nachrichten in Verbindung mit der beleidigenden Sprachnachricht um derart schwerwiegende Pflichtverletzungen, dass deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und auch unter Berücksichtigung der bei der Beklagten geltenden Verhaltensregeln für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen war.
cc) Deshalb kommt es auf die verbalen Beleidigungen, auf die das Arbeitsgericht die Kündigung gestützt hat und die der Kläger weiterhin bestreitet, nicht an. Da die Kammer auf diese verbalen Beleidigungen nicht abgestellt hat, hat sie auch nicht geprüft, ob diese zusammen mit den WhatsApp-Nachrichten und der Sprachnachricht eine Benachteiligung im Sinne von
§ 3 Abs. 3 AGG dargestellt hätten. Voraussetzung wäre gewesen, dass unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in
§ 1 AGG genannten Grund (also
z.B. ethnische Herkunft oder Religion) in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.
c) Die Beklagte konnte noch am 04. Juni 2018 wegen der Vorgänge, die Herr K. am 28. März 2018 Herrn Ka. offenbart hat, außerordentlich kündigen. Davon ist das Arbeitsgericht zu Recht ausgegangen. Die Zweiwochenfrist des § 626
Abs. 2
BGB begann frühestens am 04. Mai 2018 zu laufen (aa). Jedenfalls war sie bis zu diesem Zeitpunkt gehemmt (bb). Die Beklagte konnte noch nach Ablauf der Zweiwochenfrist kündigen, da sie unverzüglich nach Zustimmung des Integrationsamts die Kündigung erklärt hat (cc).
aa) Die Zweiwochenfrist begann nicht vor dem 04. Mai 2018 zu laufen, als der Werksermittlungsdienst seinen Abschlussbericht an die Personalabteilung übergab. Auf die Kenntnis von Herrn Ka. oder Herrn Sc. kam es nicht an.
(1) Die Frist des § 626
Abs. 2 Satz 1
BGB beginnt nach Satz 2 der Vorschrift mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Selbst eine grob fahrlässige Unkenntnis der kündigungsberechtigten Personen setzt die Frist des § 626
Abs. 2
BGB nicht in Gang (
BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 54).
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gehören neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften zu den Kündigungsberechtigten auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat. Dagegen ist die Kenntnis anderer Personen für den Lauf der Ausschlussfrist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt auch dann, wenn den Mitarbeitern Aufsichtsfunktionen übertragen worden sind. Nur ausnahmsweise muss sich der Arbeitgeber die Kenntnis solcher Personen nach Treu und Glauben zurechnen lassen. Dazu müssen diese Personen eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb oder in der Verwaltung haben sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, einen Sachverhalt, der Anhaltspunkte für eine außerordentliche Kündigung bietet, so umfassend zu klären, dass mit ihrer Mitteilung der Kündigungsberechtigte ohne weitere eigene Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen kann. Dementsprechend müssen diese Mitarbeiter in einer ähnlich selbständigen Stellung sein, wie ein gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertreter des Arbeitgebers. Voraussetzung für eine Zurechenbarkeit der Kenntnisse dieser Personen zum Arbeitgeber ist ferner, dass die Verzögerung bei der Kenntniserlangung in dessen eigener Person auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs oder der Verwaltung beruht (
BAG 21. Februar 2013 - 2 AZR 433/12 - Rn. 28; siehe auch
BAG 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 22).
(2) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt sich, dass weder Herr Ka. noch die beteiligten Mitarbeiter des Werksermittlungsdiensts kündigungsberechtigte Personen sind noch die Voraussetzungen für eine Zurechenbarkeit ihrer Kenntnis vorliegen.
Der Kläger hat zwar zunächst behauptet, dass der Teamleiter Herr Ka. berechtigt sei, Kündigungen auszusprechen. In der Berufungsverhandlung war aber unstreitig, dass Herr Ka. grundsätzlich nicht befugt ist zu kündigen. Aus der Vorgesetztenstellung allein ergibt sich noch nicht die Berechtigung, Kündigungen auszusprechen. Die Beklagte muss sich auch nicht nach Treu und Glauben die Kenntnis des Herrn Ka. zurechnen lassen. Herr Ka. hat entgegen der Auffassung des Klägers bereits nicht die vom Bundesarbeitsgericht geforderte herausgehobene Position und Funktion im Betrieb. Dazu müsste er - wie das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich ausführt - eine ähnlich selbständige Stellung haben wie ein gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertreter des Arbeitgebers. Das Bundesarbeitsgericht hat dies
z.B. angenommen bei einem ersten Bürgermeister einer Gemeinde (
BAG 21. Februar 2013 - 2 AZR 433/12 - Rn. 31). Herr Ka. leitete zum Zeitpunkt der Kündigung dagegen ein Team von
ca. 60 Mitarbeitern in einem Werksteil, in dem
ca. 5.000 Arbeitnehmer beschäftigt werden, und ist damit mit einem gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Vertreter des Arbeitgebers nicht vergleichbar. Auch seine von Herrn K. bei dessen Befragung wiedergegebenen Äußerungen sprechen entgegen der Auffassung des Klägers nicht für eine derart hervorgehobene Position. Zum einen hat Herr Ka. gar nicht behauptet, selbst eine Versetzung aussprechen zu können. Es ging ersichtlich bei dem Austausch zwischen Herrn K. und Herrn Ka. nur darum, welche arbeitsrechtliche Maßnahmen Herr Ka. gegenüber den für solche Maßnahmen zuständigen Mitarbeitern anregen könnte. Zum anderen käme es ohnehin nur darauf an, ob er tatsächlich solche Maßnahmen selbst einleiten kann, und nicht darauf, ob er möglicherweise den Eindruck erweckt hat, er könne eigenverantwortlich darüber entscheiden.
