Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Versagung der begehrten Zustimmung zur Kündigung des Beigeladenen mit den angegriffenen Bescheiden des Integrationsamtes des Beklagten vom 26. Juli 2010 und des Widerspruchsausschusses bei dem Beklagten vom 30. November 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin demzufolge nicht in ihren Rechten, § 113
Abs. 5
VwGO.
Die angefochtene Entscheidung ist formell rechtmäßig; Verfahrensvorschriften wurden nicht verletzt.
Die Klägerin hat die Zustimmung zur Kündigung am 12. Juli 2010 und damit innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des
§ 91 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs - Neuntes Buch - (SGB IX) beantragt. Die Frist begann nach § 91
Abs. 2 Satz 2
SGB IX mit dem Zeitpunkt, in dem die Klägerin von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Insoweit kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem die Klägerin als Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis vom Kündigungssachverhalt hatte, die ihr die Entscheidung ermöglichte, ob die Fortsetzung des mit dem Beigeladenen bestehenden Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht. Eine solche Kenntnis bestand frühestens seit dem 1. Juli 2010. An diesem Tag hatte sich der fragliche Vorgang ereignet, der Gegenstand des Kündigungsverlangens ist.
Die Durchführung eines Präventionsverfahrens nach
§ 84 SGB IX ist nicht Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Zustimmungsentscheidung des Integrationsamtes,
vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 29. August 2007, NJW 2008, 166 = Behindertenrecht 2007, 193.
Der Beigeladene wurde vor der Versagung der Zustimmung gehört (§ 91
Abs. 1,
§ 87 Abs. 2 SGB IX). Die Stellungnahme des Personalrats und der Schwerbehindertenvertretung lagen vor.
Die streitgegenständliche Entscheidung ist auch materiell rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Entscheidung über den Antrag eines Arbeitgebers auf Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit einem schwerbehinderten Arbeitnehmer sind die
§§ 85 ff SGB IX. Danach trifft das Integrationsamt seine Entscheidung grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Entscheidung ist am Zweck des Sonderkündigungsschutzes ausgerichtet und das Integrationsamt hat bei dieser Ermessensentscheidung von Amts wegen all das zu ermitteln, was erforderlich ist, um die gegensätzlichen Interessen des Arbeitgebers und des schwerbehinderten Arbeitnehmers abwägen zu können,
vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1995 -
5 C 24/93 -, juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (
OVG NRW), Beschluss vom 25. Februar 2009 -
12 A 96/09 -, juris,
m.w.N.; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (BayVGH), Urteil vom 22. Oktober 2008 -
12 BV 07.2256 -, juris.
Es ist dem Fürsorgegedanken des Gesetzes Rechnung zu tragen, das die Nachteile des behinderten Arbeitnehmers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgleichen will und dafür in Kauf nimmt, dass die Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers eingeengt wird. Besonders hohe Anforderungen an die Zumutbarkeit beim Arbeitgeber sind im Rahmen der Abwägung dann zu stellen, wenn die Kündigung auf Gründen beruht, die in der Behinderung selbst ihre Ursache haben. Dies gilt grundsätzlich auch im Fall einer außerordentlichen Kündigung. An die Schwere des Kündigungsgrundes sind in dem Fall besonders hohe Anforderungen zu stellen,
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. Februar 2009 - 12 A 96/09 -, a.a.O.; Bay VGH, Urteil vom 18. März 2009 -
12 B 08.3327 -, juris.
Wenn die Kündigung mit einem konkreten Fehlverhalten begründet wird, das im Rahmen der Ermessensbetätigung zu gewichten ist, sind die Feststellungen des Sachverhaltes und die Feststellung der für die Bewertung der Schwere des Fehlverhaltens unerlässlichen Begleitumstände einschließlich etwaiger Verantwortungsteile des Arbeitgebers oder von Kollegen erforderlich,
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. April 2009 -
12 A 2431/08 -.
Dabei darf das Gericht die getroffene Entscheidung des Integrationsamtes nur anhand derjenigen Erwägungen überprüfen, die die Behörde auch tatsächlich bei ihrer Entscheidung angestellt hat. Tragen diese Erwägungen nicht, so ist die Entscheidung rechtswidrig und aufzuheben,
vgl. BayVGH, Urteil vom 1. September 2008 -
12 ZB 08.1324 -, juris.
Weil das Integrationsamt, um sein Ermessen sachgerecht ausüben zu können, den zugrundeliegenden Sachverhalt in vollem Umfang aufklären muss, prüft das Gericht insbesondere auch, ob das Integrationsamt den Sachverhalt in wesentlicher Hinsicht vollständig und zutreffend ermittelt hat (
vgl. auch § 20
SGB X) und ob das Integrationsamt von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist.
Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage kommt es bei einer Verpflichtungsklage des Arbeitgebers auf Zustimmung (auch) zur außerordentlichen Kündigung - wie der hier streitgegenständlichen - maßgeblich auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an,
vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 2000 -
22 A 3145/98 -, Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter (NWVBl.) 2000, 390-391 = Behindertenrecht 2000, 176-178;
BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1993 -
5 B 80/92 -, juris.
Lediglich in den Fällen des
§ 89 und des § 91
Abs. 4
SGB IX findet eine Einschränkung des genannten Ermessens zu Gunsten des Arbeitgebers statt. Soweit das Arbeitsverhältnis - wie vorliegend - außerordentlich aus wichtigem Grund gekündigt werden soll, ist § 91
SGB IX einschlägig. Nach § 91
Abs. 4
SGB IX soll die Zustimmung erteilt werden, wenn die Kündigung aus einem Grund erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht. In diesem Fall ist das dem Integrationsamt grundsätzlich eingeräumte Ermessen gebunden, die Zustimmung "soll" erteilt werden. Der Wortlaut der Bestimmung, die die Ermessenseinschränkung an das negative Tatbestandsmerkmal des Nichtbestehens eines Zusammenhangs knüpft, bedeutet, dass in all den Fällen, in denen dies nicht festgestellt werden kann, vielmehr ein Zusammenhang besteht oder bestehen könnte, die Ermessensbeschränkung nicht eintritt, sondern eine nicht näher beschränkte Ermessensentscheidung zu treffen ist,
vgl. BayVGH, Beschluss vom 14. März 2008 -
12 ZB 07.1720 -, juris;
OVG Lüneburg, Urteil vom 9. März 1994 - 4 L 3927/92 -, juris; VGH Mannheim, Urteil vom 3. Mai 1993 -
7 S 2773/92 -, juris, zu dem vergleichbaren § 21
Abs. 4
SchwbG;
VG Gelsenkirchen, Urteil vom 6. September 2010 -
11 K 4427/08 -, juris;
VG Frankfurt, Urteil vom 28. November 2007 -
7 E 1236/07 -, juris; dass., Urteil vom 14. August 2008 -
7 E 2579/07 -, juris; Trenk-Hinterberger in Lachwitz/Schellhorn/Welti, HK-
SGB IX, 3. Aufl. 2010, § 91
Rdnr. 29
ff., insbes. 33
m.w.N.Dass schon die Möglichkeit eines Zusammenhangs die Anwendbarkeit der Regelung des Absatzes 4 entfallen lässt, folgt bereits aus der Systematik des § 91
SGB IX und dem Sinn und Zweck des Schwerbehindertenschutzes. Nach § 91
Abs. 3 trifft nämlich das Integrationsamt die Entscheidung innerhalb von zwei Wochen vom Tage des Eingangs des Antrages an. Entscheidet es nicht in der Zeit, tritt zu Lasten des schwerbehinderten Arbeitnehmers die Zustimmungsfiktion ein. Der Sinn und Zweck des Schwerbehindertenschutzes würde aber ins Gegenteil verkehrt, wenn mangels rechtzeitiger abschließender Aufklärungsmöglichkeit die Zustimmung fingiert würde, obwohl bereits Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen Behinderung und Kündigungsgrund bestehen, was nach den o.a. Grundsätzen eigentlich in der Abwägung der Interessen zu besonders hohen Anforderungen an die Schwere des Kündigungsgrundes auf Seiten des Arbeitgebers führen würde,
vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 9. März 1994 - 4 L 3927/92 -, juris; so im Ergebnis auch
OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -, juris.
