I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, weil sie sich gegen ein arbeitsgerichtliches Urteil richtet (§ 64
Abs. 1
ArbGG). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 600,- Euro (§ 64
Abs. 2 b)
ArbGG). Die Berufung ist auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 64
Abs. 6
S. 1
ArbGG, 519, 520
ZPO, 66
Abs. 1
S. 1,
S. 2
ArbGG).
II. Die Berufung ist aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat dem Antrag zu Recht stattgegeben. Eine Aufhebung der einstweiligen Verfügung ist nicht veranlasst. Die Berufungskammer folgt den umfassenden und sorgfältigen Erwägungen des Arbeitsgerichts, denen sie sich in vollem Umfang anschließt, so dass auf eine erneute, nur wiederholende Darstellung verzichtet werden kann (§ 69
Abs. 2
ArbGG). Nur ergänzend ist im Hinblick auf die in der Berufung von den Beteiligten vorgetragenen Argumente noch hinzuzufügen:
1. Zutreffend hat das Arbeitsgericht in der Sache über den Entbindungsantrag nach § 102
Abs. 5
S. 2
BetrVG ohne Rücksicht darauf befunden, ob der Widerspruch des Betriebsrats ordnungsgemäß war und daher ein Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 102
Abs. 5
S. 1
BetrVG möglicherweise von vornherein gar nicht bestand. Zwar bräuchte sich der Arbeitgeber in einem solchen Fall nicht von der Weiterbeschäftigungsverpflichtung befreien lassen (etwa
BAG vom 11. Mai 2000, 2 AZR 54/99, EzA § 102
BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht
Nr. 11;
BAG vom 09. Juli 2003,
5 AZR 305/02, EzA § 102
BetrVG 2001 Beschäftigungspflicht
Nr. 1); eine Rechtsgestaltung - Entbindung von der Pflicht zur Weiterbeschäftigung - kommt in einem solchen Fall an sich nicht in Betracht, weil eine solche Pflicht nicht entstanden ist. Der Gesetzgeber hat aber für die Entbindungsmöglichkeit mit der Vorschrift des § 102
Abs. 5
S. 2
BetrVG ein gesondertes Verfahren zur Verfügung gestellt, für das er ausdrücklich auch den Weg der einstweiligen Verfügung eröffnet hat. Die im Wege einstweiliger Verfügung geltend zu machenden Entbindungsgründe der Nrn. 1 und 2 haben dabei mit der Frage, ob und inwieweit ein ordnungsgemäßer Widerspruch des Betriebsrats gegeben - und damit die Weiterbeschäftigungspflicht begründet - ist, nichts zu tun. Es würde dem Zweck dieses Eilverfahrens zuwiderlaufen, müsste das Vorliegen eines ordnungsgemäßen Widerspruches als Vorfrage für die Entbindung, die an besondere Interessen beim Arbeitgeber anknüpft, festgestellt werden. Deutlich wird dies auch beim - hier geltend gemachten - Entbindungsgrund der
Nr. 3. Der Arbeitgeber kann von der Pflicht zur Weiterbeschäftigung nur dann entbunden werden, wenn der Widerspruch "offensichtlich" unbegründet ist; die Beschäftigungspflicht entfällt dagegen schon dann, wenn der Widerspruch nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 102
Abs. 3
BetrVG ist. Der Prüfungsmaßstab der "Offensichtlichkeit" ist strenger; es wäre mit dem vom Gesetzgeber ausdrücklich anerkannten Eilbedürfnis für die Entbindung nicht vereinbar, müsste zunächst die häufig schwierigere Vorfrage der Ordnungsmäßigkeit des Widerspruches geprüft und bejaht werden, um dann über die Entbindung nach dem Offensichtlichkeitsmaßstab befinden zu können (ähnlich
LAG München vom 05.10. 1994, 5 Sa 698/94, LAGE § 102
BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht
Nr. 19;
LAG München vom 17.12.2003, 5 Sa 1077/03, LAGE § 102
BetrVG 2001 Beschäftigungspflicht
Nr. 4; Danko in Feichtinger/Danko, Die Anhörung des Betriebsrats bei Kündigung, Rn. 374 f.; KR-Etzel, Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsrecht, 7. Aufl. 2004, § 102
BetrVG Rn. 232; Fitting u.a.,
BetrVG, 23. Aufl. 2006, § 102 Rn. 121; Kittner/Bachner in Däubler u.a.,
BetrVG, § 102 Rn. 277; Thüsing in Richardi,
BetrVG, 10. Aufl. 2006, § 102 Rn. 251; Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller- Glöge,
ArbGG, 5. Aufl. 2004, § 62 Rn. 88; für entsprechende Anwendung Braasch in Düwell, Handkommentar zum
BetrVG, 2. Aufl. 2006, § 102 Rn. 122).