Damit fehlt bereits die erste Voraussetzung, um die Kenntnis von Herrn Ka. der Beklagten zuzurechnen. Es ist also gar nicht mehr zu prüfen, ob - als kumulativ zu prüfende zweite Voraussetzung (
vgl. BAG 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 22) - ein schuldhafter Organisationsmangel bei der Beklagten vorlag, der dazu führte, dass kündigungsberechtigte Personen verspätet Kenntnis erlangten. Auch Herr Sc. oder die übrigen beteiligten Mitarbeiter des Werksermittlungsdiensts haben nicht eine derart hervorgehobene Position im Betrieb, dass eine Zurechnung ihrer Kenntnis überhaupt in Betracht käme. Davon geht auch der Kläger offenbar nicht aus.
Eine Zurechnung der Kenntnis des Herrn Ka. und der beteiligten Mitarbeiter des Werksermittlungsdiensts folgt nicht daraus, dass sie gegen die Regelverstoßrichtlinie verstoßen hätten und deshalb ihre Kenntnis der Beklagten zuzurechnen sei, wie der Kläger meint. Die Regelverstoßrichtlinie unterscheidet zwischen Verstößen mit hohem Risiko und Verstößen mit geringem Risiko, die an unterschiedliche Stellen zu melden sind. Es ist bereits nicht ersichtlich, warum ein Verstoß gegen die Richtlinie dazu führen soll, dass die Kenntnis nicht kündigungsberechtigter Mitarbeiter dem Arbeitgeber zuzurechnen sein soll. Der Arbeitgeber hat mit der Richtlinie doch gerade Regeln und ein Verfahren vorgegeben, wie Verstöße je nach Schwere gemeldet werden sollen und wer und wie ermitteln soll. Meldet ein Mitarbeiter einen Verstoß nicht oder an die falsche Stelle, mag dies im Einzelfall eine Pflichtverletzung des betreffenden Mitarbeiters sein. Daraus folgt aber nicht, dass der Arbeitgeber sich nun das Wissen dieses Mitarbeiters zurechnen lassen muss. Im vorliegenden Fall ist auch nicht davon auszugehen, dass Herr Ka. oder die beteiligten Mitarbeiter des Werksermittlungsdiensts überhaupt gegen die Richtlinie verstoßen haben. Der Kläger hat zwar in seinem letzten Schriftsatz vorgetragen, dass Verstöße mit geringem Risiko aufgrund der Richtlinie der Personalabteilung zu melden seien. Daraufhin hat die Beklagte die Richtlinie in der Berufungsverhandlung vorgelegt (siehe Seite 4 des Protokolls). Aus Ziffer 2.2 ergibt sich, dass Verstöße mit geringem Risiko nicht ausschließlich an die Personalabteilung zu melden sind. Sie können
z.B. auch Corporate Security, also dem Werksermittlungsdienst, gemeldet werden. Eben dies hat Herr Ka. getan. Der Kläger hat daraufhin in der Berufungsverhandlung die Ansicht vertreten, dass Herr Ka. die ihm gemeldeten Vorwürfe als Fall mit hohem Risiko eingeschätzt hätte und diesen deshalb dem Business Practice Office hätte melden müssen. Nach den Informationen, die Herrn Ka. vorlagen, als er den Fall an den Werksermittlungsdienst weitergab, ging es um Beleidigungen oder Belästigungen innerhalb einer Schichtgruppe von wenigen Personen. Er konnte nicht wissen, wieviel Aufmerksamkeit der Fall später erfahren würde. Wie Vorfälle mit geringem Risiko von Vorfällen mit hohem Risiko abzugrenzen sind, kann aber auch letztlich offenbleiben, da wie gesagt eine diesbezügliche Fehleinschätzung nicht dazu führen kann, dass dem Arbeitgeber die Kenntnis der meldenden Person zuzurechnen ist.
Es ist deshalb im vorliegenden Fall ausschließlich auf die Kenntnis des Teams arbeitsrechtlicher Maßnahmen, also der Personalabteilung, abzustellen. Herr Sc. hat den auf den 04. Mai 2018 datierten Abschlussbericht an diesem Tag der Personalabteilung übergeben. Dies hat die Vernehmung des Zeugen Sc. in erster Instanz ergeben. Ausweislich des Urteils erster Instanz hat der Zeuge Sc. auch berichtet, dass ihm nicht bekannt sei, dass vor Weitergabe des Ermittlungsergebnisses durch den Werksermittlungsdienst jemand an die Personalabteilung herangetreten sei (siehe Seite 22 des Urteils). Das Arbeitsgericht hat die Aussagen des Herrn Sc. dort nachvollziehbar als glaubhaft betrachtet. Der Kläger hat die diesbezügliche Beweiswürdigung (anders als die Beweiswürdigung der Aussage des Zeugen K.) auch nicht angegriffen.
bb) Selbst, wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausginge, dass die Personalabteilung schon vor dem 04. Mai 2018 Informationen über den Kündigungssachverhalt,
z.B. über den Beginn der Ermittlungen des Werksermittlungsdiensts erhalten hätte, hätte die Frist des § 626
Abs. 2
BGB nicht vor dem 04. Mai 2018 zu laufen begonnen. Die Personalabteilung durfte den Abschluss der Ermittlungen abwarten. Die Ermittlungen wurden mit der gebotenen Eile geführt.