Ein Zusammenhang zwischen Behinderung und Kündigungsgrund ist dann gegeben, wenn die Behinderung bei dem den Kündigungsgrund bildenden Verhalten des schwerbehinderten Menschen eine wesentliche Rolle gespielt hat, das Verhalten des schwerbehinderten Menschen sich bei natürlicher Betrachtung zwanglos ergibt und nicht nur in einem entfernten Zusammenhang steht,
vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2012 -
5 C 16/11 -, juris,
m.w.N.Dabei genügt aber auch ein bloß mittelbarer Zusammenhang. Die jeweilige Behinderung muss also unmittelbar oder mittelbar zu Defiziten in der Einsichtsfähigkeit und/oder Verhaltenssteuerung des schwerbehinderten Arbeitnehmers geführt haben, denen behinderungsbedingt nicht entgegengewirkt werden konnte, und das der Kündigung aus wichtigem Grund zugrunde liegende Verhalten des schwerbehinderten Arbeitnehmers muss gerade auf diese behinderungsbedingte, mangelhafte Verhaltenssteuerung zurückzuführen sein,
vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 27. Juni 2011 -
12 A 705/10 -, vom 22. Januar 2009 -
12 A 2094/08 -, vom 13. Juni 2006 -
12 A 1880/06 -, juris, und vom 23. Mai 2000 - 22 A 3145/98 -, juris,
m.w.N.Die Beweislast für den fehlenden Zusammenhang trägt der Beklagte
bzw. der sich darauf berufende Arbeitgeber.
Maßgeblich für die Entscheidung, ob der Kündigungsgrund im obigen Sinne im Zusammenhang mit der Behinderung steht, ist der von dem Arbeitgeber geltend gemachte Kündigungsgrund. Für die weitere Beurteilung sind dem Kündigungsgrund die der Behinderung zugrunde liegenden Beeinträchtigungen gegenüberzustellen. Dabei ist grundsätzlich von der in dem Verfahren nach
§ 69 SGB IX nachgewiesenen Behinderung auszugehen,
vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2012 - 5 C 16/11 -, juris.
Hiervon ausgehend kann sich der behinderungsbedingte Zusammenhang vorliegend nur aus den im Bescheid des Versorgungsamtes Dortmund vom 13. September 1999 festgestellten Beeinträchtigungen des Klägers ergeben,soweit hier von Belang: Migräne, Folgen nach Hirnvenenthrombose sowie Leberparenchymschaden, die insgesamt zu einem
GdB von 50 geführt haben. Nicht berücksichtigungsfähig, weil nicht behinderungsbedingt, ist dagegen die Alkoholerkrankung des Beigeladenen und ihr Einfluss auf sein hier in Rede stehendes Verhalten. Denn das Versorgungsamt hat diesbezüglich nicht - wie in anderen Fällen - als Erkrankung auch auf "Seelische Störung nach Alkoholkrankheit" erkannt,
vgl. z.B. BayVGH, Urteil vom 18.03.2009 - 12 B 08.3327 -, Arbeitsrechtliche Entscheidungen (AE) 2009, 261-264.
Da ein Zusammenhang zwischen dem versorgungsrechtlich anerkanntem Leberparenchymschaden und der von dem Beigeladenen begangenen Tätlichkeit bei der Betriebsfeier am 1. Juli 2010 (Angriff auf den Teamleiter) als von der Klägerin geltend gemachtem Kündigungsgrund auszuschließen ist - zumal dieser Leberschaden nach den Untersuchungen des Gutachters C1. laborchemisch anscheinend nicht einmal mehr nachweisbar ist (
vgl. S. 40 seines Gutachtens) - und nach dem ermittelten Sachverhalt auch keine hinreichenden Anhaltspunkte bestehen, dass ein solcher Hintergrund aus der Migräne hergeleitet werden könnte, ist letztlich allein maßgeblich, ob eine wesentliche Ursache für die Tätlichkeit zumindest möglicherweise (auch) in der Hirnvenenthrombose von 1994 und deren Folgen - u.U. verstärkt durch den Alkoholabusus - zu sehen ist. Dies ist auf der Basis des nun umfassend aufgeklärten Sachverhalts, namentlich des eingeholten Gutachtens des Sachverständigen C1. vom 26. August 2012 und dessen ergänzenden Aussagen in der mündlichen Verhandlung vom 28. Mai 2014, zu bejahen.