Dieser unterschiedliche Prüfungsmaßstab steht auch der Auffassung entgegen, in einem solchen Fall - fehlende Ordnungsmäßigkeit des Widerspruchs - könne der Arbeitgeber den Hauptantrag auf Feststellung richten, dass ein Weiterbeschäftigungsanspruch nicht bestehe, und hilfsweise die Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht beantragen ( so Raab in
GK-
BetrVG, 8. Aufl. 2005, § 102 Rn. 194). Im übrigen müsste dann - für die Entbindungsklage schreibt der Gesetzgeber die einstweilige Verfügung zwingend vor, ohne dass ein nachfolgendes Hauptsacheverfahren möglich ist - die Feststellung der fehlenden Ordnungsmäßigkeit ebenfalls abschließend im Wege einstweiliger Verfügung getroffen werden. Die negative Feststellung auf Arbeitgeberantrag wäre also im einstweiligen Verfügungsverfahren ohne Möglichkeit zum nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu entscheiden, die positive Arbeitnehmerklage auf Beschäftigung dagegen im Hauptsacheverfahren. Eine solche Unterscheidung lässt sich nicht rechtfertigen. Eine Kombination von Hauptantrag im normalen Verfahren, Hilfsantrag aber im Eilverfahren sieht die Prozessordnung nicht vor.
2. Entgegen der Ansicht des Verfügungsbeklagten ist es für die Entbindung unerheblich, dass er inzwischen als schwerbehindert anerkannt ist. Die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Kündigung ist im Verfahren auf Entbindung nach § 102
Abs. 5
S. 2
BetrVG nicht zu prüfen, selbst dann nicht, wenn die Kündigung sich als offensichtlich unwirksam erweisen würde. In diesem Fall könnte ein "allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch" bestehen; der mit dem an andere Voraussetzungen geknüpfte besondere Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102
Abs. 5
BetrVG nichts zu tun hat. Unabhängig davon vermag die Kammer nicht zu erkennen, dass die ausgesprochene Kündigung aus dem genannten Grund unwirksam wäre. Das Landesamt hat die Anerkennung erst nach Zugang der Kündigung ausgesprochen. Nach der Vorschrift des
§ 90 Abs. 2a SGB IX besteht ein Kündigungsverbot aber - abgesehen vom Fall der fehlenden Mitwirkung - nur dann, wenn die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nachgewiesen ist. Letzteres ist auch nach den Angaben des Verfügungsbeklagten nicht der Fall. Ob der Ausnahmefall fehlender Mitwirkung - zweite Alternative in § 90
Abs. 2a
SGB IX - vorliegt, ist nicht erkennbar; entgegen der Ansicht des Verfügungsbeklagten ist für die Kammer nicht erkennbar, ob die Kündigung letztlich wirksam oder unwirksam ist; die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements stellt jedenfalls keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung im Rechtssinne dar (ausführlich
LAG Nürnberg vom 21.06.2006,
4 (9) Sa 933/05, BB 2006, 2362). Die vom Verfügungsbeklagten angenommene Offensichtlichkeit der Unwirksamkeit ist jedenfalls nach keinem Gesichtspunkt gegeben.