(1) Für die Auswirkungen von Ermittlungen auf den Lauf der Zweiwochenfrist hat das Bundesarbeitsgericht folgende Grundsätze aufgestellt:
Zu den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen im Sinne von § 626
Abs. 2
BGB gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Der Kündigungsberechtigte, der gewisse Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und dazu auch den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626
Abs. 2
BGB zu laufen begänne. Dies gilt allerdings nur solange, wie er aus verständigen Gründen und mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen. Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen und nur bei Vorliegen besonderer Umstände überschritten werden. Für die übrigen Ermittlungen gilt keine Regelfrist. Bei ihnen ist fallbezogen zu beurteilen, ob sie hinreichend zügig betrieben wurden (
BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 54; siehe auch
BAG 27. Juni 2019 - 2 ABR 2/19 - Rn. 23).
Sind die Ermittlungen abgeschlossen und hat der Kündigungsberechtigte eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist. Unbeachtlich ist, ob die Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder überflüssig waren (
BAG 21. Februar 2013 - 2 AZR 433/12 - Rn. 27;
BAG 27. Juni 2019 - 2 ABR 2/19 - Rn. 23).
(2) Zunächst ist unter Anwendung dieser Rechtsprechung festzuhalten, dass entgegen der Auffassung des Klägers die Beklagte Ermittlungen durchführen durfte und dass es auch nicht darauf ankam, ob die Ermittlungen neue Erkenntnisse gebracht haben. Die Ermittlungen wurden aus verständigen Gründen durchgeführt und die Kündigung nicht bereits aufgrund der am 28. März 2018 vorliegenden Informationen ausgesprochen. Im Kündigungsschutzprozess obliegt dem Arbeitgeber nämlich die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes (
vgl. BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 40). Anders als bei der Verdachtskündigung ist der Arbeitgeber vor Ausspruch einer "Tatkündigung" zwar nicht verpflichtet, alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts - auch mit Blick auf den Arbeitnehmer möglicherweise entlastende Umstände - zu unternehmen. Unterlässt er eine umfassende Sachverhaltsaufklärung jedoch, trägt er das Risiko, die behauptete Pflichtverletzung im Prozess nicht beweisen zu können (
vgl. BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 38). Die Beklagte durfte deshalb zunächst den Sachverhalt näher ermitteln. Solange die Ermittlungen hinreichend zügig durchgeführt wurden, fing die Ausschlussfrist nicht zu laufen an.
Der Ablauf der Ermittlungen des Werksermittlungsdiensts ist zwischen den Parteien dabei weitestgehend unstreitig. Der Kläger hat lediglich mit Nichtwissen bestritten, dass der Werksermittlungsdienst der Beklagten beauftragt worden sei, die Vorwürfe und das entsprechende Bildmaterial zu sammeln und auszuwerten, und dass das Ergebnis der Ermittlungen erst am 04. Mai 2018 dem Personalbereich vorgelegt worden sei. Nicht bestritten hat der Kläger dagegen, dass der Werksermittlungsdienst von Herrn Ka. informiert wurde und tatsächlich Ermittlungen durchgeführt hat und dass die Befragungen so stattgefunden haben, wie in den Gesprächsniederschriften vom 13. und 18. April 2018 und in dem Abschlussbericht wiedergegeben.
Unter Berücksichtigung der obigen Grundsätze sind die Ermittlungen im vorliegenden Fall auch mit der gebotenen Eile durchgeführt worden. Zwar ist der Kläger erst am 18. April 2018 und damit mehr als zwei Wochen nach Beginn der Ermittlungen angehört und der Abschlussbericht wiederum mehr als zwei Wochen nach der Anhörung des Klägers erstellt worden. Die Kammer geht jedoch aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falls davon aus, dass die Frist während dieser Zeit noch nicht zu laufen begann.