Ob dieser Zusammenhang sich bereits aus den Darlegungen des den Beigeladenen behandelnden Arztes für Innere Medizin - Kardiologie
Dr. C. vom 5. November 2010 herleiten lässt, der ausgeführt hat, es sei sehr wahrscheinlich, dass der nicht unerhebliche Alkoholkonsum bei vorbestehender Hirnschädigung zu einer pathologischen Reaktion (hierzu gehörten abnorme Rauscherlebnisse, Aggressivität und anderes Fehlverhalten) bei dem Beigeladenen geführt habe, mag dahinstehen. Zweifel bestehen diesbezüglich namentlich angesichts des Umstandes, dass der Sachverständige C1. in seinem Gutachten vom 26. August 2012 die Voraussetzungen für eine pathologische Reaktion
bzw. einen pathologischen Rausch anscheinend für nicht gegeben angesehen hat.
Indessen folgt der behinderungsbedingte Zusammenhang jedenfalls aus den Darlegungen des Sachverständigen und Gutachters C1.. So geht dieser in seinem ausführlichen Gutachten vom 26. August 2012 aufgrund der von ihm durchgeführten Untersuchungen von der Möglichkeit aus, dass sowohl der Hirninfarkt als auch der frühere langjährige Alkoholkonsum des Beigeladenen in heute nicht mehr nachvollziehbaren Anteilen zu einer leichten kognitiven Störung geführt hätten. Er geht weiter von der Möglichkeit aus, dass eine organische, psychische Störung aufgrund einer Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns besteht, die mit einer gewissen Affektlabilität einhergehen könne; dies könne durch den Hirninfarkt 1994 und/oder durch die Folgen des langjährigen erheblichen Alkoholkonsums bedingt sein. Der Sachverständige C1. fasst dies dahingehend zusammen, dass der Beigeladene infolge des Hirninfarkts 1994 und/oder aufgrund des früher erheblichen Alkoholkonsums hirnorganisch (sowohl kognitiv als auch möglicherweise affektiv) leicht beeinträchtigt sei. Diese leichte hirnorganische Beeinträchtigung, die möglicherweise zu einem nicht mehr näher verifizierbaren Anteil auf den Folgen des Hirninfarkts/der Hirnvenenthrombose von 1994 beruht, ist nach den oben aufgezeigten Maßstäben als solche ohne weiteres als behinderungsbedingt anzusehen.
Nach den vorliegenden Angaben des Gutachters und Sachverständigen C1. in der mündlichen Verhandlung vom 28. Mai 2014 kann diese behinderungsbedingte kognitive Störung eine Ursache für den Alkoholrückfall am 1. Juli 2010 gewesen sein; sie könne auch zusammen mit dem erheblichen Alkoholgenuss die Erregbarkeit und Aggressivität ausgelöst haben, die im Weiteren zur Tätlichkeit geführt hat. Der Sachverständige C1. hat hier die Möglichkeit aufgezeigt, dass jemand ohne hirnorganische Beeinträchtigung in der damaligen Situation des Beigeladenen vielleicht anders reagiert hätte. Zu konkreteren Aussagen, insbesondere einer anteilsmäßigen Spezifizierung des Einflusses der unterschiedlichen Faktoren auf den Vorfall vom 1. Juli 2010, sah sich der Gutachter nicht in der Lage, ging aber von einer möglichen erheblichen Ursache der kognitiven Störung aus. Festlegen konnte er sich nur dahingehend, dass es ohne den erheblichen Alkoholrückfall nicht zur Tätlichkeit gekommen wäre.
Da schon die Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen Behinderung und Kündigungsgrund ausreicht und der Gutachter C1. nachvollziehbar die Möglichkeit aufgezeigt hat, dass die behinderungsbedingte leichte hirnorganische Störung des Beigeladenen zu einer mangelhaften Verhaltenssteuerung am 1. Juli 2010 - sei es bei dem Alkoholrückfall als solchem, sei es bei der nachfolgenden Tätlichkeit als Kündigungsgrund - geführt hat, ist der Anwendungsbereich des § 91
Abs. 4
SGB IX nicht eröffnet.