3. Zutreffend ist das Arbeitsgericht zum Ergebnis gelangt, dass der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet ist im Sinne des § 102
Abs. 5
S. 2
Nr. 3
BetrVG. Der Betriebsrat hat sich in seinem Widerspruch zwar auf einen Gesetzesverstoß - fehlender Versuch eines betrieblichen Eingliederungsmanagements - berufen. § 102
Abs. 3
BetrVG benennt aber nur ganz bestimmte Gründe, die den Betriebsrat zum Widerspruch gegen die Kündigung berechtigen; er führt nicht jeden möglichen oder tatsächlichen Gesetzesverstoß als Widerspruchsgrund auf. Vielmehr ist ein Widerspruch auch dann offensichtlich unbegründet, wenn sich seine Grundlosigkeit bei unbefangener Beurteilu ng geradezu aufdrängt; hierzu gehört auch die Konstellation, dass sich ein Widerspruch eindeutig nicht auf die in § 102
Abs. 3
BetrVG aufgeführten Widerspruchsgründe bezieht (Nachweise etwa bei Feichtinger/Danko, a.a.O., Rn. 371; Koch in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 2. Aufl. 2004, § 102
BetrVG Rn. 233; Kittner/Bachner, a.a.O., § 102 Rn. 298).
Genau dies ist vorliegend der Fall. Der Betriebsrat hat sich in keiner Weise auf die - bei der vorliegend personenbedingten Kündigung ohnehin ausgeschlossene - Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl oder den Verstoß gegen Auswahlrichtlinien berufen. Er hat sich auch nicht darauf berufen, dem Verfügungsbeklagten sei die Beschäftigung auf einem anderen - freien - Arbeitsplatz möglich (§ 102
Abs. 3
Nr. 3
BetrVG). Er hat schließlich auch eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit nach Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder zu geänderten Arbeitsbedingungen gerade nicht geltend gemacht. Ein betriebliches Eingliederungsmanagement bezieht sich aber nach
§ 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX in erster Linie auf die Aufrechterhaltung des Arbeitsplatzes, es soll den Ausspruch personenbedingter Kündigungen zu vermeiden helfen. Es hat nicht in erster Linie die Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes vor Augen. Wenn der Verfügungsbeklagte nunmehr geltend macht, ein solches Eingliederungsmanagement hätte möglicherweise ergeben, dass eine Beschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen Arbeitsplatz im Betrieb erkennbar geworden wäre, mag dies zutreffen. Es entspricht jedoch allgemeinen, auch für andere Kündigungsgründe geltenden Regeln, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit andere freie Stellen von sich aus anzubieten hat. Gibt es solche freien Stellen, dann ist die Kündigung unwirksam. Es liegt auch in diesem Fall aber in der Sphäre des Betriebsrats, zur Begründung eines auf § 102
Abs. 3
Nr. 3
BetrVG gestützten Widerspruchs solche freien Arbeitsplätze zu suchen und zu benennen. Die Pflicht zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ändert an der gesetzlichen Verteilung dieser Obliegenheiten nichts. Das betriebliche Eingliederungsmanagement bedeutet daher allenfalls für die Möglichkeit, die Beschäftigung am selben Arbeitsplatz aufrechtzuerhalten, eine gegenüber dem allgemeinen Kündigungsrecht veränderte Situation. Es hat mit der Möglichkeit zur Beschäftigung auf anderen freien Arbeitsplätzen kündigungsrechtlich nichts zu tun. Aus diesem Grund ist der Verfügungsklägerin die Berufung auf das Fehlen eines entsprechenden Widerspruchs des Betriebsrats - anders, als der Verfügungsbeklagte meint - auch nicht verwehrt. Unabhängig davon bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Verfügungsklägerin das Eingliederungsmanagement bewusst unterlassen hätte, um dem Betriebsrat die Geltendmachung eines ausreichenden Widerspruchsgrundes zu verwehren. Der Widerspruch des Betriebsrats benennt mit dem Fehlen des Eingliederungsmanagements einen Grund, der zur Unwirksamkeit der Kündigung wegen fehlender sozialer Rechtfertigung führen könnte. Unter einen der in § 102
Abs. 3
BetrVG genannten Gründe lässt sich diese Angabe offensichtlich nicht subsumieren. Der Widerspruch ist damit, wie schon das Arbeitsgericht zutreffend festgehalten hat, offensichtlich unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Verfügungsklägerin daher zu Recht von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung entbunden.