Der Werksermittlungsdienst wurde am 29. März 2018, dem Gründonnerstag, von Herrn Ka. über die von Herrn K. erhobenen Vorwürfe informiert. Es folgten die Osterfeiertage. Der Werksermittlungsdienst verschaffte sich zunächst einen eigenen Eindruck von Herrn K. und den von ihm erhobenen Vorwürfen, indem er in der Woche nach Ostern ein erstes Gespräch mit ihm führte. In diesem Gespräch machte Herr K. erste Angaben (siehe Niederschrift der zweiten Befragung, Abl. 89 der Akte
ArbG). In dieser Woche hätte der Kläger ohnehin nicht ohne Weiteres für ein Gespräch zur Verfügung gestanden, da er Urlaub hatte. In der Folgewoche, nämlich am 13. April 2018, führte der Ermittlungsdienst ein zweites Gespräch - auf Wunsch des Herrn K. im Beisein eines Betriebsratsmitglieds. Bei dieser Gelegenheit wurden dem Werksermittlungsdienst von Herrn K. ausweislich eines Vermerks in der Befragungsniederschrift (siehe dazu Abl. 93 der Akte
ArbG) die "gegen seine Person gerichteten" und auf seinem Mobiltelefon gesicherten WhatsApp-Nachrichten und außerdem eine Liste von Schimpfwörtern (siehe dazu den Abschlussbericht, Abl. 102 der Akte
ArbG) übergeben, die dem Kläger und Herrn
S. zugeordnet waren. Erst damit hatte der Ermittlungsdienst die Möglichkeit, die WhatsApp-Nachrichten im Einzelnen auszuwerten und zu prüfen, ob sie während der Arbeitszeit versandt worden waren, um dann den Kläger und Herrn
S. damit konfrontieren zu können. Es ging hier eben nicht um den Vorwurf einer einmaligen verbalen oder nonverbalen Beleidigung, bei der es regelmäßig genügen wird, jeweils "Opfer" und "Täter" (und
ggf. weitere bei dem Vorfall anwesende Personen) einmalig zu befragen, um sich entscheiden zu können, ob der Vorwurf stichhaltig ist. In einem solchen Fall wird regelmäßig nach einer Befragung des "Opfers" der mögliche Kündigungssachverhalt klar umrissen sein. Stattdessen gab es hier eine Vielzahl von WhatsApp-Nachrichten und mehr als einen "Täter". Zwar stammten nur drei der WhatsApp-Nachrichten vom Kläger, jedoch war es aus Sicht der Kammer sachlich gerechtfertigt, dass der Ermittlungsdienst die Ermittlungen gegen den Kläger und gegen Herrn
S. nicht getrennt geführt hat, da die gegen den Kläger und Herrn
S. erhobenen Vorwürfe derart eng verquickt waren. Jedenfalls wurden der Kläger und Herr
S., nachdem am 13. April 2018 die WhatsApp-Nachrichten und die Liste der behaupteten Beleidigungen samt Zuordnung vorlagen, innerhalb der einwöchigen Regelfrist für die Anhörung des Kündigungsgegners angehört. Zwar vergingen nach der Anhörung des Herrn
S. am Freitag, den 20. April 2018, noch weitere zwei Wochen, bis der Abschlussbericht vorgelegt wurde. Hierfür lagen aus Sicht der Kammer jedoch sachliche Gründe vor. Herr Sc., der die Befragungen des Herrn K. und des Klägers durchgeführt hatte und im Abschlussbericht als "führender Ermittler" aufgeführt ist, war vom 23. April bis 01. Mai 2018 nicht im Betrieb. Die Beklagte hat in zweiter Instanz einen entsprechenden Auszug aus seinem Gleitzeitkonto (Anlage B20, Abl. 125) vorgelegt. Der Kläger hat die Abwesenheit des Ermittlers in diesem Zeitraum daraufhin nicht mehr bestritten. Aus Sicht der Kammer war es nicht erforderlich, dass die Ermittlungen und die Erstellung des Abschlussberichts wegen der relativ kurzen Abwesenheit von Herrn Sc. einem anderen Ermittler übertragen wurden. Etwas Anderes mag gelten, wenn bei Beginn der Ermittlungen bereits feststeht, dass der Sachbearbeiter
z.B. wegen eines längeren Urlaubs länger nicht im Betrieb sein wird und die Ermittlungen dadurch ins Stocken geraten könnten, oder wenn der Sachbearbeiter während der Ermittlungen
z.B. wegen einer längeren Erkrankung ausfällt. Herr Sc. hat nach seiner Rückkehr dann innerhalb weniger Tage den Abschlussbericht erstellt und ihn der Personalabteilung übergeben.
Auch für den Fall, dass der Personalabteilung bereits Informationen über die Vorwürfe vorgelegen haben sollten, hatte sie erst am 04. Mai 2018 hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt, als sie den am gleichen Tag erstellten Abschlussbericht erhielt. Bei den vorherigen Befragungen des Klägers und des Herrn K. waren Mitglieder der Personalabteilung ausweislich der Niederschriften nicht anwesend. Auch der Kläger hat nichts Anderes behauptet.
cc) Bei Beginn der Ausschlussfrist am 04. Mai 2018 wäre diese an sich am 18. Mai 2018 abgelaufen. Die Kündigung vom 04. Juni 2018 ist dennoch noch rechtzeitig, weil die Beklagte noch am 18. Mai 2018 die zur Kündigung des schwerbehinderten Klägers erforderliche Zustimmung des Integrationsamts beantragt und die Kündigung unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung ausgesprochen hat.
Gemäß
§§ 174 Abs. 1,
168 SGB IX bedarf eine außerordentliche Kündigung eines schwerbehinderten Menschen der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Gemäß § 174
Abs. 2 Satz 1
SGB IX kann die Zustimmung zur Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen beantragt werden. Auch diese Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat (§ 174
Abs. 2 Satz 2
SGB IX). Insoweit gelten die zu § 626
Abs. 2
BGB entwickelten Maßstäbe entsprechend (ErfK/Rolfs, 20. Aufl. 2020, § 174
SGB IX Rn. 3). Wie auch das Integrationsamt in seinem Bescheid vom 30. Mai 2018 (siehe Seite 5 f., Anlage B9, Abl. 178 der Akte
ArbG) festgestellt hat, hat die Beklagte diese Frist eingehalten.