Die von dem Beklagten somit berechtigt nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 85
SGB IX getroffene Entscheidung, die nach § 114
VwGO lediglich daraufhin zu überprüfen ist, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist, ist nicht zu beanstanden.
Wie bereits oben ausgeführt sind in diesem Fall an die im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigende Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber besonders hohe Anforderungen zu stellen. Dabei kann die um den vom Gesetz auferlegten Schwerbehindertenschutz gesteigerte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers dazu führen, dass dessen Interesse an der Vermeidung aller Störungen des betrieblichen Ablaufs in zumutbarer Weise zurücktreten muss,
vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1971 -
V C 78.70 -, BVerwGE 39, 36
ff.;
OVG NRW, Beschlüsse vom 22. März 2013 -
12 A 2792/12 -, vom 25. Mai 2009 -
12 A 472/09 - und vom 25. Februar 2009 - 12 A 96/09 -, juris.
Wird die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zumindest teilweise auf Gründe gestützt, die in der Behinderung selbst ihre Ursache haben, reicht nicht jeder als Kündigungsgrund geltend gemachte Umstand aus, um die Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber zu überschreiten. Vielmehr bedingen die auf der einen Seite zu Lasten des Arbeitgebers bestehenden besonders hohen Anforderungen an dessen Zumutbarkeitsgrenze, dass auf der anderen Seite der Kündigungsgrund nach Art und Umfang ein besonderes Gewicht haben muss, um im Rahmen der Ermessensabwägung die besonders hohen Anforderungen an die für den Arbeitgeber geltende Zumutbarkeitsgrenze signifikant überschreiten zu können,
vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 22. März 2013 - 12 A 2792/12 -, vom 25. Mai 2009 - 12 A 472/09 - und vom 25. Februar 2009 - 12 A 96/09 -, juris.
Im Rahmen der vorliegenden Ermessensentscheidung hat der Widerspruchsausschuss bei dem Beklagten in den Blick genommen, dass die von dem Beigeladenen am 1. Juli 2010 begangene Tätlichkeit mit der gravierenden Verletzung des Teamleiters als geltend gemachter Kündigungsgrund naturgemäß eine massive Beeinträchtigung des geordneten Betriebsablaufs bei der Klägerin darstellt, die eine Fürsorgepflicht gegenüber allen Betriebsangehörigen habe und dass diese durch die Umsetzung des Beigeladenen zum Wegebegeher und die Durchführung einer Supervision in der Vergangenheit bereits versucht habe, Störungen im Arbeitsverhältnis zu begegnen. Indessen sieht der Beklagte dennoch und in Ansehung des weiteren Umstandes, dass der Beigeladene bereits im Dezember 2008 eine - allerdings deutlich minderschwere - Tätlichkeit begangen hat, die Zumutbarkeitsgrenze für seine Weiterbeschäftigung in der Erwartung als noch nicht überschritten an, dass bei dem Beigeladenen nach den vorliegenden Gutachten und Berichten künftig von einer Verhaltensänderung dergestalt auszugehen sei, dass eine Wiederholungsgefahr nicht gegeben sei und daher seine Interessen am Erhalt seines Arbeitsplatzes trotz der gravierenden Tätlichkeit überwiegen würden.
Die damit tragende Ermessenserwägung der fehlenden Wiederholungsgefahr als solche ist rechtlich nicht zu beanstanden. Denn wenn keine signifikant erhöhte Gefahr besteht, dass mit weiteren Tätlichkeiten des Beigeladenen zu rechnen ist, dann ist die Entscheidung, eine Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Beigeladenen anzunehmen, jedenfalls vertretbar.
Die Annahme einer künftigen Verhaltensänderung des Beigeladenen und fehlenden Wiederholungsgefahr ist - bezogen auf den hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Widerspruchsausschusses bei dem Beklagten - nach den vorliegenden Unterlagen, namentlich dem eingeholten Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychotherapie/Forensische Psychiatrie C1. vom 26. August 2012 und nach dessen erläuternden Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 28. Mai 2014 tragfähig und daher nicht zu beanstanden.