4. Entgegen der Ansicht des Verfügungsbeklagten hat das Arbeitsgericht die Eilbedürftigkeit des Anspruches nicht geprüft und die fehlende Glaubhaftmachung nicht beanstandet. Der Gesetzgeber hat für die Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht in § 102
Abs. 5
S. 2
BetrVG ausdrücklich und ausschließlich die Geltendmachung im Wege einstweiliger Verfügung vorgesehen. Er hat damit die Eilbedürftigkeit kraft Gesetzes unterstellt (
LAG Hamburg vom 25.01. 1994, 3 Sa 113/93, LAGE § 102
BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht
Nr. 21; Germelmann, a.a.O., § 62 Rn. 88; Koch in Ascheid
u. a., a. a.O., § 102
BetrVG Rn. 226; Raab in
GK-
BetrVG, a.a.O., § 102 Rn. 189; Thüsing, Richardi, a.a.O., § 102 Rn. 250 mit unzutreffender Zitierung des
LAG Nürnberg für die behauptete anderweitige Auffassung; Braasch in Düwell, a.a.O., § 102 Rn. 123; jetzt auch Kittner/Bachner in Däubler, a.a.O., § 102 Rn. 281, jeweils mit weiteren Nachweisen).
5. Entgegen der Ansicht des Berufungsbeklagten ist die Entscheidung des Arbeitsgerichts nicht deswegen aufzuheben, weil die einstweilige Verfügung durch die Verfügungsklägerin nicht innerhalb der Monatsfrist des § 929
Abs. 2
ZPO im Parteibetrieb zugestellt worden ist. Die Gestaltungsverfügung des § 102
Abs. 5
S. 2
BetrVG bedarf der Zustellung im Parteibetrieb nämlich nicht (so schon
LAG Hamm vom 12.12.1986, 16 Sa 1271/86, zitiert nach juris). Die Wirkung der Gestaltung - Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht - tritt mit Verkündung des Beschlusses oder Urteils ein. Eine gesonderte Vollziehung, die als Teil des Vollstreckungsverfahrens im Wege der Parteizustellung verwirklicht werden muss, kommt daher nicht in Betracht. Eine zusätzliche Parteizustellung hätte keinerlei Rechtswirkungen, ist daher überflüssig und sinnlos (allgemeine Auffassung,
vgl. etwa KR-Etzel, a.a.O., § 102 Rn. 235a; Koch in Ascheid/Preis/Schmidt, a.a.O., § 102 Rn. 226; Kittner/Bachner, a.a.O., § 102 Rn. 278; Braasch in Düwell, a.a.O., § 102 Rn. 126; Feichtinger/Danko, a.a.O., Rn. 383; Reichold in Thomas/Putzo,
ZPO, 27. Aufl. 2005, § 936 Rn. 11).
6. Nach alldem ist der Antrag der Verfügungsklägerin, wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, begründet. Die Verfügungsklägerin ist zu Recht von der Weiterbeschäftigungspflicht entbunden worden. Die Berufung ist zurückzuweisen.
7. Der Verfügungsbeklagte hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§§ 64
Abs. 6
ArbGG, 97
Abs. 1
ZPO).