Gemäß § 174
Abs. 5
SGB IX kann die außerordentliche Kündigung eines schwerbehinderten Menschen auch nach Ablauf der Frist des § 626
Abs. 2
BGB noch erfolgen, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erteilt wird. Die Kündigung wurde im vorliegenden Fall unverzüglich ausgesprochen, wie bereits das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt hat. Gemäß § 174
Abs. 3 Satz 1
SGB IX trifft das Integrationsamt die Entscheidung innerhalb von zwei Wochen vom Tag des Eingangs des Antrages an. Wird innerhalb dieser Frist eine Entscheidung nicht getroffen, so gilt die Zustimmung als erteilt (§ 174
Abs. 3 Satz 2
SGB IX). Diese Frist ist am 01. Juni 2018, einem Freitag, abgelaufen. Die Entscheidung des Integrationsamts wurde einen Tag vor Fronleichnam (gesetzlicher Feiertag in Baden-Württemberg) am Mittwoch, den 30. Mai 2018, getroffen. Mit Zugang der Kündigung am Montag, den 04. Juni 2018, wurde diese damit unverzüglich im Sinne der Vorschrift zugestellt.
Es kommt deshalb nicht darauf an, ob die Personalabteilung selbst noch weitere Ermittlungen durch erneute Befragungen des Klägers und des Herrn K. am 08. Mai 2018 durchführen konnte, ohne dass die Frist des § 626
Abs. 2
BGB zu laufen begann. Auch bei einem Fristbeginn am 04. Mai 2018 ist die Kündigung noch rechtzeitig erfolgt.
d) Die Kündigung ist auch nicht gemäß
§ 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam, wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat. Der Betriebsrat ist vor Ausspruch ordnungsgemäß gemäß § 102
Abs. 1 Satz 1 und 2
BetrVG angehört worden.
Hinsichtlich der im Sinne des § 102
BetrVG ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats gilt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine abgestufte Darlegungslast. Danach hat im Prozess der Arbeitnehmer zunächst einmal die für ihn günstige Tatsache vorzutragen, dass überhaupt ein Betriebsrat besteht und deshalb nach § 102
BetrVG vor Ausspruch einer Kündigung dessen Anhörung erforderlich war. Ohne dieses Vorbringen ist das Gericht nicht berechtigt und nicht verpflichtet, das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung - von Amts wegen - zu prüfen. Auf einen entsprechenden Sachvortrag des Arbeitnehmers hin obliegt es dem Arbeitgeber darzulegen, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden ist. Da die Betriebsratsanhörung nach § 102
BetrVG Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung ist, trifft die Darlegungs- und Beweislast grundsätzlich insoweit den Arbeitgeber. Auf einen entsprechenden Prozessvortrag des Arbeitgebers hin darf sich der Arbeitnehmer dann nicht mehr darauf beschränken, die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung pauschal mit Nichtwissen zu bestreiten. Er hat sich vielmehr nach § 138
Abs. 1 und 2
ZPO vollständig über den vom Arbeitgeber vorgetragenen Sachverhalt zu erklären und im Einzelnen zu bezeichnen, ob er rügen will, der Betriebsrat sei entgegen der Behauptung des Arbeitgebers überhaupt nicht angehört worden, oder in welchen einzelnen Punkten er die tatsächlichen Erklärungen des Arbeitgebers über die Betriebsratsanhörung für falsch oder die dem Betriebsrat mitgeteilten Tatsachen für unvollständig hält. Dies erfordert gegebenenfalls einen ergänzenden Sachvortrag des Arbeitgebers und ermöglicht eine Beweiserhebung durch das Gericht über die tatsächlich streitigen Tatsachen (
BAG 23. Juni 2005 - 2 AZR 193/04 - Rn. 13).
Der Kläger hat lediglich in der Klageschrift bestritten, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört wurde. Daraufhin hat die Beklagte im Einzelnen zur Betriebsratsanhörung vorgetragen und auch die schriftliche Betriebsratsanhörung samt Anlagen, in der zum einen die Sozialdaten des Klägers benannt werden und zum anderen die aus Sicht der Beklagten bestehenden Kündigungsgründe ausführlich dargelegt werden, vorgelegt. Die Kündigung des Klägers ist erst nach Ablauf der dreitägigen Frist des § 102
Abs. 2 Satz 3
BetrVG ausgesprochen worden. Weitere Ausführungen zu der Betriebsratsanhörung hat der Kläger weder in erster noch zweiter Instanz gemacht. Der Vortrag der Beklagten ist deshalb als unstreitig zu behandeln.
e) Wie das Arbeitsgericht zu Recht angenommen hat, ist die Kündigung ist auch nicht gemäß § 178
Abs. 2 Satz 3
SGB IX unwirksam. Die Schwerbehindertenvertretung ist vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört worden.
aa) Die Schwerbehindertenvertretung ist vor Ausspruch der Kündigung angehört worden, indem die Beklagte das in erster Instanz als Anlage B4 vorgelegte Anhörungsschreiben vom 14. Mai 2018 der Schwerbehindertenvertretung übermittelt hat. Nach der Vernehmung des Zeugen T. in der Berufungsverhandlung steht für die Kammer fest, dass dieses Anhörungsschreiben die Schwerbehindertenvertretung auch tatsächlich erreicht hat.
(1) Eine Kündigung eines schwerbehinderten Menschen ist gemäß § 178
Abs. 2 Satz 3
SGB IX unwirksam, wenn der Arbeitgeber sie "ohne" Beteiligung (Unterrichtung und Anhörung) der Schwerbehindertenvertretung "ausspricht". Insofern gelten die gleichen Grundsätze wie zur - ebenfalls eine Unterrichtung voraussetzenden - Anhörung des Betriebsrats nach § 102
Abs. 1 und
Abs. 2
BetrVG (
BAG 13. Dezember 2018 -
2 AZR 378/18 - Rn. 15 zu dem gleichlautenden
§ 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX a.F.).