Der Gutachter und Sachverständige C1. hat zur Wiederholungsgefahr in Kenntnis der Lebensgeschichte des Beigeladenen und der vom ihm am 2. Dezember 2008 und 1. Juli 2010 begangenen Tätlichkeiten bereits in seinem oben bezeichneten Gutachten ausgeführt, dass tätliche Übergriffe mit einer geringen (weniger als 12 % in den gesamten vier Jahren ab 2010) - und in den nächsten Jahren voraussichtlich zunehmend geringeren - Wahrscheinlichkeit zu erwarten seien. In der mündlichen Verhandlung hat er hierzu ergänzt, dass das Risiko einer erneuten Tätlichkeit des Beigeladenen bei unter 15 % liege, während das Risiko bei einer nicht vorbelasteten Person bei unter 5 % anzusiedeln sei. Bei einem derart geringen Risiko für die Begehung weiterer Tätlichkeiten von weniger als 15 % kann nach Auffassung des Gerichts indessen nicht von einer erheblichen Wiederholungsgefahr ausgegangen werden, zumal dieser Wert auch nicht signifikant höher ist als bei einer bislang nicht auffälligen Person. Danach ist es vielmehr unwahrscheinlich, dass der Beigeladene erneut tätlich wird.
Die Wertung
bzw. Einschätzung des Sachverständigen C1. zu einer unter 15 % liegenden Wiederholungsgefahr ist auch nachvollziehbar. So hat er den Grund für die Tätlichkeit des Beigeladenen am 1. Juli 2010 in drei Faktoren, nämlich der damaligen persönlichen Situation des Beigeladenen, seiner hirnorganischen Beeinträchtigung und der Alkoholisierung gesehen. Die erhebliche Berauschung durch den Alkohol sei dabei einhergegangen mit einer aggressiven Gereiztheit. Ohne den Alkohol hätte es die Tätlichkeit nicht gegeben. Hieran schließt sich für den Sachverständigen C1. die Forderung nach unbedingter Abstinenz von Alkohol als präventive Maßnahme zur Reduzierung der Wahrscheinlichkeit des erneuten Auftretens aggressiven Verhaltens an. Diese dauerhafte Abstinenz sah er bei der Erstellung des Gutachtens plausibel als gegeben an, weil der Beigeladene hierzu als vormals "trockener Alkoholiker" nach seinem Rückfall erfolgreich alles unternommen hat. Dieser hatte sich unmittelbar nach dem Vorfall vom 1. Juli 2010 nicht nur an seinen Hausarzt
Dr. C., sondern schon am 12. Juli 2010 auch an die Sucht- und Beratungsstelle des Diakonischen Werkes I1. gewandt, um professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Gemeinsam mit seiner Ehefrau nahm er dort an einer Informationsgruppe teil, wechselte anschließend in die Motivationsgruppe zur Abklärung und Vorbereitung auf eine Rehabilitation und absolvierte schließlich in der Zeit vom 8.
bzw. 15. November 2010 bis zum 7. November 2011 eine ambulante medizinische Rehabilitation. Zum Abschluss dieser Rehabilitationsmaßnahme wurde dem Beigeladenen im ärztlichen Entlassungsbericht des Diakonischen Werkes vom 17. November 2011 aufgrund der vertieften Aufarbeitung des Rückfalls vom 1. Juli 2010, der Abstinenzsicherheit auch in aktuell belastenden Lebenssituationen, der neu gefassten lebenslangen Abstinenzentscheidung und der Veränderung im Selbstbild eine sehr positive Prognose ausgestellt.