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muss für eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung die Erklärung des Arbeitgebers, mit der er den Betriebsrat nach § 102
BetrVG zu einer beabsichtigten Kündigung anhört, dem Betriebsrat zugehen. Nach
§ 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ist der Vorsitzende oder sein Stellvertreter zur Entgegennahme von Erklärungen berechtigt. Der Betriebsrat kann einzelne seiner Mitglieder zum Empfang bevollmächtigen. Er kann auch Erklärungsboten bestellen (
BAG 06. Oktober 2005 - 2 AZR 316/04 - Rn. 25). Es kann auch ausreichend sein, wenn der Arbeitgeber von einer Empfangsvollmacht des Betriebsratsmitglieds, das die Anhörung entgegengenommen hat, ausgehen kann (
vgl. BAG 06. Oktober 2005 - 2 AZR 316/04 - Rn. 27).
Hinsichtlich des Zugangs von Erklärungen, die von einem Empfangsvertreter, Empfangsboten oder Erklärungsboten übermittelt werden (sollen), ist wie folgt zu unterscheiden: Handelt es sich bei der Mittelsperson um einen Empfangsvertreter (§ 164
Abs. 3
BGB), so ist die Erklärung mit dem Zugang beim Vertreter dem Vertretenen zugegangen. Auf eine Weitergabe an den Adressaten kommt es nicht an. Ist die Mittelsperson ein Empfangsbote, dann ist die Erklärung dem Adressaten zu dem Zeitpunkt zugegangen, zu dem regelmäßig die Weitergabe an den Empfänger zu erwarten ist. Übermittelt der Empfangsbote die Erklärung falsch, verspätet oder überhaupt nicht an den Erklärungsempfänger, so geht das zu dessen Lasten. Empfangsbote ist, wer vom Empfänger zur Entgegennahme von Erklärungen bestellt worden ist oder (ohne besondere Vollmacht oder Ermächtigung) nach der Verkehrsanschauung als dazu bestellt und geeignet anzusehen ist. Ist die Mittelsperson weder Empfangsvertreter noch Empfangsbote, trägt der Erklärende die Gefahr der richtigen und rechtzeitigen Übermittlung. Die Mittelsperson ist als Erklärungsbote des Erklärenden anzusehen (
vgl. Arnold in: Erman, 15. Aufl. 2017, § 130
BGB Rn. 17 - 18; Palandt/Ellenberger, 78. Auflage 2019, § 130
BGB Rn. 8 - 9).
(2) Aufgrund des rechtzeitigen Bestreitens des Klägers war im vorliegenden Fall der Vortrag der Beklagten, Herr H., der unstreitig das Anhörungsschreiben am 14. Mai 2018 entgegengenommen hat, sei Empfangsvertreter, aber jedenfalls Empfangsbote der Schwerbehindertenvertretung gewesen, nicht ausreichend.
Das Arbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger die Empfangsvollmacht des Herrn H. nicht konkret genug bestritten habe. Nach Auffassung der Kammer durfte der Kläger jedoch mit Nichtwissen bestreiten, dass Herr H. , der unstreitig zwar Mitglied des Betriebsrats, aber nicht der Schwerbehindertenvertretung war, zur Entgegennahme von Erklärungen von der Schwerbehindertenvertretung bevollmächtigt worden war. Der Kläger hat keinen Einblick in Absprachen zwischen Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung. Allein aus dem Vermerk auf dem Anhörungsschreiben "im Auftrag von PA u.
SBV entgegengenommen" ergibt sich noch nicht, dass die Schwerbehindertenvertretung Herrn H. Empfangsvollmacht erteilt hat. Anders als der Kläger in dem vom Bundesarbeitsgericht durch Urteil vom 06. Oktober 2005 entschiedenen Fall (2 AZR 316/04 - Rn. 26) hatte der Kläger hier bereits in erster Instanz den Vortrag der Beklagten zu einer Empfangsvollmacht bestritten (zuletzt in der Kammerhandlung am 29. November 2018). Der Arbeitgeber konnte auch nicht, ohne dass weitere Umstände (wie
z.B. übliche bisherige Handhabung bei der Übergabe von Anhörungsschreiben) hinzutraten, von einer Empfangsvollmacht eines Nicht-Mitglieds für die Schwerbehindertenvertretung ausgehen.
Da der Kläger aber in der Berufungsbegründung zwar auf aus seiner Sicht bestehende andere Mängel der Anhörung der Schwerbehindertenvertretung hingewiesen, aber den Zugang der Anhörung selbst erst im Schriftsatz vom 28. November 2019 (erneut) bestritten hat, war der Beklagten Gelegenheit zu geben, zu diesem Punkt ergänzend vorzutragen. Die Beklagte hat sich daraufhin in ihrem Schriftsatz vom 04. Dezember 2019 ergänzend erstmalig darauf gestützt, Herr H. sei jedenfalls Empfangsbote gewesen. Dies hat der Kläger in der Berufungsverhandlung bestritten. Nach Auffassung der Kammer kann ohne weiteren Vortrag Herr H. auch nicht als Empfangsbote der Schwerbehindertenvertretung angesehen werden. Nach der Verkehrsanschauung ist das Mitglied eines Gremiums nicht als Empfangsbote eines anderen Gremiums anzusehen, dessen Mitglied er nicht ist. Die Beklagte konnte allein aufgrund des Vermerks auch nicht davon ausgehen, dass Herr H. zur Entgegennahme von Erklärungen für die Schwerbehindertenvertretung von dieser bestellt worden war. Auch hier ist zu unterscheiden zwischen einem Mitglied eines Gremiums, das Erklärungen für das Gremium entgegennimmt, und einem Nicht-Mitglied. Etwas Anderes mag wie bei der Frage der Empfangsvollmacht gelten, wenn der Arbeitgeber nähere Umstände
z.B. zu der Organisation des Posteingangs des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung oder den näheren Abläufen bei der Entgegennahme von Erklärungen von Beklagtenseite vorträgt.
(3) Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme steht jedoch fest, dass die schriftliche Anhörung samt Anlagen die Schwerbehindertenvertretung rechtzeitig erreicht hat. Dies ergibt sich daraus, dass sie Gegenstand der Sitzung der Schwerbehindertenvertretung am 17. Mai 2018 war. Für ihren diesbezüglichen Vortrag im Schriftsatz vom 04. Dezember 2019 hat die Beklagte den Zeugen T. T., der Mitglied der Schwerbehindertenvertretung ist, benannt. Aufgrund des Bestreitens des Klägers war der Zeuge zu vernehmen.
Der Zeuge hat bei seiner Aussage glaubhaft geschildert, dass die damalige Schwerbehindertenvertrauensperson Herr V. Kr. und er selbst als Vertreter mit E-Mail vom 14. Mai 2018 über die beabsichtigten Kündigungen informiert und um Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung gebeten wurden und der Kündigungssachverhalt am 17. Mai 2018 in Anwesenheit der Schwerbehindertenvertrauensperson Herr V. Kr. und weiterer Mitglieder der Schwerbehindertenvertretung erörtert wurde und zwar auf Grundlage der vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten schriftlichen Unterlagen. Der Zeuge konnte sich daran erinnern, dass ihnen der übliche "Standarddatensatz" vorlag. Daraufhin wurde ihm die Anlage B4 vorgehalten. Der Zeuge bestätigte, dass er dies gemeint habe. Die Kammer geht davon aus, dass der Zeuge nicht nur wiedergab, wie die Schwerbehindertenvertretung regelmäßig Anhörungsschreiben bespricht, sondern konkrete Erinnerungen an die Besprechung am 17. Mai 2018 hatte. Dafür spricht, dass er sich von sich aus ohne entsprechenden Vorhalt daran erinnern konnte, dass dem Anhörungsschreiben auch ein
USB-Stick beigefügt war. Dies war ausweislich des Anlagenverzeichnisses der Anhörung tatsächlich der Fall (siehe Abl. 163 der Akte
ArbG). Darauf war die Sprachnachricht vom 28. März 2018 aufgezeichnet. Dass der Arbeitgeber sich zur Begründung einer Kündigung auf einen
USB-Stick bezieht, ist sicher nicht die Regel. Der Zeuge konnte sich auch daran erinnern, dass mit dem Anhörungsschreiben Chatverläufe vorgelegt wurden. Tatsächlich wurden mit der Anhörung Ausdrucke der WhatsApp-Nachrichten vorgelegt. Der Zeuge konnte auch erläutern, warum er sich an die Daten der E-Mail und der Besprechung erinnern konnte. Er hat insofern ausgeführt, dass er zur Vorbereitung seiner Aussage die Daten anhand des E-Mail-Verkehrs rekonstruiert hat.
bb) Die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung leidet auch nicht an weiteren Mängeln, die zur Unwirksamkeit der Kündigung führen würden. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend angenommen.
(1) Der Arbeitgeber hat gemäß § 178
Abs. 2 Satz 1
SGB IX die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung nach Satz 1 ausspricht, ist unwirksam (§ 178
Abs. 2 Satz 3
SGB IX).
Durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Dezember 2018 (2 AZR 378/18), das nach dem erstinstanzlichen Urteil im vorliegenden Rechtsstreit ergangen ist, sind mehrere damals noch offene Rechtsfragen zu der ordnungsgemäßen Anhörung der Schwerbehindertenvertretung geklärt worden:
Mit "Beteiligung nach Satz 1" sind allein die Unterrichtung und die Anhörung gemäß § 178
Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1
SGB IX in Bezug genommen. Dagegen greift die Unwirksamkeitsfolge nicht ein, wenn der Arbeitgeber "nur" die Mitteilungspflicht nach § 178
Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2
SGB IX verletzt (
vgl. im Einzelnen
BAG 13. Dezember 2018 - 2 AZR 378/18 - Rn. 14 zu dem gleichlautenden § 95
Abs. 2 Satz 3
SGB IX)
Die Unwirksamkeitsfolge des § 178
Abs. 2 Satz 3
SGB IX tritt nicht ein, wenn der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß anhört. Zwar ist die Schwerbehindertenvertretung gemäß § 178
Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1
SGB IX grundsätzlich unverzüglich zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Jedoch kann (und muss
ggf.) eine verspätete Beteiligung nach § 178
Abs. 2 Satz 2
SGB IX nachgeholt werden. Erfolgen Unterrichtung und Anhörung vor Durchführung
bzw. Vollzug der Entscheidung, liegt - doch noch - eine "Beteiligung nach Satz 1" vor (
vgl. im Einzelnen
BAG 13. Dezember 2018 - 2 AZR 378/18 - Rn. 16
ff. zu dem gleichlautenden § 95
Abs. 2 Satz 3
SGB IX).