Danach hat sich der Beigeladene zur weiteren Vermeidung eines neuerlichen Alkoholrückfalls zudem einer Selbsthilfegruppe angeschlossen, die sich in den Räumen der Diakonie trifft. Hierin ist neben der Aufarbeitung seiner damaligen persönlichen
bzw. familiären Probleme, des Umgangs mit Stresssituationen und seiner Alkoholproblematik eine wesentliche Änderung zu seiner früheren Situation zu sehen. Denn der seit vielen Jahren an einer Alkoholerkrankung leidende Beigeladene (
vgl. hierzu die Diagnosen im ärztlichen Entlassungsbericht des Diakonischen Werkes vom 17. November 2011 sowie im Gutachten des Sachverständigen C1. vom 26. August 2012), der seit 1990 zunächst abstinent gelebt hatte, hatte im Zusammenhang mit seiner Alkoholabhängigkeit nur bis zum Jahre 2003 einer Gruppe der anonymen Alkoholiker angehört und sich nach deren Auflösung keiner weiteren Selbsthilfegruppe mehr angeschlossen, anscheinend weil er sich sicher abstinent fühlte; dies hat sich schließlich als falsch erwiesen und mündete in dem Vorfall vom 1. Juli 2010. Hiernach hat er indessen wieder alle nur denkbaren Schritte eingeleitet und erfolgreich durchgeführt, um einen erneuten Rückfall zu vermeiden.
Auch der
Dipl.-Psychologe
S. , bei dem der Beigeladene in der Zeit vom 22. September 2011 bis zum 20. Februar 2012 erfolgreich eine verkehrspsychologische Therapie für alkoholauffällige Kraftfahrer absolviert hatte, weil ihm im Zusammenhang mit dem Vorfall vom 1. Juli 2010 sein Führerschein entzogen worden war, bescheinigte ihm, dass er zufrieden alkohol- und drogenabstinent lebe.
Dies zugrunde legend bestanden bei der Widerspruchsentscheidung keine Anhaltspunkte für einen erneuten Alkoholrückfall des Beigeladenen; sie bestehen im Übrigen auch heute nicht.
Der Annahme einer fehlenden Wiederholungsgefahr für die Begehung tätlicher Übergriffe steht ferner nicht entgegen, dass der Beigeladene jedenfalls bis zu dem Vorfall vom 1. Juli 2010 zu einer erhöhten Aggressivität neigte, die er anscheinend nur bedingt kontrollieren konnte. Deutlich hervorgehoben wird diese Aggressivität bereits im ärztlichen Entlassungsbericht des Diakonischen Werkes vom 17. November 2011, in dem sich im testpsychologischen Abschlussbefund überdurchschnittliche Werte bei den Skalen Lebenszufriedenheit, Aggressivität und Extraversion finden. Aber auch der
Dipl.-Psychologe
S. hat das - erlernte - aggressive Verhalten des Beigeladenen noch im Februar 2012 hervorgehoben und spricht von einer hohen Aggressivität, der sich der Beigeladene bewusst sei und die er in aller Regel gut im Griff habe. So lange der Beigeladene einen klaren Kopf behalte, sei er nicht gefährdet, in unüblichem Maße aggressiv zu werden.
Auch in Ansehung dieses erhöhten Aggressionspotentials geht der Sachverständige C1. dennoch nicht von einer signifikanten Wiederholungsgefahr für weitere Tätlichkeiten aus. Vielmehr sieht er hier allein eine signifikant erhöhte Wahrscheinlichkeit weiteren verbal-aggressiven Verhaltens des Beigeladenen, mithin von weiteren Beleidigungen. Ein verbal-aggressives Verhalten ist für das vorliegende Verfahren indessen als solches rechtlich irrelevant, weil maßgeblicher Kündigungsgrund nach dem Zustimmungsantrag der Klägerin nur die Tätlichkeit vom 1. Juli 2010 als Wiederholungstat ist; ein verbal-aggressives Verhalten wird hier und auch später nicht als ausschlaggebend für eine Kündigung und damit für das Zustimmungsverfahren aufgezeigt.