Die Anhörung muss zur Abwendung der Unwirksamkeit der Kündigung nicht schon erfolgen, bevor der Arbeitgeber den Betriebs- oder Personalrat beteiligt oder das Integrationsamt um Zustimmung zu einer beabsichtigten Kündigung ersucht (
vgl. im Einzelnen
BAG 13. Dezember 2018 - 2 AZR 378/18 - Rn. 19).
Der Arbeitgeber hört die Schwerbehindertenvertretung ordnungsgemäß an, wenn er sie ausreichend unterrichtet und ihr genügend Gelegenheit zur Stellungnahme gibt. Die Unterrichtung muss die Schwerbehindertenvertretung in die Lage versetzen, auf die Willensbildung des Arbeitgebers einzuwirken. Der Arbeitgeber hat der Schwerbehindertenvertretung "die Gründe für die Kündigung" im Sinne von § 102
Abs. 1 Satz 2
BetrVG mitzuteilen. Hinsichtlich der Stellungnahmefristen enthält das Gesetz seit Einführung der Unwirksamkeitsfolge eine planwidrige Regelungslücke. Sie ist durch eine analoge Anwendung von § 102
Abs. 2
BetrVG zu schließen. Das hat zur Folge, dass die Schwerbehindertenvertretung etwaige Bedenken gegen eine beabsichtigte ordentliche Kündigung spätestens innerhalb einer Woche und solche gegen eine beabsichtigte außerordentliche Kündigung unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen mitzuteilen hat. Einer ausdrücklichen Fristsetzung durch den Arbeitgeber bedarf es nicht (
vgl. im Einzelnen
BAG 13. Dezember 2018 - 2 AZR 378/18 - Rn. 20
ff.).
(2) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt sich, dass die Kündigung nicht mangels ordnungsgemäßer Anhörung der Schwerbehindertenvertretung unwirksam ist.
Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte vor der Anhörung zu der beabsichtigten Kündigung über die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe hätte informieren müssen. Selbst wenn man dies wie der Kläger annimmt, so würde ein Verstoß gegen § 178
Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1
SGB IX jedenfalls nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führen, da die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung angehört wurde.
Es kommt auch entgegen der Auffassung des Klägers nicht darauf an, ob die Beklagte die Schwerbehindertenvertretung unmittelbar vor Ausspruch der Kündigung über die bevorstehende Maßnahme informiert hat (die Beklagte hat hier eine entsprechende E-Mail vorgelegt). Ein Verstoß gegen § 178
Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2
SGB IX führt nämlich nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung.
Die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung musste auch nicht vor Anhörung des Betriebsrats oder der Antragstellung beim Integrationsamt erfolgen.
Das Anhörungsschreiben genügt auch den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung (siehe oben unter II.1.d). Die dreitägige Stellungnahmefrist (§ 102
Abs. 2 Satz 3
BetrVG analog) war vor Ausspruch der Kündigung abgelaufen.
2. Den Parteien mussten die beantragten Schriftsatzrechte nicht eingeräumt werden. Das Gericht hat unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers in seinem umfangreichen Schriftsatz vom 28. November 2019 entschieden. Da die Berufung dennoch keinen Erfolg hatte, musste der (Berufungs)-Beklagten keine Gelegenheit gegeben werden, über die Erörterung in der Berufungsverhandlung hinaus zu diesem Schriftsatz Stellung zu nehmen. Der kurze Schriftsatz der Beklagten vom 04. Dezember 2019 bezog sich allein auf die Frage des Zugangs der schriftlichen Anhörung bei der Schwerbehindertenvertretung. Er wurde ebenfalls in der Berufungsverhandlung erörtert. Der Kläger hat den neuen Vortrag der Beklagten bestritten, daraufhin wurde der von der Beklagten benannte präsente Zeuge zu der Behauptung der Beklagten vernommen. Weitere in dem Schriftsatz der Beklagten aufgeworfene Punkte, zu denen der Kläger in der Verhandlung nicht hätte Stellung nehmen können, sind nicht ersichtlich.
III.
1. Soweit der Kläger sich mit seiner Klage auch gegen eine Kündigung vom 05. Juni 2018 und gegen die Kündigung vom 13. Juni 2018 gewehrt hat, ist der Antrag nicht zur Entscheidung angefallen. Der Antrag war insofern dahingehend zu verstehen, dass er auflösend bedingt für den Fall gestellt war, dass der Kündigungsschutzantrag gegen die außerordentliche Kündigung vom 04. Juni 2018 keinen Erfolg hat (
vgl. BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 302/16 - Rn. 46).
2. Den zunächst angekündigten Weiterbeschäftigungsantrag, der eine Klageerweiterung dargestellt hätte, hat der Kläger in der Berufungsverhandlung nicht gestellt.
Den allgemeinen Feststellungsantrag, den das Arbeitsgericht als unzulässig abgewiesen hatte, hat der Kläger mit Zustimmung der Beklagten in der Berufungsverhandlung zurückgenommen.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97
Abs. 1
ZPO. Der Kläger hat die Kosten des erfolglos eingelegten Rechtsmittels zu tragen.
Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung unter Anwendung der vom Bundesarbeitsgericht und Bundesverfassungsgericht entwickelten Rechtsgrundsätze. Auf die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob die Vernehmung des Zeugen K. hätte wiederholt werden müssen, kam es nicht an, da die Kammer ihre Entscheidung nicht auf Aussagen des Zeugen bei seiner Vernehmung durch das Arbeitsgericht gestützt hat.