Der Sachverständige C1. hat in der mündlichen Verhandlung auch nachvollziehbar ausgeführt, dass der Beigeladene nicht nur an seinem Alkoholproblem gearbeitet hat, sondern auch an seinem Aggressionspotential. Die therapeutische Aufarbeitung habe insoweit im Rahmen der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme stattgefunden. Hier sieht der Gutachter und Sachverständige auch die plausiblen Gründe dafür, dass bei seinen Untersuchungen im August 2012 keine erhöhten Aggressionswerte mehr zu verzeichnen gewesen sind. Im Gegenteil zeigten sich nun in den Bereichen spontane sowie reaktive Aggressionen deutlich unterdurchschnittliche Werte. Die Annahme des Sachverständigen, dass eine Aufarbeitung auch der Aggressivität des Beigeladenen während der Rehabilitationsmaßnahme erfolgt ist, wird durch die Darlegungen im ärztlichen Entlassungsbericht vom 17. November 2011 gestützt. So waren Rehabilitationsziele auch "Förderung des Umgangs und Auseinandersetzung mit den eigenen Emotionen", "Verbesserung des Zugangs zu konstruktiven Aggressionen, Verbesserung von Konfliktfähigkeit" sowie "Stärkung und Unterstützung bei der Entwicklung eines angemessenen, realitätsbezogenen Umgangs mit Belastungen und Frustrationen". Zudem hat der Beigeladene anschließend bei dem
Dipl.-Sozialarbeiter und Suchttherapeuten X. von der Sucht- und Beratungsstelle des Diakonischen Werkes I1., der auch in seine Rehabilitationsmaßnahme involviert war, an einem wöchentlichen Kurs "Entspannung und Wahrnehmung" teilgenommen. Danach geht der Sachverständige C1. nachvollziehbar - wie auch schon Herr X. - davon aus, dass der Beigeladene stressfester geworden ist. Herr X. hatte in seiner Stellungnahme vom 6. Februar 2012 insoweit näher ausgeführt, dass davon ausgegangen werden könne, dass der Beigeladende in Zukunft in psychisch angespannten und belastenden Situationen diese wahrnehme und sich entsprechend rückfallprophylaktisch verhalten werde.
Vor diesem Hintergrund ist die weitere Einschätzung des Sachverständigen C1. , dass der Beigeladene heute in nicht ganz unwahrscheinlichen Situationen (gekennzeichnet durch den Begriff "zuweilen"), in denen er beleidigend werden könnte und sein Gegenüber sich dagegen wehrt - anders als noch bei dem Vorfall im Aufzug vom 2. Dezember 2008 - wahrscheinlich nicht mehr tätlich wird, tragfähig. Der Gutachter sieht hier nur die Möglichkeit einer tätlichen Reaktion, aber keine Wahrscheinlichkeit.
Dies berücksichtigend kann auch dahinstehen, ob der in seiner Gewichtigkeit mit den Geschehnissen am 1. Juli 2010 nicht vergleichbare Vorfall vom 2. Dezember 2008, bei dem der Beigeladene nicht unter dem Einfluss von Alkohol stand, nachvollziehbar auf dem sexuellen Missbrauch des Beigeladenen in der Kindheit beruht, was auch aus Sicht des Gerichts als durchaus zweifelhaft erscheint. Denn diese Würdigung im Widerspruchsbescheid vom 30. November 2012 hat für die tragende Ermessenserwägung der fehlenden Wiederholungsgefahr und zukünftigen Verhaltensänderung des Beigeladenen keine Relevanz, die im Wesentlichen auf den Umständen beruht, die der Beigeladene nach dem Vorfall vom 1. Juli 2010 ergriffen hat sowie auf den von ihm erfolgreich durchgeführten Therapien und die hieran anschließenden positiven Prognosen.
Vor diesem Hintergrund kann auch dahinstehen, ob die Erwägungen des Widerspruchsausschusses bei dem Beklagten zur fehlenden Durchführung eines Präventionsverfahren nach dem ersten Vorfall im Jahre 2008 und zu einem angeblich fehlenden Schuldvorwurf im Lichte der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bei einer Alkoholerkrankung zutreffend sind. Diese Erwägungen haben keinen entscheidenden Einfluss auf die Frage der Wiederholungsgefahr im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung.
Abschließend ist festzuhalten, dass es der Klägerin unbenommen ist, bei einem künftigen verbal-aggressiven Verhalten des Beigeladenen, das selbstverständlich nicht akzeptabel ist,
ggf. kündigungsrelevante arbeitsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154
Abs. 1 und 3, § 162
Abs. 3, § 188
S. 2
VwGO. Es entspricht der Billigkeit, der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen (
vgl. § 162
Abs. 3
VwGO); denn der Beigeladene hat einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt (
vgl. § 154
Abs. 3
VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167
VwGO, § 708
Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung.